Zwischen Straße und Ewigkeit – Bestattungsrituale in Bulgarien
Die Bilder zeigen einen kleinen, unscheinbaren Friedhof am Straßenrand irgendwo in Bulgarien. Auf den ersten Blick wirkt er schlicht, fast beiläufig – eine Wiese mit Kreuzen, ein paar verwitterte Grabsteine, eingefasst von Sträuchern, ohne Zaun, keine Pforte.
Und doch erzählt dieser Ort mehr über das Leben und den Tod in Bulgarien als jeder Reiseführer.
In Bulgarien ist der Umgang mit dem Tod tief in religiösen, familiären und ländlichen Traditionen verwurzelt. Der Tod wird nicht verdrängt, sondern gehört zum Lebenslauf, sichtbar und fassbar – und das oft mitten im Dorf oder gar neben der Straße. Die Nähe des Friedhofs zur Fahrbahn ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer jahrhundertealten Nähe zwischen den Lebenden und den Toten.
Die Mehrheit der Bulgaren gehört der bulgarisch-orthodoxen Kirche an, deren Totenkult sich durch eine enge Verbindung zwischen Familie, Gemeinde und Glauben auszeichnet. Stirbt ein Mensch, so beginnt ein strenger, aber sehr persönlicher Ritus: Die Toten werden meist zu Hause aufgebahrt, Angehörige halten Wache. Innerhalb von 24 bis 48 Stunden findet die Beisetzung statt – in einem offenen Sarg, begleitet von einer kirchlichen Zeremonie mit Weihrauch, Gesängen und der Lesung aus der Bibel.
Besonders bedeutsam sind die sogenannten „Gedenktage“ (панихида, panihida), an denen den Verstorbenen gedacht wird: am 3., 9. und 40. Tag nach dem Tod sowie nach sechs Monaten, einem Jahr und dann jährlich. Diese Tage sind fest im kulturellen Gedächtnis verankert und von großer Bedeutung innerhalb der Familie.
Die Familie erinnert nicht nur an die Seele des Verstorbenen, die Gedenktage festigen auch den Zusammenhalt der Familie über den Tod hinaus. Es ist üblich, Speisen zuzubereiten und zu teilen – nicht selten direkt am Grab. Brot, Wein, gekochter Weizen (Koljivo) und manchmal Schnaps werden als Gaben verteilt, auch an Fremde. Diese symbolische Speisung der Seele soll den Übergang ins Jenseits erleichtern.
Ein bemerkenswertes Detail auf bulgarischen Friedhöfen sind die kleinen, meist hinter Plexiglas geschützten Tafeln mit Porträts der Verstorbenen. Sie hängen nicht nur an den Gräbern, sondern auch an Hauswänden, Bäumen oder Strommasten. Der Tod hat in Bulgarien ein Gesicht – und er wird gesehen, erinnert und in den Alltag integriert.
In den Dörfern ist der Friedhof oft ein vertrauter Ort. Er liegt nicht am Rand der Gesellschaft, sondern ist eingebettet in das alltägliche Leben. Dort, wo Kühe weiden, Kinder spielen und alte Männer auf der Bank sitzen, ragen Kreuze aus dem Gras. Diese scheinbare Beiläufigkeit ist Ausdruck eines natürlichen Umgangs mit dem Tod. Es gibt keine Betonmauern, keine trennende Friedhofsordnung, sondern vielmehr die Idee, dass die Verstorbenen weiterhin Teil der Gemeinschaft sind – präsent, geachtet, nicht vergessen.
So ist der kleine Friedhof auf den Bildern nicht nur ein Ort des Abschieds, sondern auch ein Ort der Verbindung. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen den Toten und den Lebenden. Zwischen Straße und Ewigkeit.
Es wirkt, als sei dort gar nichts, außer einer wilden Wiese direkt neben der Dorfstraße. Doch tatsächlich gibt es dort einen Friedhof.
Schaut man genau hin, erkennt man, dass die Dorfbewohner das am Hang liegende Grundstück seit Generationen mit Bauschutt, alten Dachziegeln und Steinen etwas befestigen.
Von der Aufmachung eines deutschen Friedhofs weit entfernt. Keine gepflegte Parkanlage mit hohen Betriebskosten, sondern ein zweckmäßiges Grundstück. Kommt man näher, erkennt man zwischen dem umgebenden hohen Gras und den Büschen die ersten Grabsteine.
Wildromantisch ist wohl der beste Ausdruck für das, was man auf diesem Foto sieht. Einige Grabsteine ähneln sich, ansonsten ist man frei in der Gestaltung von Grabstein und Grab.
