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Geschichten

Kamm oder Stiel?

Es ist Geburtstag. Patriarch Gustav ist 82 geworden.
Kein runder Geburtstag, keine große Feier. Nur Gustavs Frau Magda, Tochter Verena mit Mann und drei Enkel mit Partnern sind geladen.
Ach ja, Opa Franz ist auch noch da, 101 Jahre ist er alt.

Und weil wir hier im Badischen sind, serviert Magda Rippchen.
Das sind Koteletts, die werden gekocht und mit Sauerkraut und Brot serviert.

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Die weiteren Ereignisse sind dem nachfolgenden Dialog zu entnehmen.

Magda: „So, dann setzt Euch mal alle, es gibt Rippchen.“

Enkelin Kati: „Ui, ich bin doch Vegetarierin.“

Uropa Franz: „Ich will lieber Knöchel!“ (Anmerkung: Das sind in diesem Zusammenhang kleine fettige Eisbeinfragmente.)

Magda: „Es gibt Rippchen, Opa! Und für Dich, Kati, habe ich Würstchen.“

Uropa Franz: „Es hat an Geburtstagen immer Knöchel gegeben.“

Kati: „Ich esse dann nur von dem Kraut, Würstchen sind ja auch Fleisch.“

Magda: „Würstchen sollen Fleisch sein? Das hab ich ja noch nie gehört. Es gibt Fleisch und es gibt Wurst.“

Kati: „Aber in Wurst ist doch Fleisch drin.“

Magda: „Auch wenn das Tofuwurst draufsteht?“

Kati: „Nein, dann ist Tofu drin und kein Fleisch.“

Uropa Franz: „Knöchel! Ich will Knöchel!“

Magda: „Dann habe ich doch die richtige Wurst gekauft, das ist Tofu-Wurst.“

Die anderen Enkel und Partner: „Wie jetzt? Ich will auch mal ein Stück von der Tofu-Wurst.“

Verena: „Igitt, das sind ja Kammkoteletts!“

Uropa Franz: „Ich will Tofuknöchel.“

Patriarch Gustav: „Setzt Euch jetzt alle, es ist genügend da. Jeder kann essen, was er will.“

Magda: „Ich esse nur Sauerkraut.“

Enkel Pattrick: „Warum denn, Oma?“

Magda: „Ich esse keine Kammkoteletts, da ist mir zuviel Fett drin. Ich mag nur Stielkoteletts.“

Verena schnaubt: „Ich esse auch grundsätzlich keine Kammkoteletts, das weißt Du genau, Mama!“

Magda: „Dann iß halt von der Wurst!“

Kati: „Hast Du noch von den Würstchen, Oma? Die haben mir jetzt alle Würstchen weggegessen.“

Gustav: „Die sind dick geschnitten.“

Verena: „Wer ist hier eine dicke Schnitte?“

Irgendwer: „Wenn man es nicht wüßte, könnte man das Tofu-Zeug für Wurst halten.“

Jemand anders: „Schmeckt irgendwie wie Gartenschlauch.“

Uropa Franz, kaut auf einer Brotscheibe herum: „So mag ich die Knöchel, schön mager.“

Verena: „Das hast Du doch absichtlich gemacht, Mama. Du weißt ganz genau, daß ich das nicht essen kann.“

Magda: „Dann iß halt Wurst.“

Kati: „Es ist gar keine Wurst mehr da.“

Verena: „Du magst ja selbst keine Kammkoteletts, Mama, warum kaufst Du sie dann? Doch nur um mich zu ärgern.“

Uropa Franz: „Nach dem Krieg haben wir Sägemehl gegessen.“

Irgendwer: „Wird Tofu eigentlich aus Erdöl gemacht?“

Gustav: „Mir schmeckt’s!“

Verenas Mann: „Wir sind 11 Personen, es sind aber nur 8 Koteletts da gewesen.“

Kati: „Ich hatte bisher nur Kraut, die anderen haben meine ganzen Würstchen gegessen.“

Verena: „8 Koteletts sind ja auch genug. Mama ißt keine Kammkoteletts, ich bekomme hier ja nichts zu essen und Kati ißt sowas auch nicht.“

