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Softeis und Schmerzensgeld

Das Ehepaar dürfte so Anfang bis Mitte Sechzig sein, er im grauen Mantel, mit Hut und hebt ständig seine Brille, um dann unter der Brille hindurch mit zusammengekniffenen Augen die Preise an unseren Särgen zu studieren.

Sie hatte eine durchsichtige Plastikhaube auf, damit die Frisur nicht von der Witterung gezaust wird, knetet dieses Plastikteil jetzt unentwegt in ihren Händen und tippelt nervös von einem Fuß auf den anderen:

„Ach, was bin ich aufgeregt, wir hatten ja sowas noch nie, Franz sag doch auch mal was.“

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„Ja, Liese, ist ja gut. Hast Du den hier gesehen?“ sagt er, zeigt auf einen Sarg in Esche grau, eines der günstigen Modelle und seine Frau schüttelt den Kopf: „Nein, der sieht ja so ärmlich aus. Der da drüben, der sieht doch schön aus, können wir den nicht nehmen, der hätte Mutter gefallen.“

„Gefallen, gefallen, was soll das denn heißen. Nüchtern betrachtet ist es ja wohl so, daß Deine Mutter tot ist und wohl kaum etwas dagegen sagen kann, wenn wir jetzt doch den Grauen hier nehmen, nicht wahr?“

„Aber der da drüben sieht aus wie ihr Wohnzimmer, so Eiche dunkel rustikal.“

„Babbel net! Hast Du mal gesehen, was der kostet? Soviel wie der Eichensarg kostet, soviel hat damals unsere erste Einrichtung nicht gekostet.“

„Ja aber Franz! Die Mutti hat doch so schön gespart für ihre Beerdigung und das Geld das haben wir doch!“

Dann wendet sie sich an mich und sagt: „Sie müssen nämlich wissen, daß meine Mutter 10.000 Euro für ihre Beerdigung weggelegt hat und außerdem hat mein Mann eine hohe Abfindung bekommen, die hat mit Zins und Zinseszins…“

„Liese!“

„Ja ist doch aber auch wahr! Da hat die arm‘ Frau sich ein Leben lang abgeschuftet und Du würdest sie jetzt in eine Apfelsinenkiste legen.“

„Das ist ja wohl die Höhe! Das was Du als Apfelsinenkiste bezeichnest, kostet immerhin 399 Euro. Dafür, ja dafür, dafür könnte ich mein ganzes Leben lang Apfelsinen essen.“

„Sehen Sie“, sagt Liese an mich gewandt, „so ist er immer! Da sieht man doch mal daß der schon ewig nicht mehr eingekauft hat, Keine Ahnung was Apfelsinen kosten, aber hier eine dicke Lippe riskieren.“

Ich mag es nicht, wenn ich so zwischen zwei streitende Eheleute gerate und ziehe mich mit einem meiner berühmten, undefinierbaren ‚Hmms‘ aus der Affäre.

Franz meldet sich wieder zu Wort. Er hat einen anderen Sarg entdeckt, auch bei den günstigen Modellen, diesmal aber wenigstens halbwegs in Eichenoptik. Er sagt: „Liese, jetzt guck Dir den mal an, der ist günstig und sieht aus wie Eiche.“

„Sieht aus wie Eiche! Ich fasse es ja nicht. Ich fasse es ja nicht! Es ist ja nicht zu fassen!“

„Und ich sehe nicht ein, daß wir dafür mehr ausgeben als unbedingt notwendig!“ ruft er, stampft zur Bestätigung mit dem Fuß auf und fügt noch ein fast schon kanzlerformatiges „Basta!“ hinzu.

„Und ich sehe nicht ein, daß wir meine Mutter jetzt verscharren wie einen toten Straßenköter, nur weil Du scharf auf das viele liebe Geld bist. Sie hat für ihre Beerdigung gespart und das Geld nehmen wir jetzt auch.“

Vorsichtig versuche ich zu schlichten, deute auf einen Sarg, der preislich in der Mitte liegen würde und sage: „Der hier ist aus Eiche und kostet nicht ganz so viel.“

„Siehst Du, Franz! Der Mann hier mein auch, daß wir meine Mutter nicht billig verscharren sollen.“

„Ach, der hat Deine Mutter ja auch nicht 40 Jahre lang ertragen müssen! Wenn da vom Beerdigungsgeld noch was übrig bleibt, das wäre reinstes Schmerzengeld. Ich wiederhole: Reinstes Schmerzensgeld!“

„Das klingt ja so, als ob Du froh wärst, daß Mutti tot ist!“

„Froh? Froh! Was soll das denn heißen.“

Sie schmollt und sagt mit geschürzten Lippen: „Klingt aber so.“

An mich gewandt sagt er mit etwas gesenkter Stimme: „Sie sind doch bestimmt auch verheiratet, oder?“

Ich nicke und er fragt: „Müssen Sie jeden Abend mit ihrer Schwiegermutter Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen?“

Schon allein bei dem Gedanken wird mir schlagartig schlecht und das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen ist meine Schwiegermutter alles andere als umgänglich und zum anderen ist sie die wohl schlechteste Verliererin auf Gottes Erden. Außerdem steht sie in dem, von mir verbrieften Ruf, alle jemals über Schwiegermütter geäußerten Vorurteile in geradezu vorbildhafter Weise zu erfüllen.
Ich liebe meine Schwiegermutter, aber ich liebe auch Softeis und von zuviel Softeis wird mir schlecht und ich bekomme Bauchweh. Konkludierend formuliert: Ich liebe meine Schwiegermutter wie Bauchweh.

