Branche/Kommune

Ein paar zusammengenagelte Latten, ist der Berliner Leichenskandal wirklich einer?

Es gab in den letzten Tagen viel Aufregung um die zwölf vorübergehend verschwundenen Särge mitsamt der darin befindlichen Leichname.
Autodiebe hatten einen neutral gestalteten Leichentransporter in der Nähe von Berlin entwendet und es ist anzunehmen, daß die polnischen Autodiebe (wer das einen Pleonasmus nennt, ist böse!) es eigentlich allein auf den/die Transporter abgesehen hatten, dürfte außer Frage stehen. Schnell, schnell und weg. Und am Zielort angekommen wird dann der Wagen näher untersucht und den Gaunern dürfte nur „cholera jasna!“ über die Lippen gekommen sein. Darauf wette ich!

Glücklicherweise haben sie aus Zorn und Enttäuschung den Wagen nicht einfach in Brand gesetzt oder in einer entlegenen Kiesgrube verschüttet. Beide Varianten gäben spöttischen Zungen sicherlich Grund zu Hohn und Spott, jedoch darf man nicht vergessen, daß wir es hier mit zwölf toten Menschen und vielleicht an die hundert trauernden Angehörigen zu tun haben, die alles andere als Hohn und Spott verdient haben.

Im erzkatholischen Polen, in dem auch eine besonders ausgiebige Trauertradition gepflegt wird und wo man gegenüber Verstorbenen, auch aus altem Aberglauben heraus, ganz besonderen Respekt zollt, ist es nahezu undenkbar, daß die Diebe den Wagen gestohlen hätten, wenn sie nur im Geringsten eine Ahnung von der Fracht gehabt hätten.

Werbung

Der Bundesverband der Deutschen Bestatter e.V. brandmarkt nun in einer eilends herausgegebenen und sehr durchsichtigen Pressemitteilung das Vorgehen der Bestatter und der Überführungsfirma.

Man spricht in dieser Pressemitteilung, die ich unten wiedergebe, an, daß man auf die Grundlagen ethisch verantwortbarer und pietätvoller Überführungen, sowie auf seriöse Bestatterdienstleistungen hinweisen möchte und beschreibt in vielen Worten die Vorkommnisse erneut und beklagt die „Entsorgungsmentalität“. Sodann kriegt man aber beim Wort „Entsorgungsmentalität nicht die gesellschaftliche Kurve sondern verharrt auf der Stelle, scharrt dort mit den Füßen und wirft weiterhin die Begriffe „Lockvogelangebote“, „Leichentourismus“ und „Discountbestattung“ in die Runde.

Wer sorgfältig liest, wird entdecken, daß unter dem Deckmantel der Aufregung über angeblich pietätloses Verhalten nur die Werbebotschaft steckt, daß man allein bei den Betrieben, die diesem Verband angeschlossen sind und eine entsprechende Ausbildung nachweisen können, gut aufgehoben sei.

Dem ist entgegen zu halten, daß über Generationen Bestattungsdienstleistungen zur vollsten Zufriedenheit der trauernden Hinterbliebenen von Schreinern und Fuhrunternehmen OHNE JEGLICHE FACHSPEZIFISCHE BESTATTERAUSBILDUNG erbracht worden sind.

Bestattungskultur ist nicht etwas, was ein Verband diktiert. Pietät ist nichts, was sich durch eine DIN-Regelung in die Köpfe der Menschen hämmern läßt.

Zunächst einmal fehlt jeglicher Aufschluß darüber, ob nicht auch Unternehmen, die diesem Verband angeschlossen sind, auch mit solchen billigen Särgen in großen Transportern überführen lassen und nicht auch das jeweils günstigste Krematorium frequentieren. Ich unterstelle das nicht, halte es aber nicht für ausgeschlossen.
Man kann als Verband nicht so tun, als lebten nur außerhalb des Verbandes die Dreckspatzen. Oder härter formuliert: Man kann nicht so tun, als sei man der Hüter des Bestattungsgrals und alle Nichtmitglieder täten schlecht.

