Gleich zu Anfang der Geschichte um unseren Henning wurde ja der Verdacht ausgesprochen, eben jene Laus in meinem Pelz habe einen recht teuren Ratschenkasten geklaut. Ein Ratschenkasten wird, je nach Region und Handwerk auch mal Nüssekasten oder Knarrenkasten genannt und enthält ein hebelförmiges Drehwerkzeug, an welches man zahlreiche Aufsteckteile stecken und mit dem man die unterschiedlichsten Schraubverbindungen lösen oder festziehen kann. Da das Hebelwerkzeug wahlweise links- oder rechtsherum in seiner Drehbewegung festgestellt werden kann, machen manche dieser Werkzeuge ein knarrendes oder ratschendes Geräusch.
Solche Werkzeugsätze gibt es schon für kleines Geld im Baumarkt, aber die Erfahrung lehrt, daß die auch sehr schnell kaputtgehen. Etwas bessere Ausführungen fangen bei 50 Euro an und sind mit 200 Euro noch nicht am oberen Ende angekommen. Unser Ratschenkasten war ein richtiger Koffer mit allen möglichen Teilen, die wir in der Werkstatt so benötigen und er war richtig teuer, Profiqualität eben. Soweit ich mich erinnere, hatte der in Rede stehende Ratschenkasten rund 250 bis 300 Euro gekostet, was mal in etwa 500-600 Mark waren, und wofür man sich in meiner Jugend ein gebrauchtes Auto kaufen konnte. Aber die Zeiten ändern sich. Nichts geändert hat sich jedoch an der Tatsache, daß eben jener Ratschenkasten verschwunden blieb und sich dessen Verbleib auch nicht klären ließ.
Henning ist ja ohne behördliche Verfolgung aus unserem Blickfeld entschwunden und fast schon hätte ich mir gewünscht das andere schwarze Schaf, der Sommerfeld, hätte ihn geklaut, denn wie man hört ist bei dem die ganze Bude auf den Kopf gestellt worden. Immerhin hätte auf unserem Ratschenkasten der Firmenname draufgestanden…
Jetzt habe ich ja verständlicherweise andere Dinge zu tun, als meine cerebralen Kräfte ständig auf irgendwelchen verschwundenen Werkzeuge zu lenken. Der Ratschenkasten ist längst ersetzt und es krähte hier auch schon längst kein Hahn mehr danach.
Und doch sollte ich noch einmal über diesen Kasten stolpern, wenn auch nur in übertragenem Sinn. Von Henning hatte ich nichts mehr gehört, Gerüchte die unter Kollegen kursierten, berichteten davon, er sei oberster Schirmmützenträger in einer beliebten amerikanischen Frikadellenbraterei.
Dann kam der denkwürdige Tag, an dem Herr Huber in mein Büro stolzierte und mir unseren Ratschenkasten auf den Schreibtisch stellte. Zunächst dachte ich, der Kasten sei jetzt beim Aufräumen wieder aufgetaucht und wir hätten unseren lieben Dreistling Henning zu Unrecht beschuldigt.
