Keine anderen Nachbarn sind uns so nahe und scheinbar so vertraut wie die Niederländer. Und doch haben sie ihre ganz eigene Bestattungstradition, die sich in Teilen von unserer unterscheidet.
Bestattungskultur in den Niederlanden – Abschied mit Licht und Leben
Wer in den Niederlanden eine Beerdigung miterlebt, bemerkt schnell: Hier ist vieles anders, als man es aus Deutschland gewohnt ist. Wo bei uns dunkle Farben, schwarze Fahrzeuge und gedämpfte Formen vorherrschen, zeigen sich unsere niederländischen Nachbarn oft überraschend hell, individuell und manchmal sogar optimistisch im Umgang mit dem Tod.
Der niederländische Begriff für Beerdigung lautet „uitvaart“ – wörtlich übersetzt: „Ausfahrt“ oder „Hinüberfahrt“. Schon dieser Begriff zeigt, dass der Tod in der niederländischen Kultur weniger als abruptes Ende, sondern vielmehr als Reise, als Übergang verstanden wird.
Die „Uitvaart“ – mehr als nur eine Beerdigung
Der Begriff Uitvaart umfasst nicht nur die eigentliche Beisetzung, sondern den gesamten Abschiedsprozess: die Trauerfeier, die Zeremonie, das gemeinsame Gedenken und häufig auch das anschließende Beisammensein.
In den Niederlanden ist es üblich, dass Angehörige und Freunde aktiv in die Planung eingebunden sind. Sie gestalten Reden, Musik und Rituale nach den Wünschen des Verstorbenen – oft mit erstaunlicher Offenheit und Individualität.
Bestattungsunternehmen, sogenannte uitvaartondernemers, verstehen sich dabei eher als Begleiter und Organisatoren.
Viele Familien bereiten den Abschied selbst mit vor – sie dekorieren den Sarg, stellen Fotos auf oder bringen Blumen aus dem eigenen Garten mit. Häufig findet die Trauerfeier nicht in einer Kirche statt, sondern in speziell dafür vorgesehenen Uitvaartzentren oder direkt auf dem Friedhof.
Helle Farben und weiße Kleidung
Eine Besonderheit, die deutschen Besuchern oft sofort auffällt: In den Niederlanden werden Beerdigungen vielfach in hellen Farben abgehalten. Weiß gilt nicht als Tabu, sondern als Symbol für Reinheit, Licht und den Neubeginn nach dem Tod.
Deshalb tragen Angehörige und Trauergäste manchmal bewusst weiße Kleidung – ein Ausdruck von Liebe, Respekt und Hoffnung statt reiner Trauer.
Besonders bei jüngeren oder bewusst „modernen“ Bestattungen ist Weiß inzwischen fast ein modisches Stilmittel geworden. Auch der Sarg selbst kann weiß lackiert sein, mit hellen Stoffen ausgeschlagen oder mit persönlichen Symbolen bemalt werden.
Blumenarrangements in Weiß, Creme oder Pastelltönen sind weit verbreitet. Diese Ästhetik vermittelt eine leise, friedliche Atmosphäre, die den Abschied weniger düster, dafür aber oft emotional intensiver macht.
Weiße Bestattungsfahrzeuge – Tradition mit Symbolkraft
Eine weitere niederländische Besonderheit sind die weißen Leichenwagen. Während in Deutschland der klassische schwarze Bestattungswagen fast obligatorisch ist, gilt in den Niederlanden ein weißes Fahrzeug als besonders würdevoll und positiv.
Viele Bestattungsunternehmen bieten heute eine Auswahl an weißen, silbernen oder hellgrauen Fahrzeugen an – oft edel poliert und stilvoll gestaltet.
Diese Tradition entstand in den 1980er-Jahren, als einige niederländische Bestatter bewusst ein Zeichen gegen die düstere, tabuisierende Darstellung des Todes setzen wollten. Der weiße Leichenwagen sollte zeigen, dass der Abschied nicht nur traurig, sondern auch ein Moment der Schönheit, Erinnerung und Liebe sein kann.
Mittlerweile sind weiße Bestattungsfahrzeuge fest im Straßenbild verankert – und längst kein exotischer Anblick mehr.
Individuelle Rituale und persönliche Gestaltung
In den Niederlanden ist es selbstverständlich, dass jede Beerdigung individuell gestaltet wird.
Anstelle einer klassischen kirchlichen Zeremonie findet häufig eine frei gestaltete Feier mit Musik, Reden und persönlichen Elementen statt. Lieblingslieder werden gespielt, Videopräsentationen gezeigt oder symbolische Handlungen vollzogen – etwa das Niederlegen kleiner Erinnerungsstücke im Sarg.