Etwas zweifelnd frage ich zurück: „Mensch-ärgere-Dich-nicht? Jeden Abend?“

„Jeden Abend, seit genau 41 Jahren, immer um die selbe Zeit.“

„Ach, was erzählst Du denn da, Franz? Sonntags wollte Mutter nie Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen.“

„Ja, weil sie da immer Halma spielen wollte. Ich hasse Halma!“

„Und deshalb willst Du sie jetzt verscharren wie einen räudigen Hund?“

„Liese! Davon kann gar nicht die Rede sein. Wir nehmen jetzt diesen mittleren Sarg, den der Herr uns gezeigt hat, dann hat die arme Seele Ruh‘ und wir können endlich die anderen Sachen aussuchen.“

Jetzt stampft sie mit dem Fuß auf, knetet knisternd ihre Plastikhaube und schimpft: „Ich will aber nicht, daß Du meiner Mutter einen Sarg kaufst, damit die arme Seele Ruh‘ hat, sondern weil Du sie geliebt hast!“

Er verdreht in einer Form der Verzweiflung, die nur ein verheirateter Mann kennt, die Augen nach oben, seufzt und sagt: „Ich habe Deine Mutter geliebt! Genügt Dir das?“

Sie schmollt schon wieder, wendet sich beleidigt ab und schweigt.

„Ich habe Deine Mutter wirklich geliebt, das kannst Du mir glauben.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich!“

„Wie hast Du sie denn geliebt?“

„Wie, wie?“

„Ja wie Du sie geliebt hast, will ich wissen.“

Er ringt nach Worten und ich sehe in seinen Augen blanke Verzweiflung, Halma und Mensch-ärgere-Dich-nicht. Stumm ringt er die Hände und ebenso nach Worten und ich beuge mich zu ihm herüber, flüstere ihm etwas zu und er platzt heraus:

„Ich habe sie geliebt wie Softeis!“

Liese schmilzt nur so dahin, gönnt ihrem Franz einen versöhnlichen Kleine-Mädchen-Blick und sagt: „Ach, das hast Du jetzt aber schön gesagt!“

Finde ich auch.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.


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Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 15. April 2008 | Revision: 19. April 2016

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Aki
16 Jahre zuvor

ach ihr Männer habts schon schwer 🙂

Benni
16 Jahre zuvor

Erdbeer-Softeis oder Schoko-Softeis?

Ich weiß ja, dass ich hier nur Gast bin und du, Tom, machen kannst was du willst. Aber die Werbung rechts wird immer aufdringlicher 🙁

16 Jahre zuvor

Genial!

Das mit dem Softeis muss ich mir merken 😉
Wobei ich meine Schwiegermutter wirklich seehr gut um mich haben kann.
Die erfüllt nämlich überhaupt kein Klischee.

„Er verdreht in einer Form der Verzweiflung, die nur ein verheirateter Mann kennt, die Augen nach oben“

Oh ja, kennt man nur zu gut 😉
Man(n) sollte aber aufpassen, das dieses Augenrollen von der besseren Hälfte nicht bemerkt wird, sonst wirds nur schlimmer 🙂

Wobei ich die Vermutung habe, das Frauen nach genügend langen Ehejahren das Augenrollen schon hören können … 😉

Banafu
16 Jahre zuvor

Ganz große Literatur. Herrliche Dialoge, man sieht die Leute förmlich vor sich. Genial geschrieben!

Marga
16 Jahre zuvor

@benny: Ich lese hier von Anfang an mit. Es war immer schon die gleiche Werbung an den gleichen Stellen. Dein Einwand ist IMHO unbegründet.

Anke
16 Jahre zuvor

Klasse 😀
@Benni: Firefox und das Add on „Ad block Plus“ runterladen, dann ist da keine Werbung

Ma Rode
16 Jahre zuvor

@Anke: danke für den tipp. es funktioniert!

16 Jahre zuvor

Igitt, ein Wohnzimmer in Eiche rustikal?

*sterb* (hier darf ich ja.)

Christina
16 Jahre zuvor

*Witzemodus an*

In einer Kneipe unterhält sich ein junger Mann mit einem älteren Herrn: „Das Erste, was ich machen werde, wenn ich heirate, ist, meine Schwiegermutter in spe für mindestens fünf Jahre in den Urlaub zu schicken.“
Darauf der ältere Herr ganz aufgeregt: „Eine hervorragende Idee, wollen Sie nicht meine Tochter heiraten?“

*Witzemodus aus*

comicfreak
16 Jahre zuvor

..mein Schwiegertiger kommt putzen „helfen“ und Wäsche gerade setzen.

christian
16 Jahre zuvor

und wieder mal ein dialog wie von loriot, woran man merkt, dass der herr von bühlow ein sehr scharfer beobachter ist.

tom, das war mal wieder grossartig!