Ein Trampelpfad, mehr ist es nicht, was zum Friedhof führt. Kein Zaun, keine Hecke, keine Mannschaft, die den Friedhof pflegt. Einfach nur ein Ort des Gedenkens, zweckmäßig, pragmatisch, keine unnötigen Kosten und Vorschriften
Viel zu entdecken auf diesem Bild:
Vorne links das Grab: Es handelt sich hier um ein klassisches Doppelgrab für ein Ehepaar. Der Mann ist schon verstorben, seine Hälfte ist mit hellen Steinen sauber gestaltet. Die linke Seite ist für die Frau vorgesehen, wird aber so lange sie noch lebt, nicht gärtnerisch gestaltet. So lange da keiner liegt, wird an der Hälfte nichts gemacht. Den Teil mitzupflegen, würde Unglück bringen, glauben die Menschen.
Vorne rechts: Eine Kette wurde auf den Boden gelegt, um die Dimensionen eines Grabes festzulegen, das hier entstehen wird bzw. vorgesehen ist.
Bildmitte blau: Auffallend die große gestalteten Grabtafeln mit Lebensgeschichte und Foto. Früher oft aufwendig von Hand gemalt, heute oft schon mit moderneren digitalen Hilfsmitteln erstellt.
Fast an jedem Grab gibt es ein Foto des Verstorbenen.
An mindestens zwei Gräbern erkennt man kleine Bänkchen, auf denen sich Angehörige hinsetzen und verweilen können. Es ist nicht unüblich, an Gedenktagen auch etwas zu Essen und zu Trinken mit ans Grab zu bringen.
Die Gräber werden mit einer aus Beton gegossenen einfachen Umrandung umschlossen.
Die Kommune, die Dorfgemeinschaft und die Angehörigen kümmern sich ohne behördlich geregelte Aufgabenteilung um die Instandhaltung des Friedhofs. Zweckmäßigkeit ist hier wichtiger als paragraphengesteuerte Pflichtordnung
Die wunderbaren Bilder wurden von Blogleser Winnie aufgenommen, der vor ein paar Jahren auf der Flucht vor Altersarmut und Perspektivlosigkeit mit seiner von dort stammenden Frau nach Bulgarien ausgewandert ist.
Er schildert mir seinen Neuanfang in ganz tollen Erlebnisberichten. Jeder, der glaubt, so ein Schritt sei einfach, täuscht sich. Es täuscht sich aber auch jeder, der meint, das sei unüberwindbar schwer.
Episodenliste:
- Bestattung interkulturell: Einleitung
- Bestattung interkulturell: Christentum
- Bestattung interkulturell: Kirche Jesu Christi - Mormonen
- Bestattung interkulturell: Judentum 1
- Bestattung interkulturell: Judentum 2
- Bestattung interkulturell: Islam 1
- Bestattung interkulturell: Islam 2
- Bestattung interkulturell: Buddhismus 1
- Bestattung interkulturell: Buddhismus 2
- Bestattung interkulturell: Hinduismus 1
- Bestattung interkulturell: Hinduismus 2
- Bestattung interkulturell: Freimaurer
- Bestattung interkulturell: unterschiedliche Nationen
- Bestattung interkulturell: Luftbestattung Vogelbestattung, Himmelsbestattung
- Bestattung interkulturell: Altkatholische Kirche
- Bestattung interkulturell: Zeugen Jehovas
- Bestattung interkulturell: Griechisch orthodox
- Bestattung interkulturell: Sinti und Roma
- Bestattung interkulturell: Anthroposophen, Christengemeinschaft
- Bestattung interkulturell: Scientology
- Bestattung interkulturell: Aleviten
- Bestattung interkulturell: Bahai
- Bestattung interkulturell: Winter in Kanada
- Bestattung interkulturell: Baptisten
- Bestattung interkulturell: Kopten
- Bestattung interkulturell: Mennoniten
- Bestattung interkulturell: Japan
- Bestattung interkulturell: Schweiz
- Bestattung interkulturell: USA
- Bestattung interkulturell: Kremation in den USA vs. Deutschland
- Bestattung interkulturell: Mexiko - Día de los Muertos
- Bestattung interkulturell: Madagaskar - Famadihana - Knochenwendung
- Bestattung interkulturell: Alte europäische Naturreligionen
- Bestattung interkulturell: Satanismus
- Bestattung interkulturell: Voodoo Ahnenkult und Mythen
- Bestattung interkulturell: Philippinen - Baum- und Hängesärge
- Bestattung interkulturell: Südkorea - Feuer und Perlen
- Bestattung interkulturell: Ghana - Phantasiesärge
- Bestattung interkulturell: USA Einbalsamierung
- Bestattung interkulturell: Spanien - überirdische Gräber
- Bestattung interkulturell: Bulgarien
Bildquellen:
- bulgarfien-friedhof2: w. b. ©
- bulgarien-graeber: w.b. ©
- bulgarien-weg-zum-friedhof: wi.br. ©
- Bulgarien-grabsteine: b. w. ©
- bulgarien-erste-grabsteine: w.b. ©
- bulgarien-mit-bauschutt-etwas-eingeebnet: w.b. ©
- bulgarien-friedhof-am-strassenrand: w.b.©