„Ist er wieder aufgetaucht?“ fragte ich und Huber nickte. „Wo war er denn?“ fragte ich weiter und Huber grinste mich an und sagte: „Das raten Sie nie, Chef.“
Ich mag keine Ratespielchen, schon gar nicht, wenn ich sie nicht veranstalte, und deshalb fragte ich nach: „Ja und, raus mit der Sprache, wo kommt der jetzt her?“
Huber berichtete mir, daß er und seine Frau immer in der Tageszeitung nach den Versteigerungen des Pfandhauses und der Gerichtsvollzieher Ausschau halten. Da habe er ein gewisses Faible für entwickelt und es mache ihm einen Riesenspaß, da mitzubieten und so manches Schnäppchen habe er da schon gemacht. „Für fünf Euro bekommt man da schon ganz tolle Sachen. Neulich habe ich für jeweils fünf Euro fünf Umzugskartons mit Räumungsgut ersteigert. Das nennt der Gerichtsvollzieher immer ‚Überraschungskisten‘, man weiß ja nie was da drin ist. Manchmal hat man Glück, manchmal ist aber auch bloß alter Mist drin. In diesen Kisten war auch nur alter Krempel drin, Fotos von irgendwelchen Leuten und jede Menge Privatbriefe. Fast schon peinlich. Aber in der vorletzten Kisten waren drei Silberteller, ganz angelaufen und schwarz. Die haben wir geputzt und mein Sohn hat die bei Ebay für 120 Euro pro Stück versteigert. Glück muß man eben haben.“
„Ja und was hat das jetzt mit unserem Ratschenkasten zu tun?“
„Na, den hab‘ ich auch ersteigert. Als der Gerichtsvollzieher den auf den Tisch stellte, hab‘ ich doch sofort erkannt, daß das unser Kasten ist. Bei zwei Euro gingen die Gebote los und bis vier Euro hat noch ein Türke mitgeboten, dann hatte ich ihn für fünf.“
„Weiter!“
„Ja, der stammt aus einer Totalpfändung und Zwangsräumung. Ich kann ja nicht sagen, bei wem der gepfändet oder mitgeräumt worden ist, aber der Obergerichtsvollzieher Meier, der das versteigert hat, der ist für Hennings Stadtteil zuständig. Und ich bin ja nicht neugierig, aber gestern Abend bin ich mal da vorbei gefahren und siehe da, die wohnen da nicht mehr. Ich nehm‘ mal an, daß die zwangsgeräumt worden sind.“
Man soll ja keine Freude über den Schaden, den andere erleiden, empfinden, aber was sollen wir machen? Huber und ich jedenfalls haben mit Henning und seinen Eltern kein Mitleid.
Wir werden der Sache nicht weiter nachgehen. Jetzt noch herausfinden zu wollen, bei wem der Kasten gepfändet wurde, dem dann eine Anzeige anhängen, das wäre alles zu aufwendig. Wir machen ein neues Schild mit unserem Firmennamen an den Kasten, das alte war bis zur Unlesbarkeit zerkratzt, ich erstatte Huber seine fünf Euro und wir haben unseren Ratschenkasten wieder. Immerhin.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schöne gesichte, da hat sich das warten aber auch mal gelohnt! THX Tom Weihnachten ist erstmal gerettet!
Oh ich meine Geschichte nicht gesichte
Geschichten die das Leben schreibt, einem Romanautor würde man unterstellen er habe sich alles aus den Fingern gesaugt.
So eine Zwangsvollstreckung ist nicht schön, auch wenn man auf der anderen Seite steht. Der Beklagte läßt einfach alle Fristen verstreichen und man selbst hat nur Kosten und viel Ärger. Nun läuft der Antrag auf Haftbefehl, mit 80 Euro war das, daß Billigste am ganzen Verfahren. Eigentlich bin ich ein friedfertiger Mensch, aber manchem sei gegönnt, wenn er mal tüchtig gegen die Laterne läuft.
Lieber Tom, vielen Dank für Deine Geschichten, an denn ich immer mit viel Freude und manchmal mit etwas Traurigkeit teilhaben darf. Von Herzen wünsche Dir und Deiner Familie ein erholsames und genußvolles Weihnachtsfest.
Ich würde auch gern an solchen Versteigerungen teilnehmen, aber ich hab bis jetzt keine Seite gefunden wo das mal stünde.
Und welche der vielen Tageszeitungen hier jetzt das offizielle Amtsblatt ist, weiß ich auch nicht 🙁
Ja, die Pfandversteigerungen machen echt Spass. Gold und Schmuck teilen sich die meist 15 Anwesenden Juweliere (jeweils mit Feinwaage ) unter sich auf, der Rest geht für teilweise interessante Preise unters Volk. Meistens kaufe ich DVD- und CD-Sammlungen auf und was am Ende des Tages (wegen zu hohem Preisansatz) nicht weggegangen ist kann man am Schluss nochmal „en gros“ verhandeln.
