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Geschichten

Pietät Eichenlaub und Pietät Palmwedel

Als ich eine neue Filiale des Bestattungshauses eröffnete, mit neuen Kühlräumen und Trauerhalle, tauchten schon während der Umbauphase der werte Herr Friedhofsamtsdirektor, sein Adlatus und ein dicker Stapel von Vorschriften bei uns auf.
Am liebsten hätte der Herr Amtsdirektor uns den Betrieb des Geschäftes gleich untersagt, dann wäre ihm eine weitere Konkurrenz für seinen Bestattungsdienst erspart geblieben. Dafür gab es aber keine Handhabe und so pochte man auf die penible Einhaltung noch so unbedeutender Vorschriften.
Kein Problem, als alter Hase kennt man die auch und hat schon im Vorfeld an alles gedacht, so daß sich für den dicken Hebel der Vorschriften kein Ansatzpunkt finden ließ.

Danach kamen die Herren vom Gesundheitsamt und leuchteten sogar in die Steckdosen und Abflussrohre hinein, begutachteten die Qualität der Desinfektionsseife und hakten eine lange Liste ab.
Berufsgenossenschaft, Versicherung und Ordnungsamt waren die Nächsten, die durchs Haus liefen, alle Mitarbeiter verrückt machten und dann ihren Segen gaben.
Einen Segen gab es auch von den Pfarrer der beiden großen Konfessionen, die unsere Trauerhalle für würdig befanden.

Dann gab es eine Einweihungsfeier mit Stadträten und „-Innen“, Gemeindevertreter, Kirchenräten, Bürgern, Interessierten, Presse und Trallala.

Allein der überflüssige und nachträgliche Einbau eines weiteren Bodenablaufs im frisch gekachelten Behandlungsraum hatte uns über 1.000 € gekostet. Überflüssig war der Ablauf deshalb, weil es in der Raummitte schon einen sehr leistungsfähigen Ablauf gab und weil wir für gewöhnlich keine Verstorbenen behandeln, die mehr als 100 Liter Blut und so enthalten…
Aber irgendwas zu meckern mußte man halt haben…

Kaum war die Filiale eröffnet, machte schräg gegenüber in einem ehemaligen Fernsehgeschäft eine Filiale der „Pietät Eichenlaub“ auf.
Das ging ratzfatz, Rauhfaser an die Wände, Lamellenvorhang ins Fenster, ein Schild vom Bestatterverband an die Fassade, einen Talar und eine Urne ins Schaufenster, fertig.

Diese Vorgehensweise kannten wir schon, das war gängige Praxis, um ja der Konkurrenz keinen Standortvorteil zu gönnen.

Doch interessierte uns das nur insoweit, als das wir wieder einmal mehr einen Laden zur Abschreckung gegenüber hatten, dessen Kunden auch nie etwas Gutes zu berichten hatten und den wir gerne zum Vergleich heranziehen konnten.

Aber eines Tages fiel uns auf, daß noch schräger gegenüber, im Hof eines ausländischen Gemüsegeschäfts, eine Art Bestattungswagen parkte.
Ein Mercedes Sprinter, dunkelgrau, fast schwarz, beklebt mit goldfarbenen Buchstaben. Import und Export, diese beiden Wörter konnten wir lesen, der Rest waren fremde und nicht zu verstehende Worte, von denen wir aber wußten, daß sie soviel wie Bestattung heißen.

Manni regte sich auf, weil kurz nach unserer Neueröffnung sich so viele Konkurrenten um den guten Platz in der Nähe eines großen Friedhofes scharten.
Mir war das egal, weil die Pietät Eichenlaub keine wirkliche Konkurrenz darstellte und weil fremdsprachige Bestatter sich für gewöhnlich nur um Angehörige einer bestimmten Volks- oder Sprachgruppe kümmerten.
Frau Büser sagt ja von sich selbst: „Ich bin nicht neugierig, ich will bloß immer alles wissen“, und ging gleich am nächsten Tag in diesem Obst- und Gemüsegeschäft einkaufen.

