Geschichten

In der Psychiatrie IV

Wundert es jemanden, daß ausgerechnet die Gemüsefrau wieder eine Menge zum Thema beizutragen hatte?
Die Nachrichtenzentrale des Ortes empfing mich gewohnt großbrüstig und ungewohnt einsilbig. So kenne ich die Frau gar nicht, normalerweise brabbelt sie sofort drauflos, erzählt gerne Witze, vor allem uralte und erzählt jedem Kunden, daß sie sich nachmittags immer „Sturm der Liebe“ aufnimmt und dann abends nach Geschäftsschluß anschaut. Aber heute ist sie still, presst die Lippen aufeinander und ich halte vorsichtshalber auch mal meine Klappe. Schon auf dem Weg dorthin zermartere ich mir stets das Gehirn, welche Neuigkeit ich der alten Gurkenwürgerin präsentieren könnte, denn so ganz ohne Gegenleistung läßt die Kartoffelschubse nur Oberflächlichkeiten heraus.

Ich suche mir vier Äpfel aus und deute auf die Festkochenden: „Drei Kilo, bitte!“ und bleibe bei meiner ansonsten schweigsamen Haltung.
Jedoch merke ich, daß es der Alten in ihren kartoffelsandigen Fingern juckt und irgendeine Neuigkeit sozusagen direkt unterm Zungenbein kitzelt.

„Die sind ein bißchen klein, gegen Sie mir fünf Euro und wir sind quitt“, sagt sie und ich nicke nur, lege das Geld auf den Zahlteller, nehme meine Ware und will gehen.

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„Moooment! So geht das aber nicht!“

„Was geht so nicht? Stimmt was mit dem Geld nicht?“ frage ich scheinheilig zurück und die Gemüsefrau stemmt ihre Fäuste dorthin wo andere Frauen, zumindest meine, eine Taille haben.

„Sie können doch jetzt nicht gehen, ohne mir das Neuste vom Martin zu erzählen.“

„Der ist immer noch tot“, sage ich gelangweilt und mache einen weiteren Schritt auf die Ladentür zu. In diesem Moment saust etwas durch die Luft und direkt neben mir schlägt eine viertelpfündige Sellerieknolle auf dem Fussboden ein. „Hiergeblieben!“

Sie grinst und winkt mich mit dem Zeigefinger zu sich heran: „Jetzt mal los! Ich weiß ja, daß Sie nix erzählen dürfen, aber ein bißchen was haben Sie doch für mich, oder?“

Was soll ich ihr denn erzählen, ich weiß doch auch nichts.
Gestern gegen Abend war endlich die alte Frau Berg bei mir gewesen und hat alles wegen Martin Beerdigung besprochen. Sie hat immer ‚Beerdigung‘ gesagt, obwohl es nur eine Urnentrauerfeier werden soll.
Bei Frau Berg ist die Sachlage im Moment sehr schwierig. Sie hatte nämlich ihr dreistöckiges Haus erst vor zwei Jahren an Martin überschrieben und war von der Parterrewohnung in die Mitte gezogen.
Fast ein Jahr hatten Susanne und Martin das Haus umbauen lassen und dafür viel Geld ausgegeben. Außerdem mußte Martin noch seine Schwester Gudrun ausbezahlen. Für alles das hatte er bei der Bank Geld leihen müssen und nun steht Frau Berg, die zwar lebenslängliches Wohnrecht hat, vor einem Scherbenhaufen. „Vierzig Jahre haben wir an dem Haus abbezahlt. Erst die erste Hypothek, dann kam später noch eine zweite drauf und vor ein paar Jahren mußte das Dach gemacht werden. Das ist ja eigentlich gerade erst abbezahlt und jetzt sind schon wieder Schulden drauf.“

„Das kann doch aber so viel nicht sein“, gab ich zu bedenken, doch Frau Berg winkte ab: „Was glauben Sie denn? Der Anteil für Gudrun, der ganze Umbau, der Susanne war ja nichts gut genug und vor sechs Monaten mußten alle Wasserleitungen raus. Da ist schon ganz schön was zusammengekommen an Schulden.“

„Und nun?“

„Na jetzt ist Martin tot und wer soll das alles abbezahlen? Ich etwa? Ich habe doch nur die Rente von meinem Mann, meine paar Kröten fallen ja gar nicht ins Gewicht. Sagen Sie mir, wie soll ich das bezahlen? Die kommen und versteigern uns die Hütte unterm Hintern weg, warten Sie’s ab!“

Keine schönen Aussichten.

