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Geschichten

Die Kuckucksuhr

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Emma und Georg Mandel, genannt Emmel und Schorsch, waren schon seit über 50 Jahren verheiratet. Manchmal kann es passieren, daß man sich während einer so langen gemeinsamen Zeit schon alles erzählt hat und sich somit im Alter nicht mehr viel Neues zu sagen hat. Das was sie sich zu sagen hatten, das trugen sie sich gegenseitig in einer Art Kleinkindersprache vor.

„Hat denn der Schorschi fein Bubu gemacht?“ fragte Frau Mandel, als ihr Mann vom täglichen Mittagsschlaf auferstanden und zu uns in die Küche gekommen war. Er antwortete: „Hattu lecker Käffchen für den Schorschi?“

Jaja, ich sag ja Maus zu meiner Alten und das ist allemal besser als würde ich die Begriffe andersherum verwenden, aber ansonsten bemühen wir uns doch um eine halbwegs vernünftige Sprache. Aber diese beiden alten Leute, deren Ehe kinderlos geblieben war, liebten es offenbar, auf ihre Weise zu kommunizieren und als Dritter im Bunde, nur zu Gast, um eine Bestattungsvorsorge niederzuschreiben, kommt man sich da schon ein bißchen komisch vor. „Hattu noch Essi-Essi oder willtu noch Stückele Kuchen?“ fragt Frau Mandel ihren Mann und an mich gewandt: „Und Sie, möchten Sie auch noch ein Stück?“

Die Bestattungsvorsorge ist ganz schnell unter Dach und Fach, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß Frau Mandel und ich schon so ziemlich alles besprochen hatten und Herr Mandel nur sagt: „Ich will das Gleiche wie meine Frau, ganz genauso, schreiben’se das auf, alles genauso.“

Wieder ins Büro zurückgekehrt, tippe ich das alles in den PC, lasse es von Nadine ausdrucken, hefte die notwendigen Unterlagen an und Frau Büser ist so nett, abends auf dem Heimweg noch bei den Mandels vorbeizufahren und die Unterlagen vorzulegen. Am nächsten Tag brachte sie die unterschriebenen Vorsorgen mit.

Es vergehen vielleicht fünf oder sechs Tage, die Vorsorge war noch ganz warm, lag noch im grauen Ablagekorb rechts auf meinem Schreibtisch, da ruft uns Frau Mandel an und teilt uns mit, ihr Mann sei vergangene Nacht gestorben.

Wenig später sitze ich wieder in der Mandel’schen Küche, Frau Mandel hat es an den Beinen, sie verlässt das Haus nur selten und widerwillig, und bin erschüttert. Als Bestatter hat man tagtäglich mit dem Tod und mit Toten zu tun, aber es ist doch immer wieder eine etwas andere Situation, wenn man die Leute gekannt hat; und sei es nur, weil man mit ihnen bei einem einzigen Gespräch gelacht, gescherzt und Kuchen gegessen hat.

Frau Mandel ist fix und fertig, das kommt aber eher daher, daß ihr der plötzliche Tod ihres Mannes einen gehörigen Schreck eingejagt hat und daß ihr Schorschi ihr leid tut. Der Verlust an sich, so ist mein erster Eindruck und der würde sich später auch noch festigen, macht ihr weniger zu schaffen.
Herr Mandel war bereits 86 Jahre alt und hatte in den letzten Jahren gesundheitlich sehr abgebaut. „Der konnte ja kaum noch was sehen, aber meinen Sie, der hätte sein Auto abgegeben? Der Wagen steht seit mindestens sechs Jahren angemeldet und versichert in der Garage und der Schorsch ist keinen Meter mehr gefahren. Ist dasselbe wie mit dem Haus in der Schweiz. Da waren wir vor 25 Jahren mal in Urlaub und er hat sich in den Kopf gesetzt, daß er eines Tages dort seinen Lebensabend verbringen würde. Da mußte unser ganzes Erspartes in ein Haus gesteckt werden und was war dann? Ganz einfach, wir waren zu alt und zu klapprig, um da hinzuziehen. Zweimal im Jahr haben wir uns mit der Eisenbahn auf den Weg gemacht und ein paar Tage dort verbracht, aber glauben Sie mir, das war nur Mühsal und Arbeit und hat keinen Spaß gemacht. Jetzt kann ich diese Klötze am Bein endlich abstoßen, ich fange heute schon an. Gleich kommt nämlich eine Frau von der Kirchengemeinde und holt die ganzen Klamotten vom Schorsch ab. Da gibt es bestimmt noch arme Leute, die sowas gut anziehen können. Am Besten wir suchen gleich mal einen Anzug für meinen Mann raus, damit der was Anständiges anzuziehen hat, wenn er im Sarg liegt.“

Sie entscheidet sich für einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine ebenfalls dunkelblaue Krawatte mit feinen silbernen Streifen. „Ganz im Vertrauen, das hat der Schorsch nur ungern angezogen, dabei sah er immer so toll aus, wenn er das an hatte. Ich meine, der merkt das doch jetzt nicht mehr, oder?“

Ich lächele und schüttele langsam den Kopf: „Nein, das merkt er nicht.“

„Gut so, schließlich soll er mir ja gefallen, wenn er so daliegt. Schöner wird der bestimmt nicht, wenn er da so im Sarg liegt, da soll’er wenigstens was Hübsches an haben.“

Die restlichen Formalitäten sind rasch geklärt, noch von Frau Mandels Telefon aus erreiche ich das Friedhofsamt und bekomme einen Beerdigungstermin, der auch dem Pfarrer passt, den ich praktischerweise ebenfalls problemlos erreiche. So können Frau Mandel und ich auch gleich noch die Anzeige für die Zeitung besprechen und die Blumen gemeinsam bestellen.

