Gemütlichkeit, das ist was mein heißgeliebtes englisches Zimmer ausströmt. Und diese Gemütlichkeit wird jäh gestört, als wir von draußen die laute Stimme des leiblichen Vaters, Herrn Leuschner, hören.
Die Stimme wird zwar durch die gepolsterte Tür gedämpft, doch wissen Oma Trude, Oma Leuschner und ich sofort, wer da brüllt.
Es klingen die Worte Polizei, Beschlagnahme, Verfügung und Verbrecher an unsere Ohren. Ich stehe auf, mache eine Handbewegung, die bedeuten soll, daß die alten Damen sitzen bleiben sollen und habe vor hinaus zu gehen. Doch Oma Leuschner, die Mutter des da draußen Tobenden, springt auf, gibt mir einen Stupser, der so kräftig ist, daß ich in meinen Sessel zurück plumpse und reißt die Tür zur Halle auf.
Ich zappele kurz wie ein auf dem Rücken liegender Maikäfer mit den Beinen und dann bin auch ich wieder auf den Füßen und folge Frau Leuschner gemeinsam mit Oma Trude.
In der Halle bietet sich ein groteskes Bild.
In der Haupteingangstür stehen die junge Frau Leuschner und ihr Mann, Herr Wittrock, sie müssen just in dieser Sekunde ebenfalls gekommen sein.
Mitten in der Halle wälzt sich Herr Leuschner wimmernd auf dem Boden und kassiert von seiner Mutter Tritte mit den Spitzen ihrer Schuhe, während sie mit ihrer Handtasche auf ihn einschlägt.
„Du dummer August, Du Vorprimat, wo hast Du Dein Gehirn? Dir haben sie doch in den Kopf geschissen, Du Idiot! Wie benimmst Du Dich eigentlich? Weißt Du nicht, daß da Dein Kind liegt? Das Kind, um das Du Dich nie gekümmert hast! Was fällt Dir eigentlich ein?“
Etwa 60 Silben, etwa 60 Schläge mit der Handtasche.
Keiner rührt auch nur einen Finger um dem Mann zu helfen. Die Personenzahl, die bewegungslos dem Treiben zuschaut, nimmt von Sekunde zu Sekunde zu, da auch alle meine Mitarbeiter von überall her gelaufen kommen.
„Du wirst Dich ab sofort anständig benehmen, Du wirst Dich bei allen Leuten hier entschuldigen und Du wirst jetzt Dein Kind, meine Enkeltochter, so anständig zu Grabe tragen, wie es sich gehört! Hast Du mich verstanden?“
Bei ‚Hast Du mich verstanden?‘ setzt es im Takt der Silben Tritte in den Allerwertesten des Mannes, der mit den Händen seinen Kopf vor den Schlägen geschützt hat und nun nur noch heulend am Boden liegt.
Wenn es das sprichwörtliche Häufchen Elend jemals gegeben haben sollte, dann liegt es in diesem Moment vor uns allen auf dem Boden.
Die meisten von uns stehen mit offenem Mund staunend da. So einen Auftritt hat unser ehrwürdiges Haus auch noch nie gesehen. Daß ein erwachsener Mann dort von seiner Mutter eine Abreibung bekommt, so etwas hätte ich mir im Traum nicht einfallen lassen.
Manni und Gregor springen vor, Manni nimmt Frau Leuschner beiseite, die vor Anstrengung und Aufregung keucht und schnauft. Bei alledem ist auch noch ein Henkel ihrer Handtasche abgerissen.
Gregor hilft Herrn Leuschner hoch und führt ihn, ohne das dieser sich zu uns umdreht, in den Waschraum.
„Meine Fresse!“ entfährt es Sandy und Antonia meint: „Der arme Mann!“ Frau Büser schiebt die Büroangestellten und Manni alle weg und es bleiben die beiden Omas und das Ehepaar Leuschner/Wittrock bei mir.
„Meine Güte!“ ruft Herr Wittrock, „Was war das denn?“
Oma Trude sagt: „Der hat bekommen, was er verdient hat, aber sowas von verdient, das gibt’s ja gar nicht.“
Aus der Gästetoilette hören wir Herrn Leuschner laut weinen und jammern. Es ist ein regelrechtes Wehklagen. Ich führe die beiden Frauen und das Ehepaar ins englische Zimmer und gehe rüber zu den Waschräumen.
Herr Leuschner steht vor einem Waschbecken, der Wasserhahn läuft; der Mann steht da mit beiden Armen auf das Waschbecken gestützt und hat sich offenbar reichlich kaltes Wasser ins Gesicht geklatscht. Er schaut immer wieder sein Spiegelbild an, in dem er und Gregor und ich ein von Tränen und lautem Weinen verzerrtes Gesicht sehen. Man kann gar nicht richtig verstehen, was der Mann da lautstark und von Tränen geschüttelt, alles sagt. Ach, es ist mehr ein Jaulen und Wehklagen als ein Sagen.
