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Qualm in der Hütte (reloaded)

Viele wissen ja, daß ich rauche. Für manche Leser undenkbar, für andere normal weil sie selbst rauchen und für mich das einzige Laster überhaupt. Ich hab sogar schon mal versucht aufzuhöre und mir solche Nikotin-Pflaster gekauft. Dann lagen die lange im Schrank herum und als ich dann endlich meinte, der richtige Moment sei gekommen, da haben die erstens schlecht gebrannt und zweitens noch viel schlechter geschmeckt. Eine echte Alternative sind die nicht. Ehrlich.

Frau Büser hat früher mal geraucht, schon vor langer Zeit aufgehört und bringt es fertig, nur in Gesellschaft, so alle paar Wochen oder Monate mal eine zu rauchen. Sandy qualmt wie ein Schlot und ich will gar nicht wissen was.
Antonia raucht eine Schachtel im Monat, also vermutlich nur um Sandy zu beeindrucken.
Lehrmädchen Nadine raucht nicht, sie hat was mit den Bronchien, darf nicht und will auch nicht.

Rauchen darf man bei uns eigentlich überall, nur nicht beim direkten Kundenkontakt und im Ausstellungsraum. Im Ausstellungsraum vergilbt uns sonst die Ware, die Decken sind da ziemlich empfindlich. Ansonsten ist mir das egal. Es riecht trotzdem nicht nach Qualm, denn das ist nicht eine Frage des Rauchens, sondern des Lüftens.

Im Keller unten sieht es etwas anders aus. Oft ist die Luft trotz Absauganlage mit Holznebel geschwängert und überhaupt lagern da große Mengen brennbarer Sachen. Da dürfen die Männer nur im Aufenthaltsraum rauchen und auch nur dann, wenn die Tür geschlossen ist.

In den Fahrzeugen darf nicht geraucht werden, speziell die Kabinen der Bestattungswagen sind doch recht eng, da würde dann wirklich alles, inklusive der Fahrer, nach Tabakrauch riechen. Aber hier gilt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ich kontrolliere da nicht die Aschenbecher, sind doch alles erwachsene Leute, die wissen was sie tun.

Überhaupt habe ich festgestellt, daß man am Besten an die Vernunft der Leute appelliert und ihnen sonst freie Hand läßt, zuviel Bestimmungen und zuviel Kontrolle können auch schaden.

Warum erzähle ich das eigentlich? Ach so:

Letzte Tage war ich beim Ehepaar Kanowski. Beide irgendwas über Siebzig, beide an einer Waldbestattung interessiert.
Als ich die Wohnung betrete, ist mein erster Gedanke: Mann, da kommst Du in eine Räucherhöhle!
Schon die Tapeten im Flur sind gelb und tränig und in Küche und Wohnzimmer sieht es noch viel schlimmer aus.
Auf jedem Tisch, auf jeder Kommode und auf jedem Schränkchen stehen volle Aschenbecher und liegen Feuerzeuge und Zigarettenschachteln herum.
Die Kanowskis sind Kettenraucher und so öffnete Frau Kanowski konsequenterweise auch mit einer Zigarette zwischen den Fingern die Tür.
Sie führte mich in die Küche, wo ich auf ihren Mann traf.
Der sitzt im Rollstuhl, kann nicht mehr laufen, nachdem man ihm erst den rechten Unterschenkel und dann den linken Fuß abgenommen hat. Aus einer Stahlflasche, die hinten am Rollstuhl hängt strömt Sauerstoff durch durchsichtige Plastikschläuche zu einem Ausströmer, der unter seiner Nase hängt und den Sauerstoff in die Nasenlöcher pustet.
"Schön, daß Sie Zeit für uns alte Leute haben", begrüßt er mich und nimmt einen kräftigen Zug aus seiner ERNTE 23.
Dann streckt er mir seine Hand hin und strahlt mich an, es folgt einer der üblichen Sprüche: "Gut, daß Sie da sind, dann können wir ja bald sterben." Er versucht zu lachen, doch dazu ist Luft erforderlich, die ihm fehlt und deshalb schlägt das kurze Auflachen in ein heiseres Husten über und es folgt ein mittelschwerer Hustenanfall, der seinen Kopf ganz rot werden lässt.
Seine Frau brüht unterdessen unbeeindruckt Kaffee auf und als er gar nicht mehr aufhört zu husten und zu röcheln, sagt sie weiterhin völlig unbeeindruckt: "Nimm mal einen Schluck Wasser, Horst, die Luft ist heute wieder so trocken!"