Wenig später stehe ich an der Wohnungstür, habe den Anzug des Herrn Mandel über dem linken Arm, meinen Aktenkoffer in der rechten Hand und Frau Mandel will mir gerade die Tür öffnen, da klingelt es.
Frau Mandel sagt: „Ach, das wird die Frau von der Kirchengemeinde sein, die die Klamotten vom Schorsch abholt“, sie öffnet die Tür und wer steht da vor mir?

Frau Birnbaumer-Nüsselschweif!

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Juli 2012 | Peter Wilhelm 16. Juli 2012

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19 Kommentare
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14 Jahre zuvor

Jetzt wird es erst interessant! Oink, oink!

Falkenhayn
14 Jahre zuvor

Juhuhh… ein Cliffhanger. Das ich das noch erleben durfte. Schnief

Big Al
14 Jahre zuvor

Und das Rüsselschwein reißt Tom den guten Anzug aus der Hand, zieht ihm eine Kuckucksuhr über den Schädel und schreit: „Gut das ich noch rechtzeitig kam bevor der da Sie ausplündert!“
Oder so ähnlich…
😉 B. A.

Christian
14 Jahre zuvor

Das Rüsselschwein ist wieder da. Ich hol schon mal das Popcorn.

Kampfschmuser
14 Jahre zuvor

Fräulein Birnbaumer-Nüsselschweif will die Kuckucksuhr, da sie über 7 Ecken und den Marktplatz mit dem Schorschi verwandt war und ihr das natürlich zusteht. Eigentlich viel mehr, aber die Kuckucksuhr reicht ihr natürlich.

lya
14 Jahre zuvor

„ich sag ja Maus zu meiner Alten und das ist allemal besser als würde ich die Begriffe andersherum verwenden“
brilliant dieses Wortspiel!
Danke Tom

Undomiel
14 Jahre zuvor

@1 Falkenhayn: das war auch mein erster Gedanke, gib mir fünf!

Obwohl … fröhlich nebeneinander an der Klippe hängen und „highfive“ patschen ist vielleicht eine eher suboptimale Idee.

Jedenfalls freu ich mich auf die Fortsetzung! *Christian das Popcorn klau*

Petra aus Wien
14 Jahre zuvor

das rüsselschwein! – ich hab sie schon vermisst 🙂
was der tom wohl wieder angestellt hat???

14 Jahre zuvor

Ein Birnbaum-Cliffhänger! Ich freu mich!

Ich finde übrigens den Satz „Schöner wird der bestimmt nicht“ besonders zutreffend.

Turtle
14 Jahre zuvor

Die Nuesselschweif is back! Und alle so „yeah“!

Frau Mandel ist ja sehr knuffig. Ich hoffe die wird von der Hohlbirne nicht geaergert.

Thomas
14 Jahre zuvor

Ich dachte immer, daß meist niemand die Kuckucksuhr haben will. Jedenfalls bin ich so zu meiner gekommen.

Kirstin
14 Jahre zuvor

Die Frau Birnbaumer-Nüsselschweif kommt mir fast schlimmer vor als die Geheimagenten im ehemaligem Osten.
Welche Ämter bekleidet die Dame denn noch????

Ronald
14 Jahre zuvor

Irgendwann wird der Plot sich so drehen und wenden, dass Birnbaum-Nüsselschweif Filialen der Pietät Eichenlaub übernimmt und so zum direkten Konkurrenten wird.

Tom kanns doch mit Lost, Prison Break, CSI locker aufnehmen. 🙂

Willy
14 Jahre zuvor

Hurra! Die Birnbaumer. Die mag ich am Liebsten! =) …

Alica
14 Jahre zuvor

Ist Birnbaumer-Nüsselschweif ein Sammelbegriff wie Eichenlaub oder wirklich eine einzige Person?

Nobody
14 Jahre zuvor

Die Birnbaum ist ein Sammelbegriff wie die meisten immer wieder auftauchenden Namen.
Das ist bei den Angestellten ja auch so. Wir kennen nur wenige aber alles was in dieser Position passiert wird dem einen zugeschrieben. Also falls es ein Fahrer war, dann war es Manni. Egal ob er es war oder ein anderer.

pünktchen
14 Jahre zuvor

Nobody: Spaßverderber!

Ist doch egal, wieviele Personen sich hinter dem Rüsselschwein verstecken, ich hab ein Bild von ihr und dass passt immer. Schade, dass ich nicht zeichnen kann …

Asz
14 Jahre zuvor

Meine ersten Gedanken: „Oh Graus!“

MacKaber
14 Jahre zuvor

So, jetzt hol‘ ich diese Story nach. Hab sie mir aufgespart. Hat den Vorteil, dass ich nicht so lange auf die Fortsetzungen warten muß. Das hilft auch dagegen, dass der Adrenalinspiegel ein Dauerhoch hat.




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