Aber das werde ich natürlich der Gemüsefrau nicht erzählen, sonst weiß das hinterher der ganze Ort und am End‘ steht’s noch im Internet…

Zur Sellerieartillerie sage ich, indem ich die Knolle aufhebe und ihr in die ausgestreckte Hand drücke: „Der soll ja so getrunken haben“, und bin mir sicher, daß sie das sowieso schon weiß. So ist es auch und sie macht verächtlich „Pah“.

„Wie, Pah?“

„Na, das weiß ich doch schon längst. Wissen Sie denn auch wo der das Geld zum Saufen her hatte?“

„Nö.“

Sie schaut sich um, als wolle sie überprüfen ob uns auch keiner zuhört, aber wir sind ja sowieso alleine im Laden, senkt aber trotzdem die Stimme und sagt: „Der hat in seiner Firma in die Kasse gegriffen.“

„Nein!“

„Doch!“

„Was Sie nicht sagen!“

„Ja, da staunen Sie, nicht wahr? Nicht viel hat der genommen, aber die haben den deshalb doch auch gekündigt.“

„Ich bin baff“, sage ich und sperre demonstrativ den Mund auf. Die Gemüsefrau ist stolz, daß sie mir was tolles Neues erzählen kann und fährt fort: „Die Frau von dem, die Susanne, die hat es ja jetzt schwer, der soll ja auch zu Hause so mit dem Geld geaast haben. Der hat ja beim Online-Pokern so viel Geld gelassen, ein paar tausend Euro sollen das gewesen sein. Und die arme Frau hat nichts davon gewusst, die hatte überhaupt keinen Einblick in die Finanzen. Immer wenn sie mal gefragt hat, wie es um das Geld steht, soll der gesagt haben, daß alles in Ordnung wäre und dabei sind jede Woche angeblich Rechnungen und Mahnungen gekommen, die hat der aber alle verschwinden lassen.“

Ich schüttele nur den Kopf, denn ich weiß, daß Martin überhaupt keine Spielernatur war, der spielte noch nicht einmal Lotto; und der soll Online-Poker gespielt haben?

„Sie glauben das nicht? Na warten Sie ab, es geht ja noch weiter: Die arme Frau ist jetzt völlig hilflos, der gehört ja nichts! Der Martin hat damals einen Ehevertrag gemacht, das wollte seine Mutter so, und deshalb hat die Susanne an dem Haus nichts, gar nichts. Die steht jetzt mit dem Kind da.“

„Irgendwie kommt mir das alles komisch vor. Ich meine, Sie kennen den Martin doch auch, der war doch immer herzensgut und sowas von weich und lammfromm. Haben Sie mir nicht vor einiger Zeit mal gesagt, bei denen hätte sowieso die Frau die Hosen an? Wie passt das denn zusammen?“

„Tja, das weiß ich doch nicht! Jedenfalls hat der die verhauen.“

„Wenn’s mal wahr ist.“

„Wissen Sie da was? Stimmt da was nicht dran? Das müssen Sie mir aber jetzt unbedingt erzählen!“

„Nö.“

„Ja wie jetzt Nö?“ Sie spielt mit der Sellerieknolle und läßt diese von einer Hand in die andere rollen, immer hin und her; ich werfe einen Blick auf ihre dicken Oberarme und überlege insgeheim, ob ich eine Chance habe, den Laden ohne die Knolle im Hals lebend zu verlassen… Es sieht nicht danach aus, denn die Gemüsewärterin greift nach dem kleinen scharfen Messer mit dem grünen Plastikgriff und schneidet einem harmlos am Wegesrand vor sich hin liegenden Radieschen das Grün vom Haupt. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, die Frau putzt immer ihre Ware aus, aber dieses Mal tut sie das so lasziv und betont langsam, daß es keiner verbalen Drohung bedarf; ich weiß einfach, daß sie mich häuten wird, wenn ich nichts erzähle.

Aber ich weiß doch auch nicht mehr!

„Der wird verbrannt“, sage ich schnell, als die Gemüsefrau einen Schritt auf mich zugeht und sofort liegt das Messerchen auf der Theke, so als ob nichts gewesen wäre, und die Frau strahlt über alle Backen, auch die im Gesicht: „Na, das ist doch mal was! Das muß ich gleich der Frau Dingens erzählen. Die hat ja sogar erzählt der hätte sich aufgehängt, aber wir wissen ja, daß der sich zu Tode gesoffen hat.“

Aha! Die weiß also noch gar nicht alles! Sollte unser Orakel versagen? Sollte die Quelle ewiger Neuigkeiten etwa versiegen?

Ich sage gar nichts dazu und verabschiede mich. Gerade bin ich an der Tür und will gehen, da läßt die Alte die Bombe platzen: „Sie wissen ja, daß die Susanne einen Neuen hat, oder?“

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