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Dorfbestatter

Es sind immer drei, die der Liebe Gott holt, so sagen die Leute oft. Damit wollen sie zum Ausdruck bringen, daß auf einen Sterbefall in ihrem Umfeld meist noch weitere folgen. Ich schrieb ja, daß wir eine gute Freundin verloren haben, und tatsächlich scheint an den Weisheiten der Leute etwas dran zu sein: Vorgestern ist noch eine Frau aus unserem Bekanntenkreis verstorben.
Keine sehr gute Freundin, nur ein Mensch, um den es uns leid tut. Wenigstens war die Frau schon etwas älter und weil sie krank war, spricht jeder davon, daß sie erlöst wurde.
Gestern waren meine Frau und ich kurz beim Witwer, der 40 Kilometer entfernt wohnt, und gerade als wir da waren, kam die örtliche Bestatterin. Das war für mich ein ganz besonderes Erlebnis.
Ich habe mich nicht als Kollege zu erkennen gegeben und es steht mir ja auch nicht auf der Stirn.

Seit Vorgestern hatte es nur telefonischen Kontakt zu der Bestatterin gegeben. Unser Bekannter hatte bei ihr angerufen und sie hatte den Auftrag übernommen. Die Bestatterin hat keinen Leichenwagen, keinen Ausstellungsraum, kein Sarglager und keine Aufbahrungsräume. Das braucht sie alles nicht.

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Sie legte unserem Bekannten einen Katalog mit Särgen hin: „Blättern Sie den mal durch und zeigen sie mir, welcher Ihnen gefallen würde.“

Mein Bekannter blätterte, tippte dann auf ein Modell und die Bestatterin meinte: „Der ist ganz ordentlich, so einen ähnlichen habe ich aber auch noch günstiger, blättern Sie mal weiter.“

Ein Pluspunkt, sie weist von sich aus auf günstige Alternativen hin, finde ich gut. Über das Totenhemd und die Sargausstattung diskutiert sie gar nicht: „Da nehmen wir das Einfachste, das tut seinen Zweck, kostet nicht viel und der Sarg bleibt ja sowieso zu.“
Damit ist nach knapp fünf Minuten alles bezüglich der Pietätwaren besprochen und sie wendet sich dem Blumenschmuck zu: „Zu was für einem Gärtner seid Ihr denn immer gegangen?“ Unser Bekannter nennt einen Namen und die Bestatterin sagt: „Gut, dann gehen Sie morgen mal zu dem und bestellen einen Kranz oder was für oben auf den Sarg. Die Rechnung soll der Gärtner an mich schicken.“
Die Auswahl des richtigen Grabes kann sehr lange dauern, das muß richtig erklärt werden, sonst gibt es hinterher Probleme. Nicht so bei der Dorfbestatterin: „Reihengrab oder ein Großes?“

„Groß“, sagt unser Bekannter und damit ist alles gesagt. Sie notiert, fragt nicht danach wie viel Personen ins Grab sollen, weist nicht darauf hin, daß man das Grab aussuchen kann, nichts. Bis jetzt sind gerade einmal sieben Minuten vergangen.

„Ich ruf‘ dann den Pfarrer an, der kommt dann zur Beerdigung. Soll der noch was Persönliches sagen?“ erklärt und fragt sie.

Unser Bekannter nickt. Ja, der Pfarrer soll auf die silberne Hochzeit hinweisen, daß sie immer fleißig war und bei allen so beliebt war, ach ja, sie war auch noch 30 Jahre im Frauenverein. Prima, das schreibt die Bestatterin etwas ungelenk auf.
Eine Zeitungsanzeige will unser Bekannter und die Bestatterin legt ihm eine Mappe mit Anzeigenmustern hin.
Wortlos.

Da sitzt der Witwer nun vor sicherlich 400 Mustern von Todesanzeigen, Danksagungen und Nachrufen und die Bestatterin sagt nichts. Ich würde jetzt mal einen Zettel nehmen, den Namen des Verstorbenen schon einmal aufschreiben, dann die Lebensdaten daruntersetzen, das ist immer schon die halbe Miete. Was soll drüber? Ein Psalm, ein Spruch?
Was soll drunter? Alle Namen oder nur einer im Namen aller Angehörigen?
Dann unten den Termin für die Beerdigung und weitere Hinweise. So ginge ich das an.
Sie sagt nichts.

„Was soll ich denn da nehmen?“ fragt der Witwer, die Bestatterin schaut ihn freundlich an: „Das weiß ich doch nicht, das was Ihnen gefällt.“
Dann stellt sich heraus, daß sie gar nicht individuell beraten und die Anzeige Wort für Wort aufnehmen will, sondern der Mann soll eine aussuchen, die ihm gefällt und da setzt sie nur die richtigen Namen ein. Endlich hat er eine gefunden, die gefällt ihm, aber die will er mit einem Kreuz.
„Mit Kreuz? Wenn da keins ist, geht das nicht. Da müssen sie die da drüben nehmen, die ist mit Kreuz.“

„Die gefällt mir aber nicht.“

„Tja“, macht die Bestatterin und schließlich nimmt unser Bekannter die Anzeige die ihm nicht gefällt, aber ein Kreuz hat.

Das Aussuchen der Anzeige hat am längsten gedauert, insgesamt ist die Bestatterin 15 Minuten da und schaut auf ihre Uhr: „So, jetzt habe ich mich aber vertrödelt, ich muß noch woanders hin.“

Mit Tränen in den Augen und voller Dankbarkeit umarmt unser Bekannter die Bestatterin, sie greift in die Tiefen der Kiste der Trauerpsychologie, klopft ihm auf den Rücken und sagt die weisen Worte: „Das Leben geht weiter!“
Dann packt sie zusammen und ist verschwunden.

„Die ist so nett, die beerdigt hier alle im Ort, das macht die schon immer und die macht das gut“, sagt unser Bekannter.

Am Freitag soll die Beerdigung sein, heute wird die Bestatterin einen Überführungsdienst anrufen, dem die Sargnummer und für die Ausstattung „einfach weiß“ durchgeben und die Verstorbene wird im Krankenhaus eingesargt und angekleidet und sofort auf den Friedhof gebracht werden.

Formalitäten? Papiere? Nichts. „Da muß ich morgen selbst aufs Rathaus“, sagt unser Bekannter und fügt hinzu: „Und auf die Bank muß ich noch, so eine Bestattung ist sehr teuer.“

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.


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Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 3. September 2008 | Revision: 14. April 2016

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