Geschichten

In der Psychiatrie

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

In Bullerbeck ist die Klapse, so sagen das wenigstens die Leute. In Wirklichkeit ist dort das landesweit zuständige Psychiatriezentrum ansässig, ein großes Krankenhaus mit geschlossener Abteilung.
Alle paar Jahre kommen Auftraggeber zu uns, die zumeist etwas herumdrucksen und dann damit herausrücken, daß ihr verstorbener Angehöriger in Bullerbeck abgeholt werden muß.

Dabei empfinde ich persönlich überhaupt nicht, daß es schlimm oder anrüchig ist, wenn jemand eine psychische Erkrankung hat, man kann eben an Körper und Seele erkranken. Den Angehörigen ist das aber meistens sehr unangenehm, daß ihr Familienmitglied in der „Klapsmühle“ verstorben ist.

Wenn wir dorthin kommen, dann ist das immer eine sehr umständliche Prozedur. Die Klinikverwaltung hat nämlich einen Vertrag mit einem ortsansässigen Bestatter. Das an sich ist nichts Ungewöhnliches, es versterben dort auch viele, die niemanden haben, um die sich niemand mehr kümmert und da muß die Klinik jemanden haben, der dann alles abwickelt.
Für uns als Fremdbestatter bedeutet das aber, daß wir nach Bullerbeck fahren und dort an der „Prosektur“ klingeln müssen. Dieses Leichenhaus liegt abseits vom eigentlichen Klinikbetrieb und die Klingel ist mit dem Haupthaus verbunden. Ja und dann geht das Warten los.

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So an die 20 Minuten, manchmal auch 40, dauert es, bis dann endlich jemand mit dem Wagen gefahren kommt, meist eine mürrische Frau mit polnischem Akzent, die uns erst einmal zusammenstaucht, weil wir sie stören, weil wir schon wieder da sind, weil wir atmen und weil wir überhaupt auf diesem Planeten leben. Mit dem Charme einer Lageraufseherin tritt sie uns förmlich in die Räume der Prosektur, sucht dann umständlich die Papiere des jeweiligen Verstorbenen heraus und macht dann mit Kreide ein Kreuz auf die Edelstahltür des passenden Kühlfachs.
Erst dann ruft sie vom alten Dienstapparat an der Wand den Auftragsbestatter an, schmeißt uns sofort wieder raus, damit wir ja keine Leiche klauen, schließt ab und haut grußlos wieder ab.
Tja, dann warten wir schonmal bis zu anderthalb Stunden, bis Kollege Ehfmann kommt, der Vertragsbestatter.
Nur er ist berechtigt, die Leichen aus der Prosektur herauszugeben, das ist vertraglich so geregelt.

„Moin“, Tür auf, Zack Klappe auf, ein Griff und 15 Sekunden später haben wir den Verstorbenen vor uns und können ihn auf unsere Trage legen. Und kaum 10 Sekunden später ist Kollege Ehfmann auch schon wieder mit seinem stets nagelneuen Bestattungswagen verschwunden. Später wird er uns 220 Euro für die „Vorbereitung der Leiche zum Transport und die Besorgung der Sterbeurkunden“ in Rechnung stellen, zuzüglich 75 Euro für Leichenschau und 90 Euro für ein einfaches Leichenhemd.

Vor einigen Tagen mußten wir wieder nach Bullerbeck, dieses Mal ging alles sogar recht zügig, weil wir zeitgleich mit dem Herbeiklingeln der freundlichen, polnischen Lagerfee auch vom Handy aus Herrn Ehfmann angerufen hatten. Nun kam der ausnahmsweise ganz fix und traf noch vor der Alten mit dem Haarknoten ein. Das Gemotze kann man sich kaum vorstellen, denn nur „Miss Gulag“ darf die Prosektur öffnen und das Leichenfach kennzeichnen und nur Ehfmann darf die Leiche herausziehen und mit dem Pumplift absenken. „Nix da! Ich habe für 30.000 Euro die Kühlwand hier auf meine Kosten einbauen lassen und deshalb kommt da kein anderer dran!“ mault Ehfmann und Ludmilla die Grobe kontert: „Die Ibergabe muß korrrrrrreckt sein, deshalb weise ich die Leich‘ zu!“

An diesem bewußten Tag war Manni, unser Fahrdienstleiter, zu mir ins Büro gekommen und hatte mich gefragt, ob ich ihn nicht nach Bullerbeck begleiten will. Man muß da eigentlich gar nicht zu zweit hinfahren, Ehfmann hilft mein Einladen, aber in Bullerbeck gibt es die Gaststätte „Zum Enten-Franz“ und da haben Manni und ich schon so manche Ente vertilgt. Das gehört sozusagen bei uns zum Ritual: Bullerbeck, Entenbrust, ein Weizenbier, an der Seepromenade sitzen und den Leuten zugucken.

So kam es, daß ich kurzerhand meinen Aktendeckel zuklappte, Frau Büser entsetzt den Mund aufklappte und ich mit einem kurzen Winkewinke zu Manni nach unten ging. Wenig später waren wir auf der Autobahn und philosophierten über die drei wichtigsten Themen des Lebens: Frauen, Weiber und Fräuleins, ach ja: und über Entenbrust.

Wen wir da in Bullerbeck abholen mußten, das wußte nur Manni, der hatte die Papiere in einer unserer Kunststoffmappen. Ich wußte nur, daß die Mutter des Verstorbenen uns telefonisch den Auftrag erteilt hatte. Eine Weile später standen wir also dort, Ehfmann klappte die Klappe vom Kühlfach zu und ließ seinen Hydrauliklift den Verstorbenen nach unten fahren. Wir hatten unsere Trage schon aufgeklappt, Tücher gerichtet und warteten nun darauf, daß der Kollege sein Leintuch vom Verstorbenen zieht. Als er das dann mit einer schwungvollen Handbewegung tat, blieb mir fast das Herz stehen, da lag tatsächlich Martin vor mir. Unser Martin, einer der besten Freunde unserer Familie. Gerade 50 Jahre alt geworden, noch vor sechs Wochen hatten wir im Biergarten mit ihm zusammengesessen und hatten verabredet uns nach den Sommerferien mal zu einem Grillabend zu treffen.
Ja und jetzt liegt der da und ist tot!

Was hat der denn in der Psychiatrie gemacht?
Warum hat uns seine Frau Susanne nicht informiert?

Das wollte ich dann aber alles genauer wissen!

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