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Angestellter wider Willen

Zwei Herren in dunklen Anzügen unterzeichnen einen Vertrag

Josef Luttermann ist Bestatter in der dritten Generation. Seinem Unternehmen geht es gut, mittlerweile arbeitet sich seine Tochter ein, um in wenigen Jahren den Betrieb übernehmen zu können.
Eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft hat die Tochter nicht absolviert, weil Luttermann der Meinung ist, man könne das Handwerk der Bestatterin genauso gut auch von der Pike auf im Betrieb lernen.

Acht Angestellte hat das Bestattungshaus, zwei Bestattungsfahrzeuge und eine eigene kleine Abschiedshalle für 50 Personen. In der Region ist das Unternehmen bekannt und wird als traditioneller Bestatter auch für eine seriöse Abwicklung geschätzt.
Die Menschen wissen, dass Luttermann teurer ist, als die in den letzten Jahren hinzugekommene Konkurrenz, geben seinem Haus aber trotzdem meist den Vorzug.

Nun suchte Luttermann eine Fachkraft für die Buchhaltung. Drei Filialen eines in Rente gegangenen Konkurrenten hatte er unlängst übernehmen können und für die Aufarbeitung dort liegengebliebener Sachen sollte die neue Kraft eingesetzt werden.

Wie die neue Kraft sein sollte, davon hatte Josef Luttermann genaue Vorstellungen. Eine Frau in mittleren Jahren, die familiär aus dem Gröbsten raus ist und noch nicht so alt ist, dass sie ständig krank ist. Luttermann schloss hier von sich auf andere, denn er litt mit steigendem Alter an allerlei Zipperlein, die es ihm tageweise unmöglich machten, ins Büro zu gehen.

Also setzte er sich hin und entwarf eine Stellenanzeige. „So geht das nicht, Papa!“, schimpfte seine Tochter: „Du bist ja sowas von total von gestern! Du darfst doch nicht nach einer Buchhalterin suchen, Du musst angeben, dass Du auch Männer und Diverse berücksichtigst.“
Nun hatte Josef Luttermann eine gewisse Vorstellung davon, was mit divers gemeint ist und meinte zu dem Thema bloß: „Das kommt bei mir nicht in die Tüte. Ich will eine Frau, einfach nur eine Buchhalterin, nichts Kompliziertes.“

„Papa!“, meinte seine Tochter nur und rollte mit den Augen. Aber nun übernahm sie die Formulierung der Stellenanzeige und diese erschien dann nicht nur in der Tageszeitung, sondern auch auf einem Karriereportal im Internet.

Nun sind die Zeiten vorbei, wie ich sie noch erlebt habe, dass sich auf ein Stellenangebot 20 und mehr Bewerberinnen und Bewerber meldeten und man als Arbeitgeber aussuchen konnte.
Ich habe alle Bewerbungen immer sorgfältig gelesen und den Kandidaten, die nicht infrage kamen, telefonisch abgesagt. Alle Bewerbungsunterlagen haben wir zurückgeschickt. Mir war nämlich bewusst, dass Bewerbungsmappen viel Geld kosten.
So war das auch bei Josef Luttermann. Doch zu seiner Verwunderung bekam er gar keine Bewerbungsmappen, sondern nur Ausdrucke aus dem PC. Alle Bewerberinnen und Bewerber hatten Word-Dokumente und im besten Fall PDF-Dateien geschickt.