Gregor, der Pole, redet auf Polnisch beruhigend auf den Mann ein und schließlich reicht er ihm eines der gefaltet da liegenden Frotteehandtücher und dreht den Wasserhahn zu.
Ich bin davon überzeugt, daß Leuschner kein Wort Polnisch versteht und für mich hört sich das alles an, als ob Gregor immer ‚Tschip Tschibulski‘ sagt. Aber das spielt keine Rolle. Der Pole hat eine warme, tiefe Stimme und als Leuschner sich das Gesicht abgetrocknet hat, nimmt ihn Gregor einfach in den Arm und redet weiter auf Polnisch auf ihn ein. Leuschner hat seinen Kopf auf Gregors Schultern liegen und schnieft. Ich lasse die beiden Männer, verlasse das Bad, gehe durch die Halle und will zu den anderen ins Kaminzimmer, da sehe ich im Augenwinkel, wie Gregor den niedergeschlagenen und immer noch tränentriefenden Mann aus dem Waschraum gerade einmal um die Ecke zum Gang mit den Aufbahrungsräumen führt.
Herr Leuscher wird jetzt von Leonie Abschied nehmen müssen.
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Der Kerl brauchte vielleicht einfach mal einen Reboot…
@Matze65 du hast einen Eddie Russett Roman gelesen ? 😛
…uff. Das war ja schon heftig. Hab schon fast Angst vor dem nächsten Teil…
…dieses ewig faszinierende Mutter-Sohn-Ding!…unglaublich!
Bei Teil 7 noch geweint und bei Teil 9 fast vom Stuhl gefallen vor Lachen.
Dein Schreibstil ist sensationell! Hut ab! 😉
Den Teil mit den Tritten habe ich mehrmals gelesen und genossen, egal ob das bei dem nutzt oder nicht. Kranke Köpfe sind irreversibel und welche Ausrede er auch immer für sein Benehmen hat ist mir wurscht.
Mich hat es gründlich entspannt. So kann ich beruhigt noch lange auf den nächsten Teil warten.
…. du Vorprimat …
ich krieg mich nicht mehr ein…
Tom, deine Schilderungen sind genial
Hoffentlich bleiben mir bei meiner Bestatterarbeit solche „Fälle“ in diesem Ausmaß erspart – Ähnliches habe ich in diese Richtung bereits hinter mir.
ALlen ein schönes Wochenende und spannende Erwartung wie es weitergeht.
Der Teil ist genial!
Habe mich kaputt gelacht 😀
Mir ist doch ein wenig das Lachen im Halse stecken geblieben in der zweiten Hälfte. Vielleicht lese ich da ja nur zu viel rein, aber ich frage mich, ob Herr Leuschner heult, weil er von seiner Mutter vermöbelt und gedemütigt wird – oder weil sie ihm schmerzhaft bewusst macht, wovor er sich zu schützen versuchte: Dass sein Kind, um das er sich zwar nicht gekümmert hat – aus welchen Beweggründen auch immer -, das aber trotzdem sein Kind war, tot ist, wie es der letzte Satz anzudeuten vermag (und wir wissen, dass TOM seine Worte mit Bedacht wählt).
…bissl komisch beim lesen war mir auch!
warum ist der sohn so aggressiv, mürrisch und herzlos?! … evt. weil es die mutter früher auch war?
sie sieht ihn und erkennt ihn wieder?
… ich halte die spannung kaum noch aus!
trotzdem, euch allen einen guten herbstbeginn.
Bwahaha, für die Handtaschen-Szenerie überweis ich doch glatt mal 5€ in die Kaffeekasse ^^
Klasse, Tom …
Aber hast Du eigentlich auch mal wieder an die arme Nathalie und Jojo gedacht? 😉
Wow, diese Mutter kennt ihren durchgeknallten Sohn, und weiß, wie sie ihn zur Raison bringen kann.
Ich mußte sofort los weinen als die Omis ihre Enkelin besuchten, das war so traurig. Ich denke mal den Leuschner ist jetzt erst bewußt geworden was er sein Leben lang falsch gemacht hat und das kam nun alles auf einmal raus. Tom…einwandfrei deine Geschichte, du schreibst sehr einfühlsam und das gefällt mir. Obwohl mir aufgefallen ist das die Teile immer kürzer werden…du schummelst 😀
Hmm ich will nur mal vorsichtig nachhorchen ob du die Fee noch irgendwann beenden wirst oder ob das eine ewig offene Geschichte bleiben wird 🙂
gruß
Darüber denke ich auch immer wieder mal nach, aber wahrscheinlich ist das olle Weib mit der Geschichte im Schnellverfahren dann im Krematorium für unvollendete sauspannende Geschichten gelandet und mittlerweile beerdigt.
Also quasie im Brennpastenbehälter vom englischen Zimmer. Toms Heimkrematorium…