Wenn man 3-5 x dagewesen ist, kennt man die Stammgäste, das Preissegment und den Versteigerer. Bei denen ich hingehe ist das immer ein echter Spassvoge, da wird es nie langweilig 🙂
Wahrscheinlich „Ruptur pulmonalis“ oder „Pulmonale Ruptur“ oder „Pneumothorax durch Ruptur mit Asphyxation“, kommt ganz auf den Schreibstil des Arztes an
obiger kommentar war leider beim falschen eintrag, sorry
Ich hab gedacht den Artikel gibt es heute abend zur Bescherung. Naja, dann eben nicht. 🙁
Fröhliche Weihnachten
War im Taschenkasten ein denn eine Inventarnummer/Eigentumshinweis z.B. mit Schlagbuchstaben aufgebracht….?
Schöne Geschichte,
ich finde allerdings, dass Huber etwas mehr verdient hätte. Schließlich hat dieser Ratschenkasten ja seinen Wert.
Frohe Weihnachten
Warum? An gestohlenem Gut kann man sowieso kein Eigentum erwerben ergo gehörte der Kasten Huber nicht. Es sieht aber auch so aus als ob er ihn gerne wieder hergegeben hat.
„§ 932 BGB – Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten
(1) 1 Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. 2 In dem Falle des § 929 Satz 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den Besitz von dem Veräußerer erlangt hatte.
(2) Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.“
Daher hätte jeder der NICHT wusste, dass das Toms Kasten ist, Eigentum daran erwerben können.
Da Herr Huber den Kasten aber erkannt hat, und damit wusste dass er Tom gehört, konnte ER kein Eigentum daran erwerben.
Ist das nicht ziemlich egal, wessen Eigentum das Teil vor der Rückgabe an Tom war? Hey, es ist Weihnachten…die Henning-Saga hat ein glückliches Ende gefunden, also hört auf zu nörgeln 😉
Ab zur Familie, Weihnachten feiern!
Frohes Fest Euch allen!
Oliver
Hallo,
nur fünf Eur für den Herrn Huber? Der muss MINDESTENS 20 bekommen, als kleines Dankeschön für seine Mühe. Und im Anbetracht des Wertes des Kastens sowieso.
Andreas mit dem Liegerad
@Er: § 935 BGB. An abhanden gekommenen Sachen kann sowieso kein gutgläubiges Eigentum erworben werden.
Huber sofort wegen Hehlerei anzeigen und fristlos kündigen! 😉
Ich würde dem Herrn Gerichtsvollzieher schon mitteilen, wo der Kasten herkommt. Gestohlen ist gestohlen!
„…er sei oberster Schirmmützenträger in einer beliebten amerikanischen Frikadellenbraterei.“
Schön, daß Henning jetzt endlich einen Arbeitgeber gefunden hat, der ihm eine leitende Position mit Firmenwagen und Dienstwohnung anbieten kann.
FROHE WEIHNACHTEN!
Dann kannste ja einen Kasten hier versteigern.
Was willste denn mit zwei Kästen? Man muß auch mal loslassen können. Ich hätt ihn dem Huber gelassen, und nur zur Kenntnis genommen, dass er wieder aufgetaucht ist. Weil Weihnachten ist. – Oder so –
Der wird versteigert auf ebay.
Die Chancen stehen gut, dass das mehr brächte, als ein Original von Gedore.
Bei der Versteigerung wird nicht nach § 929 BGB übereignet, sondern hoheitlicher Eigentumserwerb begründet – selbst wenn der Käufer weiß, daß das Pfandgut unrechtmäßig versteigert wird oder es abhanden gekommen ist, wird Eigentum erworben.
D.h. der Kasten gehört(e) Herrn Huber und niemandem sonst.