Das fand der Bestatter gar nicht so übel, blieb ihm auf diese Weise doch das Zurücksenden der Unterlagen erspart. Sechs Leute hatten sich gemeldet. „Die Männer will ich nicht“, sagte er zu seiner Tochter: „Mit Frauen habe ich in der Buchhaltung einfach in den letzten 30 Jahren bessere Erfahrungen gemacht.“

„Dann schicken wir den beiden Herren eine Absage und schreiben keine Begründung dazu, dann gibt’s auch keinen Ärger.“

So sollte es dann auch geschehen, doch einer der Herren kam der Absage zuvor, indem er spontan im Unternehmen auftauchte, sich vielmals für den ‚Überfall‘ entschuldigte, aber er sei doch zufällig in der Nähe gewesen, wolle sich nun mal eben persönlich einen Eindruck verschaffen und überhaupt, wo er doch jetzt schon mal da sei…

Josef Luttermann fand den Bewerber sehr sympathisch. Ein freundlicher Herr, Mitte dreißig, verheiratet, sehr gute Referenzen und er hatte sogar vor Jahren schon einmal zwei Jahre für einen Bestatter im Fränkischen gearbeitet.
Aber es war halt eben ein Mann, und einen Mann wollte der Unternehmer doch nicht. So tat es ihm redlich leid, dass er dem Bewerber nun würde absagen müssen.
Doch dann hatte Luttermann eine Idee. Am Wochenende würde er mit all seinen Mitarbeitern, guten Lieferanten und ein paar Leuten aus dem Kundenkreis ein kleines Grillfest feiern, um die drei neuen Filialen sozusagen einzuweihen. Er würde den Bewerber auf dieses Fest einladen und ihm dann in der netten Atmosphäre des Festes beiläufig zu sagen, dass er ihn nicht nehmen würde.

„Wissen Sie was, am Wochenende feiere ich die Einweihung der neuen Geschäfte. Kommen Sie doch dahin, da können wir uns etwas beschnuppern.“

„Das ist doch eine Schnapsidee!“, meinte seine Tochter vorwurfsvoll dazu: „So macht der sich jetzt Hoffnungen und genau in der schönsten Stimmung sagst Du ihm dann ab!“

„Quatsch, der soll leckere Würstchen essen, ein paar Bier trinken und es schön haben, das schafft dann eine Stimmung, in der er die Absage besser verdauen kann. So hat er wenigstens das schöne Fest genießen können“, winkte der Beerdigungsunternehmer ab.

Das Fest war schön, das Wetter spielte mit, Weißwürste, Weißbier, Limo, Pommes und viele weiß-blaue Fähnchen. Einige Gäste hatten noch Salate mitgebracht und eine Frau hatte eine große Schüssel mit Erdbeerquark gemacht, der sich besonderer Beliebtheit erfreute.
Man stand in kleinen Grüppchen beisammen und unterhielt sich über dies und das. Auch der Bewerber war gekommen, hatte sich in Schale geworfen und wurde von etlichen anderen Gästen für einen Mitarbeiter des Beerdigungsinstituts gehalten.
Eine ältere Frau erkundigte sich bei ihm nach Möglichkeiten einer Sterbegeldversicherung und einer Bestattungsvorsorge. Der Mann gab geflissentlich Auskunft, so gut er konnte. Ein Sarglieferant schwärmte ihm später etwas von seinen neuen laminierten Sperrholzsärgen vor.

„Und, unterhalten Sie sich gut?“, erkundigte sich Luttermann nach seiner kurzen Ansprache bei dem Bewerber. Der nickte und erzählte Luttermann von den neuen laminierten Särgen, von denen er eben erfahren hatte. Luttermann meinte: „Das ist interessant, da werde ich Montag mal anrufen. Aber eins muss ich Ihnen leider noch sagen…“

Der Bewerber hörte sich die Absage mit hochgezogenen Augenbrauen an, stellte dann wortlos sein Glas auf einen Tisch und ging, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen.

Eine Woche später hatte das Bestattungshaus Post von einem Rechtsanwalt bekommen. Der Bewerber verlangt die Zahlung von drei Monatsgehältern.

Es gehen viele Anwaltsschreiben hin und her. Luttermann ist außer sich. Seine Tochter gibt ihm alleine die Schuld.

Die Sache geht vor’s Arbeitsgericht.

Und wie hat das Gericht geurteilt? Nun, Josef Luttermann wurde verurteilt, dem Bewerber die geforderten drei Monatsgehälter zu zahlen.