„Chef, das müssen sie gesehen haben! Die verkaufen Bestattungen im gleichen Laden wie das Obst und das Gemüse. Da hängen zwei Typen in schwarzen Jogginganzügen aus billiger Kunstseide herum und das sind wohl die Fahrer von dem Bestatter. Wenn sie mich fragen, lagern die die Verstorbenen im gleichen Kühlraum wie ihr Obst, wetten?“

Auch Manni und seine Männer wußten immer mehr Schlimmes über den fremden Gemüsebestatter zu berichten, aber ich wollte das alles nicht glauben, denn ich kannte ja die strengen Überprüfungen und Bestimmungen und wußte, wie hartnäckig die Behörden und Vereinigungen auf deren Einhaltung achteten.
Ich hielt das alles für Übertreibungen und maß dem keine große Bedeutung bei. Außerdem war bislang keiner dieser ausländischen bzw. fremdsprachigen Bestatter für uns zu einer Konkurrenz geworden. Sie kümmerten sich um die Menschen, die sowieso nie bei uns gelandet wären.

Drei Wochen später kam ich gerade am Friedhof an, als ich den schwarzen Lieferwagen mit den Goldbuchstaben und einen großen BMW dort vor der Leichenhalle stehen sah.
Drei Männer, zwei davon unverkennbar die beiden Fahrer, standen dort und unterhielten sich.
Zuerst schoß mir der Gedanken durch den Kopf, daß die jetzt doch in unserem Revier wilderten, doch dann besann ich mich darauf, daß immer mehr ihrer Kunden nicht in ihrer Heimat, sondern hier bei uns beerdigt werden wollen.
Also beschloß ich, höflich zu grüßen.
Mit einem breiten Grinsen und ausgebreiteten Armen kam der dritte Mann, der mit dem BMW, auf mich zu. In perfektem Deutsch und in einer äußerst liebenswürdigen Art stellte er sich und seine beiden Angestellten namentlich vor, erklärte mir, er sei der Inhaber des Bestattungsinstitutes, eines Im- und Exportgeschäftes, sowie eines Reisebüros.
Nach wenigen Minuten wußte ich, daß meine Einschätzung richtig gewesen war, der Mann war mit seinem Unternehmen keine Konkurrenz für mich, ja, er bot mir sogar seine Hilfe an, wenn wir mal jemanden in sein Land zu überführen hätten.

Dann fragte ich ihn, ob er auch so viel Behördenbesuch bekommen habe. Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Für Bestatter? Nein, wegen dem Obst und Gemüse, da kommt ständig das Gesundheitsamt und der Ordnungsdienst, aber wegen Bestattungen noch nie.“
Auch sein Hauptgeschäft in einem Gewerbegebiet in einem ehemaligen Möbellager, wo er auch einige Kühlräume für die Verstorbenen hatte, die natürlich nicht gemeinsam mit Obst und Gemüse gekühlt wurden, sei noch nie begutachtet worden.

Mir war es egal, weil es mich nicht wirklich betraf und ich wollte dem Mann auch keine Schwierigkeiten machen, deshalb verwarf ich den Gedanken auch sofort wieder, beim nächsten Treffen der Bestatter mit dem Friedhofsdirektor, das Thema Gleichbehandlung anzusprechen.

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 10. Juli 2015 | Peter Wilhelm 10. Juli 2015

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7 Kommentare
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Anja
9 Jahre zuvor

Nu bin ich aber platt! Danke TOM!

scanner
9 Jahre zuvor

Das hört so unausgegoren auf. Könnte es sich hier um einen Fall von pendulus praecipitium handeln?

Reply to  scanner
9 Jahre zuvor

Um was für einen Fall, bitte?

Thomas R.
Reply to  riepichiep
9 Jahre zuvor

Ich glaube, es ist „Cliffhanger“ gemeint. Der lateinische Ausdruck bedeutet in etwa „abgründiges Pendel“, ist mir aber noch nie irgendwo untergekommen.

scanner
Reply to  Thomas R.
9 Jahre zuvor

Ja das ist gemeint. Es gibt noch einige andere Worte, mit denen man das noch ausdrücken könnte; wahrscheinlich auch präzieser. Aber die waren mir zu offensichtlich, oder nicht so Lateinisch klingend…

Anja
9 Jahre zuvor

Uh, ich glaub nicht, dass das ein Cliffhanger wird. Ich hab das betreffende Auto samt Personal gestern gesehen und hab mich köstlich amüsiert, weil ich an die Eichenlaubler denken musste. Und davon hab ich Tom berichtet. Ich bin schon baff, dass er das überhaupt verbloggt hat und finde das Drumrum super gemacht.

Lochkartenstanzer
Reply to  Anja
9 Jahre zuvor

Ist schon gut gemacht die geschichte. Aber es fühlt sich so an, als ob da noch eine Fortsetzung „fehlt“.




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