Es war schon immer so, daß die Kunden bestimmt haben, was die Bestatter verkaufen und leisten. Der Bestatter kann nur anbieten und auf Notwendiges hinweisen. Ist da kein Bedarf für Billigbestattungen, so bietet auch kein Bestatter solche an!
Es hat auch nichts mit der (würg) „Geiz-ist-Geil-Mentalität“ zu tun, daß Menschen solche Bestattungen auswählen. Vielmehr ist der Wunsch nach einer möglichst billigen Bestattung einerseits Ausdruck der finanziellen Verzweiflung und andererseits des gesellschaftlichen Wandels.
Würde man Menschen nicht mit lächerlichen Sozialleistungen, Miniaturrenten, Niedriglöhnen und in wahnsinnige Höhen entschwindenden Friedhofsgebühren und Energiepreisen künstlich knapp halten, kämen sie nicht in die verzweifelte Situation, eine solche Billigbestattung wählen zu müssen.

Auf der anderen Seite haben die Kirchen (und viele sagen: aus eigenem Verschulden) und Friedhöfe an Bedeutung verloren. Eine mobile Gesellschaft legt mitunter nicht mehr so viel Wert auf einen Ort der Trauer und viele glauben, mit einer anonymen Billigbestattung ganz im Sinne der Verstorbenen zu handeln, der möglicherweise selbst darum gebeten hat, „nicht so viel Gedöns“ um seine Beerdigung zu machen.

Daß man aber für 499 Euro oder 799 Euro nichts Vernünftiges bekommen kann, liegt auf der Hand. Bei rund 1.300 Euro (ohne Friedhofskosten) ist irgendwann Schluß, viel niedriger geht es bei einem vernünftigen Bestatter kaum. Auch eine liebevolle Betreuung und sorgfältige Beratung hat ihren Preis, auch brauchbare Pietätswaren haben ihren Preis und auch die oben genannten Kostensteigerungen wirken sich auf die Bestatter aus.
Bestattungen unter 1.000 Euro sind kritisch zu betrachten. Im Einzelfall kann das in Ordnung gehen, vor allem wenn man mit einem guten Bestatter alles Verzichtbare wegläßt.
Wer aber, aus welchen Gründen auch immer, zu einer Billigbestattung greift, der bekommt eben auch nur „billig“.

So gesehen muß man den zwei polnischen Kerlen ja fast schon dankbar sein, daß sie durch ihre zu verurteilende Tat, diese Thematik so plakativ ans Licht der Öffentlichkeit gebracht haben. Vielen ist dadurch überhaupt erst einmal vor Augen geführt worden, daß es diese Billigtransporte und Sparsärge überhaupt gibt. Manch einer, der eventuell eine solche Bestattung in Auftrag geben wollte, ist jetzt von diesem Gedanken wieder weit entfernt.

In diesem Zusammenhang aber von Leichentourismus zu sprechen, ist ein Hohn. Verhöhnt werden die Menschen, die solche günstigen Bestattungen in Auftrag geben müssen.
Tourismus ist etwas, das der Entspannung und Belustigung dient. Leichentransporte sind das hingegen nicht. Ein Wort also, das nur einen ernstzunehmenden Sachverhalt verhöhnt.

Im übrigen ist der Transporter mit zwölf Leichen doch nur ein Witz, da fahren große LKW mit über 40 Leichen beladen in die Tschechei. Pietät Eichenlaub läßt grüßen!

