Menschen

Jutta!

orgel

„Sie da! Fahren Sie da sofort weg! Sie stehen mit Ihrem Karren direkt vor meinem Carport!“

Sie da, das bin ich und der Karren ist unser Bestattungswagen; und er steht tatsächlich am Straßenrand von Haus Nummer 2 und die offene Klappe ragt in die Einfahrt zum Carport des Hauses Nummer 4.
Wir haben aber anderswo keinen Platz zum Parken. Es ist eine der typischen modernen Reihenhaussiedlungen, kein Haus breiter als 5 Meter und innen, dank der tollen Isolierung noch viel schmaler.
Vor jedem Haus parken zwei Autos, ein Van für den Vati und irgendeine kleine fernöstliche Petroleumbeule für die Mutti. In der ganzen Straße immer schön abwechselnd: Geländewagen, Smart, Van, Mini, 5er BMW, Fiat 500 usw.
Nur die Eckgründstücke haben einen Carport und vor einem dieser Carports stehen wir.

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Der kleine Mann ist etwa 70 Jahre alt, an sich spindeldürr, nur ein Spitzbauch reckt sich unter der schmalen Brust. Der Mann trägt eine Cordhose, Hosenträger über Feingeripptem und karierte Filzpantoffeln. Seine etwas wirre Resthaarpracht deutet darauf hin, daß er schon Kontakt zur Couch gehabt haben muss.
Es ist ja auch schon halb neun abends, da bieten ja das Erste und das ZDF durchgängige Rentnerverblödung mit Musik.

„Weg da! Sofort weg da!“ ruft das Männchen und fuchtelt mit den Armen herum.
Seine Handbewegungen sollen die Grenzen seines Grundstücks andeuten: „Hier ist alles meins, da dürfen Sie nicht parken.“

„Ich darf“, sage ich, lächele ihn freundlich an und sage mit besänftigendem Ton in der Stimme: „Nun regen Sie sich doch nicht auf, wir sind doch gleich wieder weg und sehen Sie mal, mein Kollege hat unsere Fahrtrage schon ausgeladen und jetzt macht er die Klappe zu und Sie können in Ihren Carport fahren.“

„Ich will ja gar nicht in den Carport fahren, mein Wagen steht drüben in der Garage.“

„Warum regen Sie sich dann so auf? Nur weil wir vor einem leeren Carport stehen? Eigentlich mehr neben dem Carport?“

„Das ist ganz egal, das hier ist mein Grund und Boden, ich habe auch für den Gehweg und den Straßenbelag zahlen müssen und da stellt sich keiner hin.“

„Das ist eine öffentliche Straße und da dürfen wir parken. Wir sind doch gleich wieder weg.“

„Dann ruf ich jetzt die Polizei! Geben Sie mir sofort ihre Personalien!“

„Nö!“

„Doch, das müssen Sie, sonst hole ich Zeugen, das ist dann nämlich Flucht.“

„Was?“

„Ja, Sie flüchten ja vor einer Straftat, das ist Hausfriedensbruch.“

„Aber Ihr Haus interessiert mich doch gar nicht. Wir wollen da drüben in das Haus.“

„Nix da! Sie fahren da jetzt weg, sonst ruf ich!“

„Dann rufen Sie eben.“

„Juttaaaaaahaaaaa! Juttaaaa! Jutta? Jutta, kommst Du mal eben!“

Nichts tut sich und ich winke Manni zu, wir überqueren die Straße und betreten das Haus gegenüber.
Dort geht alles sehr schnell. Die alte, demenzkranke Oma ist nachmittags verstorben und die Familie war bereits bei uns im Büro. Die Oma sollen wir erst abends abholen, wenn alle Abschied genommen haben, hieß es, und so haben wir es auch gemacht.

Als wir mit der beladenen Trage wieder zum Auto kommen, hat der kleine Mann, der sich inzwischen ein schwarzes, speckiges Cordhütchen aufgesetzt hat, zwei Putzeimer mit Schutt aufgestellt. Einen vor unserem Wagen, einen dahinter.

„Ich habe angerufen.“

„Meinetwegen.“

„Die kommen gleich.“

„Schön.“

„Sie müssen aber da bleiben.“

„Nö.“

„Doch, ich habe die Stelle markiert, mit den Eimern da.“

„Toll.“

„Sie, Sie können den Eimer nicht einfach wegtun, das ist mein Eimer.“

„Den dürfen Sie ja auch behalten.“

„Aber Sie können nicht wegfahren.“

„Doch.“

„Und die Polizei? Was mach ich dann mit der Polizei?“

„Keine Ahnung, Sie haben die doch gerufen.“

„Bleiben’se da!“

„Nö.“

„Ich hab Sie aufgeschrieben! Juttaaaaaaaa! Juttaaaa, jetzt komm doch endlich mal! Der fährt weg, die fahren wirklich weg…“


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Kategorie: Menschen

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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 5. Oktober 2011 | Revision: 31. Mai 2012

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