16 Jahre zuvor

In der Tat genial geschrieben und beschrieben! Warum erinnert mich das alles nur an „Familie Heinz Becker“….?

Ar-ras
16 Jahre zuvor

Hier gibt es Werbung?

Ines
16 Jahre zuvor

Ja toll, jetzt muss ich an mein geliebtes „Vanille – grüner Apfel“ Softeis denken, das es leider nur 400km von mir entfernt zu kaufen gibt…

isidor
16 Jahre zuvor

@Ines:

Also das ist das Perverseste, was ich bislang in diesem Blog gelesen habe. Vanille-Grüner-Apfel-Softeis. Jetzt habe ich ohne Verzehr Bauchweh.

johann
16 Jahre zuvor

den eiche Sarg für 399 euro würd ich gern mal sehen.
und was kostet der eich rustikal?

16 Jahre zuvor

Herrlich geschrieben 😀 Sehr schön, und diese diplomatische Lösung… *thumbsup* 🙂

Ma Rode
16 Jahre zuvor

männer und frauen passen einfach nicht zusammen!

it's me
16 Jahre zuvor

Irgendwie erinnert mich das an Loriot, der Dialog mit dem Ei.

devilishMortisha
16 Jahre zuvor

Einerseits stimme ich dem Mann zu: warum unnötig viel Geld für eine Bestattung ausgeben? Andererseits ist es das Geld der Omi, die für ihre Beerdigung gespart hat und dann auch das bekommen sollte, was ihr gefallen hätte (das weiß die Tochter ja sicher besser als der geizige Mann).
Aber 41 Jahre Mensch-ärger-Dich-nicht kommen ja schon fast dem Fegefeuer gleich. 😀 Da wäre ich auch froh, wenn die endlich unter die Erde kommt *eg*

Sarah
16 Jahre zuvor

@ devilishMortisha: Und wenn sie unter der Erde ist, sollte er vielleicht sicherheitshalber nochmal mit der Schüppe draufhauen. Sicher ist sicher…

Anke
16 Jahre zuvor

Huch, mein Lob zu diesem Blog-Eintrag wurde wegeditiert?

undertaker
16 Jahre zuvor

@anke: Nein.

Anke
16 Jahre zuvor

na dann lags wohl an dem langen Strich *ratlos schau*

undertaker
16 Jahre zuvor

@Anke: Welchen Kommentar genau meinst Du? Ich dachte Du meintest den von 9.33 Uhr und den sehe ich da oben.

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Es handelt sich um die Mutter seiner Frau also ist es deren Angelegenheit. Ich würde einen Teufel tun, mich da einzumischen, bin ja nur eingeheiratet. Soll ich mich für den Rest des Lebens unglücklich machen und das dann bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit aufs Brot geschmiert zu bekommen? Da ziehe ich die stressfreie Variante vor. Hauptsache die Kiste ist ausbruchsicher.

Wittmann
16 Jahre zuvor

Notfalls kann man die Schwiegermutter im Sarg auf den Bauch drehen … dann gräbt sie sich tiefer, falls sie ausbricht …

Nulpe
16 Jahre zuvor

„Nüchtern betrachtet ist es ja wohl so, dass Deine Mutter tot ist und wohl kaum etwas dagegen sagen kann, wenn wir jetzt doch den Grauen hier nehmen, nicht wahr?”

Treffender hätte Man(n) es wohl kaum ausdrücken können, allerdings mit den Konsequenzen zu leben ist auch nicht jeder Man(n)s Sache ;-).

Penelope
16 Jahre zuvor

Meine Güte!
Der Undertaker als Charmeure…
*daumenhoch* Das hast Du gut gemacht!

Johannita Löwenzahn
16 Jahre zuvor

genial genial genial! *in hochachtung*

aber.. denkst du dir diese dialoge von deinem bestatterdasein einfach nur aus oder passierte dir das oder in leicht abgewandelter form wirklich?? und darauf aufbauen.. bitte WIE merkt man sich diesen ablauf??? man kann ja bestimmt nicht mit notziblock und stift in steno mal einfach mitkritzeln…

war aber trotzdem klasse.

Kempeth
16 Jahre zuvor

Naja. Wenn der sie gehasst hätte dann wäre es bestimmt in den 41 Jahren mal zu einem sehr emotionalen „Scher dich zum Teufel du Halma-besessenes Weibsstück“ gekommen.

Ich kann den Herrn verstehen, dass er vielleicht nicht das innigste Verhältnis zu der Schwiegermutter hatte aber ich finde dass wenn ein Mensch Geld für seine Beerdigung beiseite legt sollte man das auch für die Beerdigung verwenden und nicht einfach selbst einsacken…




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