Ab wann, neben bei bemerkt, eine Holzkiste den Namen Sarg verdient hat, das liegt ja nunmal einzig im Auge des Betrachters. Sechs Bretter reichen aus, um die Anforderungen zu erfüllen, ein Boden, vier Seitenteile und ein Deckel.
Ob so ein roher, unbehandelter Verbrenner für 40 Euro aus Polen ein Sarg ist oder ein furnierter Eichensarg in altdeutsch, wer will das festlegen? Wird in dem Moment, in dem ein Sarg kein hochgearbeitetes Oberteil mehr hat, sondern nur noch eine flache Platte, aus diesem Sarg auf einmal ein „Nichtsarg“?

Wer solche Billigbestattungen kaufen muß, der muß sich einfach darüber im Klaren sein, daß er dann auch nur so etwas bekommt. In einen solchen Transporter passend herkömmliche Särge gar nicht hinein, das müssen dann eben solche Flachsärge sein.
(Nachzutragen ist von meiner Seite, daß ich anhand der unscharfen Bilder der Polizei Posen, wie viele andere auch, zunächst annahm, es handele sich um gewölbte Deckel. Tatsächlich sind es aber nur einfache, aus Leisten zusammengefügte Bretter, von denen sich zwei oder drei aufgrund der Waldfeuchtigkeit vor dem Auffinden schon gewölbt hatten. Mit Leichengasen o.ä. hat das nichts zu tun. Holz biegt sich, wenn es naß wird.)

Es ist immer leicht, in einer solchen Situation den Staat anzurufen und in die Verantwortung zu nehmen. Aber wenn das Allgemeinempfinden durch solche Bestattungsformen so gestört wird, wie es hier offenbar der Fall ist, dann muß die größte Einheit des Allgemeinen, eben der Staat, eingreifen. Dann muß eine Regelung geschaffen werden, die sicherstellt, daß sich jedermann eine anständige, würde- und pietätvolle Bestattung leisten kann.
Manche Kommunen machen es vor, die Schweizer können es: Man kann seinen Einwohnern eine günstige, ja sogar kostenlose Bestattung anbieten.

Ich weiß nicht und behaupte auch nicht, daß das DIE Lösung wäre, jedenfalls darf man die Schuld an solchen Vorfällen nicht alleine bei den Billigbestattern suchen. Ich halte persönlich nichts von denen, weil ich ja weiß und immer schon wußte und immer schon darüber berichtete, wie dort gearbeitet wird.
Aber es gibt sie nur, weil die Menschen sie beauftragen (müssen).

Hier die Pressemitteilung, so wie sie heute verteilt worden ist:

Die Vorgänge und Umstände bei dem Diebstahl eines Kleintransporters im Großraum Berlin mit zwölf Verstorbenen nimmt der Bundesverband Deutscher Bestatter zum Anlass, auf die Grundlagen ethisch verantwortbarer und pietätsvoller Überführungen Verstorbener sowie auf seriöse Bestattungsdienstleistungen hinzuweisen. Transporte von zwölf Verstorbenen in nicht geeigneten und kenntlich gemachten Fahrzeugen lehnt der BDB ebenso ab wie die Verwendung unwürdiger Behältnisse, die den Begriff Sarg nicht verdienen.

Die bestürzenden Bilder und Meldungen über die Begleitumstände des Diebstahls eines Transporters mit den sterblichen Überresten von 12 Menschen, die Umstände und das äußere Erscheinungsbild der zum Glück wieder aufgefundenen Särge, sind für den Bundesverband Deutscher Bestatter Schlaglichter einer unverantwortbaren und äußerst fragwürdigen zunehmenden Entsorgungsmentalität, bei der trauernde Angehörige unter Vorspiegelung scheinbar billiger Bestattungen nicht selten eine nicht adäquate Bestattungsdienstleistung zu erwarten haben. Diese Lockvogelangebote offenbaren sich in tragischen Ereignissen wie dem besagten Diebstahl des Fahrzeuges als unwürdig und nicht einmal den geringen Preis wert.