Magda: „Ich habe in der Küche noch genug. Ich hol noch was.“

Gustav: „Bei uns ist noch jeder satt geworden.“

Uropa Franz: „Und Ratten! Manchmal haben wir sogar Ratten gegessen.“

Kati: würgt

Verena: „Warum gibt es denn keine Stielkoteletts?“

Magda: „Ich dachte in dem eingefrorenen Beutel wäre noch welche. Da waren aber auch Kammkoteletts drin.“

Verena: „Das machst Du doch mit Absicht!“

Gustav: „Jetzt ist aber Schluß!“

Kati: weint

Irgendwer: „Gibt’s noch mehr Tofu?“

Uropa Franz: „Heute waren die Knöchel wieder besonders gut. Ich muß mal pissen. Bringt mich jemand raus?“

Magda: „Hier ist noch Sauerkraut, jede Menge Sauerkraut.“

Irgendwer: „Gibt’s kein Fleisch heute?“

Magda: „Hattest Du denn noch keins?“

Irgendwer: „Nein Papa (Verenas Mann) hat drei Koteletts gegessen.“

Verenas Mann: „Waren die abgezählt?“

Verena: „Das hast Du mit Absicht gemacht! Du hast nur deshalb drei gegessen, um mich hier zu blamieren. Schon aus Solidarität hättest Du keine Kammkoteletts essen dürfen.“

Verenas Mann: „Wieso, ich hatte Stielkoteletts.“

Magda: „Siehste, dann waren doch welche dabei.“

Uropa Franz: „Fertig! War sogar Groß dabei.“

Magda: „Ach Herrje, wir müssen da unterm Tisch bei Opa Franz putzen.“

Kati: kotzt auf den Tisch (Sauerkraut).

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 4. März 2018 | Peter Wilhelm 4. März 2018

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Alle Kommentare anzeigen
Ingrid Hoerner
6 Jahre zuvor

Einfach schön! 🙂
Ich glaube, so oder ähnlich, geht es wirklich bei manchen Familien zu.

mo
6 Jahre zuvor

Herrlich!!!!
ich dachte nie, dass ich auf einem Bestatterblog so viel Spaß (neben wirklich guten Infos) haben würde.
Bin keine Kollegin, sondern zukünftige Kundin in sicher nicht mehr allzu weiter Ferne (71) – ne, Klientin – auch nicht – himmelnochma, wie nennt man denn in diesem Fall die „Ware“???

Einlieger?
Ich will aber verbrannt und möglichst global verstreut werden…

Egal.

Wollte einfach nur mal sagen, dass ich froh bin, Deinen Blog gefunden zu haben!

DerWinni
6 Jahre zuvor

Uropa Franz heißt sicherlich Hoppenstedt mit Nachnamen.
Kopfkino.

Danke!

der kleine Tierfre.und
Reply to  DerWinni
6 Jahre zuvor

@DerWinni: …die hatte ich dabei auch vor Augen – fehlte nur noch etwas Lametta… 😉

Georg
6 Jahre zuvor

Beim lesen habe ich feststellen müssen das ich etliches(außer die Fensterkittverzehrerin,so etwas gab es früher nicht)so ähnlich in meiner Kindheit auch erleben durfte………
Es ist schon ein Gewinn wenn man die Familie nur aus Mann,Frau und Kind besteht,dann hat man solch einen Stress nicht

Henning
6 Jahre zuvor

Bei uns ist es – auch mit Abzug der schriftstellerischen Überziehung – noch nicht so schlimm, noch(!) nicht. Aber manchmal geht es mir schon so, daß ich mir denke „ach, hat doch alle ab und laßt uns in Ruhe“ (als erwachsener Sohn mit Frau und Kind). „Das hast du früher immer gegessen“ – „Nein, Mama, das war mein Bruder, ich mochte das noch nie gern.“
Was wundert sich manchmal meine Frau, daß ich keine Lust habe, 150km durch die Republi zu gurken, um mir Gejammer und Gemecker anzuhren…

Früher war alles besser, sogar das Wurstbrot 🙂

Winnie
Reply to  Henning
6 Jahre zuvor

@Henning:

Tja und irgendwann sind sie alle weg. Wir sind z. B. auf dem aussterbenden Ast.
Schade eiegentlich, da haben nicht mehr alle mitbekommen, dass ich im Laufe der Jahrzehnte meine schwarze Schafsjacke gegen ein weißes Wollfell eingetauscht habe. 😉




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