Nach dem Bewerbungsgespräch sei eine Einladung zu einer Firmenfeier erfolgt. Zu dieser seien nur Personen geladen gewesen, die in einer Beziehung zum Unternehmen standen. Mithin habe der Bewerber annehmen dürfen, ebenfalls in einer Beziehung zur Firma zu stehen. Aufgrund der vorangegangenen Bewerbung habe er insbesondere annehmen dürfen, bereits informell angestellt worden zu sein. Zudem habe er im Rahmen dieser Veranstaltung bereits ein Kundengespräch geführt und sei in einer Geschäftsbeziehung beratend tätig geworden. Somit habe er auch die typischen Leistungen eines Angestellten erbracht. Der Bewerber sei also als Angestellter für das Bestattungshaus tätig geworden und deshalb stehe ihm eine Bezahlung zu. Die Tatsache, dass er noch am selben Tag erfahren habe, nicht angenommen worden zu sein, ändere daran nichts.

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Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 21. Januar 2024 | Peter Wilhelm 21. Januar 2024

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4 Kommentare
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Felix
3 Monate zuvor

Geschieht ihm recht, dem etwas unlauteren Luttermann.

Nobody
Reply to  Felix
3 Monate zuvor

Halte ich alles für relativ fragwürdig… die meisten vereinbaren Probezeiten wo eine Kündigung zum nächsten Arbeitstag möglich ist. So ein geschachere ist vielleicht maximal unschön, aber deswegen vor Gericht? Für mich galt schon immer, was du nicht schriftlich hast, hast du gar nicht. Und wer sich nicht an Versprechen hält, der ist bei mir unten durch. Das hat aber nichts mit Geruchten oder sonst was zu tun. Wer wirklich glaubt das der Lohn für diese Leistung drei Monatsgehälter entspricht, dem ist nicht zu helfen. Über nen Lohn für den Tag könnte man sicherlich streiten, soweit das Missverständnis plausibel ist, was es für mich aber schon nicht ist. Da fehlt mir ein „sie sind eingestellt“, „wir versuchen es mal mit ihnen“, „herzlich willkommen in unserem Betrieb“, „den Papierkram machen wir nächste Woche“, was auch immer…

Aber ebenso einfache Regel, Vor Gericht und auf hoher See, bist du in Gittes Hand. Wird ihm wohl ne Lehre sein in Zukunft klarer zu kommunizieren.

Felix
Reply to  Nobody
3 Monate zuvor

Ich bin auch kein Jurist, denke aber, dass das Arbeitsgericht hier die FIKTION eines typischen Arbeitsvertrags mit branchenüblicher Bezahlung und Kündigungsfrist zu Grunde gelegt hat. Es geht überhaupt nicht darum, dass die Beratung der Gäste einer Arbeitsleistung von drei Monaten entspräche, sondern dass der Buchhalter dieses Einkommen bei ordentlicher Anstellung und fristgemäßer Kündigung erzielt HÄTTE. Überhaupt stehen Arbeitsgerichte im Ruf, im Zweifel eher gegen den Arbeitgeber zu entscheiden, wenn sich dieser derart nach Gutsherrenart verhält. Ich find das richtig.

Nobody
Reply to  Felix
3 Monate zuvor

Kam man so sehen. Aber wie gesagt, grenzt für mich an eine noch nicht abgesagte Bewerbung mit unaufgeforderter Arbeitsaufnahme. Schon son bischen wild west. Aber ich kenne auch die Regel, wenn z.B. ein Zeitvertrag endet und keine besondere Kündigung erfolgt, man am nächsten Tag zur Arbeit kommt und einfach eingesetzt wird wie immer, das der Vertrag automatisch unbefristet fortgeführt wird. Ähnlicher Quatsch aus meiner Sicht. Aber sicherlich ist es naheloegend einem Firmeninhaber/Kaufmann die hauptlast der Verantwortung zu übertragen.

Meinetwegen, ob sowas gerecht und auf Augenhöhe ist, und wie es moralisch aussieht, mag jeder für sich bewerten.




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