Grundsätzlich gelten klare Anforderungen an Bestattungsdienstleistungen, die in der DIN EN 15017 – einer europaweit geltenden Norm â? klar zusammengefasst und ersichtlich sind. Demnach sind Überführungstransportmittel in Form, Farbe und Erscheinungsbild einem allgemeinen Pietätsempfinden entsprechend zu gestalten. Wäre dies der Fall gewesen, hätten die Autodiebe wohl einen Diebstahl gar nicht in Erwägung gezogen. Ferner muss es sich um Fahrzeuge handeln, die speziell für den Zweck der Überführung von Verstorbenen hergerichtet sind und entsprechenden technischen Mindeststandards genügen müssen. Entsprechend der europäischen Norm ist der Transport von maximal zwei Verstorbenen zu empfehlen, in keinem Fall sind weite Fahrten zu vermeintlich günstigeren Krematorien mit einer derart hohen Zahl von Verstorbenen zu rechtfertigen und können nicht als Ausdruck von Kultur, Respekt und Würde gesehen werden. Auch das nach allen Bestattungsgesetzen der Bundesländer vorgeschriebene Sargbehältnis hat Mindestanforderungen zu entsprechen. Der Verweis auf so genannte „Leihâ?Särge“ für die Trauerfeier und der anschließenden Verwendung einer primitiven Holzkiste zur Kremation, kann nicht als zukünftiger Trend bezeichnet werden und offenbart ein Weltâ? und Menschenbild, das jedes Gespür für den Wert menschlichen Lebens verloren hat.

Formulierungen, die von einem „Leichentourismus“ sprechen, beweisen, dass solche Vorgänge mit einer Bestattungskultur im guten Wortsinne nichts mehr zu tun haben, so der 1. Vorsitzende des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur e.V. und Pinneberger Bestatter Rolf Matthießen. Aus dem Kreis der Landesvorsitzenden und Innungsobermeister auf ihrer diesjährigen Herbstsitzung wurde außerdem deutlich, dass manche im Bereich von Bestattung agierenden Personen in keiner Weise die Bezeichnung als Bestatter verdienen. Vielmehr tummeln sich im Segment der Diskountbestattung auch Menschen, denen die fachliche, handwerkliche, kaufmännische und ethischâ?moralische Qualifikation abhandengekommen sind oder die diese niemals besessen haben. Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Bestatter und Landesinnungsmeister in Badenâ?Württemberg, Christian Streidt, ergänzt in diesem Zusammenhang seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass Mindeststandards unumstößlich einzuhalten sind und diese keinesfalls als teuer gelten müssen. Trauernden Angehörigen und nachhaltig denkenden Menschen ist daher dringend zu empfehlen, schon zu Lebzeiten eine Bestattungsvorsorgevereinbarung bei einem Bestatter des Vertrauens ins Auge zu fassen, um die eigenen finanziellen Möglichkeiten zu sondieren und ein dem eigenen Lebensstil und der Persönlichkeit angemessene Bestattung arrangieren zu können.

Der Bundesverband Deutscher Bestatter, dem rund 80% der Bestattungsunternehmen in Deutschland angehören, sieht sich in seiner Forderung nach einer gesetzlichen Mindestzugangskontrolle zum Beruf des Bestatters bestätigt. Wer mit Angehörigen und Trauernden beruflich zu tun hat, sollte Mindestanforderungen erfüllen, um die notwendige Gewerbezulassung zu erhalten. Bisher ist die Ausübung des Bestatterberufs rechtlich ohne Zugangsbeschränkung möglich, was dazu führt, dass der Beruf auch ohne die notwendige fachliche Qualifikation ausgeübt wird.


Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Kategorie: Branche/Kommune

Die Bestattungsbranche bietet viele Facetten. Bestatter arbeiten mit Verwaltungen, Friedhöfen und Kirchen, sowie Subunternehmern zusammen.

Hier finden Sie meine Berichte und Kommentare zur gesamten Bestattungsbranche.


alle Artikel dieser Kategorie >>
Lesezeit ca.: 13 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 30. Oktober 2012

Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)




Rechtliches