Auch die Reihenfolge der Zeremonie kann abweichen: Es kommt vor, dass sich Familie und Freunde schon am Vorabend im Haus des Verstorbenen versammeln, um gemeinsam Abschied zu nehmen, bevor der Sarg geschlossen und zur Trauerfeier gebracht wird.
Die Atmosphäre ist dabei oft weniger steif, sondern warm und familiär – mit Raum für Tränen, aber auch für Lächeln, Geschichten und sogar leises Lachen.
Religion und neue Formen des Abschieds
Die Niederlande sind traditionell ein christlich geprägtes Land, doch der religiöse Einfluss auf Bestattungen hat in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen.
Heute sind viele „uitvaarten“ weltlich oder humanistisch ausgerichtet. Dennoch bleibt das Motiv der Hoffnung auf Fortbestehen, auf Licht und Frieden, zentral – unabhängig von Konfession oder Glaubensrichtung.
Zugleich entstehen neue Formen des Abschieds: Naturbestattungen, ökologische Särge, Musikbeerdigungen, Seebestattungen oder symbolische Abschiedszeremonien in Parks und Gärten.
Der Tod wird nicht verdrängt, sondern in den Alltag integriert – ein Ansatz, der die niederländische Bestattungskultur zu einer der offensten und kreativsten Europas macht.
Fazit: Würde ohne Schwere
Die niederländische Bestattungskultur zeigt eindrucksvoll, dass Würde und Leichtigkeit sich nicht ausschließen.
Die helle, offene und persönliche Gestaltung vieler Uitvaarten spiegelt den Wunsch wider, den Tod nicht als Tabu zu behandeln, sondern als Teil des Lebens anzunehmen.
Ob weiße Kleidung, hell lackierte Särge oder leise Popmusik – in den Niederlanden geht es beim Abschied nicht nur um Trauer, sondern auch um Erinnerung, Dankbarkeit und Lebensfreude.
Ein Konzept, das zum Nachdenken anregt – und vielleicht auch für unsere eigene Bestattungskultur ein inspirierendes Vorbild sein kann.
Episodenliste:
- Bestattung interkulturell: Einleitung
- Bestattung interkulturell: Christentum
- Bestattung interkulturell: Kirche Jesu Christi - Mormonen
- Bestattung interkulturell: Judentum 1
- Bestattung interkulturell: Judentum 2
- Bestattung interkulturell: Islam 1
- Bestattung interkulturell: Islam 2
- Bestattung interkulturell: Buddhismus 1
- Bestattung interkulturell: Buddhismus 2
- Bestattung interkulturell: Hinduismus 1
- Bestattung interkulturell: Hinduismus 2
- Bestattung interkulturell: Freimaurer
- Bestattung interkulturell: unterschiedliche Nationen
- Bestattung interkulturell: Luftbestattung Vogelbestattung, Himmelsbestattung
- Bestattung interkulturell: Altkatholische Kirche
- Bestattung interkulturell: Zeugen Jehovas
- Bestattung interkulturell: Griechisch orthodox
- Bestattung interkulturell: Sinti und Roma
- Bestattung interkulturell: Anthroposophen, Christengemeinschaft
- Bestattung interkulturell: Scientology
- Bestattung interkulturell: Aleviten
- Bestattung interkulturell: Bahai
- Bestattung interkulturell: Winter in Kanada
- Bestattung interkulturell: Baptisten
- Bestattung interkulturell: Kopten
- Bestattung interkulturell: Mennoniten
- Bestattung interkulturell: Japan
- Bestattung interkulturell: Schweiz
- Bestattung interkulturell: USA
- Bestattung interkulturell: Kremation in den USA vs. Deutschland
- Bestattung interkulturell: Mexiko - Día de los Muertos
- Bestattung interkulturell: Madagaskar - Famadihana - Knochenwendung
- Bestattung interkulturell: Alte europäische Naturreligionen
- Bestattung interkulturell: Satanismus
- Bestattung interkulturell: Voodoo Ahnenkult und Mythen
- Bestattung interkulturell: Philippinen - Baum- und Hängesärge
- Bestattung interkulturell: Südkorea - Feuer und Perlen
- Bestattung interkulturell: Ghana - Phantasiesärge
- Bestattung interkulturell: USA Einbalsamierung
- Bestattung interkulturell: Spanien - überirdische Gräber
- Bestattung interkulturell: Bulgarien
- Bestattung interkulturell: Korea
- Bestattung interkulturell: Postmortale Eheschließung
- Bestattung interkulturell: Warum Juden die Tora begraben
- Bestattung interkulturell: Kannibalismus
- Bestattung interkulturell: Amish People – Schlichtheit bis zuletzt
- Bestattung interkulturell - Türkei - Das heilige Feuer der Schreibspäne
- Bestattung interkulturell - Die Niederlande
- Bestattung interkulturell - Haitianisches Voodoo – Wenn der Geist weiterlebt
- Bestattung interkulturell: Voodoo und Zombies