Brav greift er nach einem Wasserglas, trinkt etwas und seine Bronchien beruhigen sich nur langsam.
Als er endlich wieder durchatmen kann, sagt er, sich bald dabei verschluckend: "Jaja, Spaß muß sein, nicht wahr?"
Ich nicke nur und packe meine Unterlagen aus.
"Zigarettchen dazu?" fragt Frau Kanowksi und hält mir eine Zigarettenschachtel und ein Feuerzeug hin, nachdem sie eine Tasse dampfenden Kaffees vor mich hin gestellt hat.
Ich lehne ab, sie stört das nicht und schon hat sie sich eine genommen, angezündet und in den Mundwinkel geklemmt. "Es stört Sie ja nicht, oder?" fragt sie, wartet aber keine Antwort ab, will auch keine Antwort hören, geht zu ihrem Mann rüber, nimmt sich die Kippe aus dem Mundwinkel und gibt sie ihm: "Da Schatz, rauch mal eine, das beruhigt die Lungen." Dann steckt sie sich eine neue Zigarette an.
"Lungenbrot", sagt Herr Kanowski, lächelt glücklich, saugt gierig an der Zigarette, so als ob er Monate darauf hätte verzichten müssen, dabei hat er erst vor kaum zwei Minuten eine im Aschenbecher ausgedrückt.
Sein Gesicht ist aschfahl, faltig, die Wangen sind eingefallen und wenn er mit fast zahnlosem Mund an der Zigarette raucht, die er zischen bräunlich-gelben Fingern hält, werden seine Wangen fast komplett mit eingesaugt. Ein bißchen sieht das aus, als wolle er mich mit dieser Gesichtsakrobatik verscheißern, aber nein, das macht er einfach nur immer so.

"Wirklich keine?" will Frau Kanowski wissen und hält mir wieder eine Zigarettenschachtel vor die Nase. Nein, ich will nicht, ich würde eigentlich gerne, aber irgendwie will ich gerade in diesem Moment nicht zu den Rauchern gehören, nicht zu DIESEN Rauchern… Versteht das jemand?

"Wir hatten ja früher nix. Zigaretten waren das Einzige was wir hatten. Nur wegen dem Hunger hat man geraucht und dann ist man nicht mehr davon losgekommen", sagt er.
Ich lasse ihn mal im besten Fall siebzig Jahre alt sein, dann war er bei Kriegsende 5 Jahre alt. Ob er da noch was vom Hunger der ersten Nachkriegsjahre wissen kann, ob er da wirklich deshalb angefangen hat zu rauchen?
Später sehe ich die Geburtsdaten der Kanowskis, sie sind beide 1945 geboren, also erst 65 Jahre alt. Meine Güte, denke ich, die sehen 10 bis 20 Jahre älter aus.

An der Geschichte mit dem Hunger kann also nichts dran sein. Ich habe diese Geschichte schon oft gehört. Man habe nach dem Krieg nichts zu essen gehabt und deshalb den Hunger mit dem Rauchen von Zigaretten betäubt.
Mein Onkel Aloys hat immer gesagt: "Wenn man aber die Zigaretten, statt sie selbst zu rauchen, eingetauscht hat, hat man auch genug zu essen gehabt."

Es sind kaum vier Minuten vergangen und schon wieder steckt Frau Kanowski für sich und ihren Mann mit ganz automatischen Bewegungen zwei Zigaretten an. Wieder hält sie mir, diesmal aber stumm, die Schachtel hin, ich will immer noch nicht und auch später im Auto schiebe ich meine Schachtel weit weg, irgendwie schmeckte mir an dem Tag keine Zigarette mehr, wodurch mein neues Feuerzeug nicht mehr zum Einsatz kam.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

keine vorhanden

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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 10. Dezember 2014 | Peter Wilhelm 10. Dezember 2014

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