Heute erscheint die Einäscherung als moderne und zeitgemäße Art der Bestattung. Betrachtet man die Geschichte genauer, zeigt sich jedoch, dass das Verbrennen der Toten zu den ältesten und am weitesten verbreiteten Bestattungsformen der Menschheit gehört. Lange bevor sich heutige Rituale herausbildeten, war die Kremation in vielen Gesellschaften völlig selbstverständlich.
Feuerbestattung – Ein Blick auf ihre wechselvolle Geschichte
In frühen Kulturen gehörte die Kremation ganz selbstverständlich dazu
Ausgrabungen belegen, dass bereits in vorgeschichtlichen Epochen wie der Stein- und Bronzezeit Menschen auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Die Überreste gelangten anschließend häufig in Urnen, die dann in Grabhügeln oder auf Urnenfeldern beigesetzt wurden. Diese Praxis war nicht nur in Europa verbreitet: Auch im Mittelmeerraum, in Teilen Asiens sowie im antiken Griechenland und Rom gehörte die Feuerbestattung zum alltäglichen Umgang mit Verstorbenen. Im germanischen und nordischen Raum sind weite Landschaften voller Urnenfelder überliefert, die ebenfalls auf eine fest verankerte Tradition der Einäscherung hindeuten.
Kirchliche Vorstellungen setzten die Erdbestattung durch
Mit der Christianisierung Europas wandelte sich die Bestattungskultur grundlegend. Die Kirchen favorisierten das Begraben des Leichnams, weil die körperliche Ganzheitlichkeit des toten Körpers als symbolisch bedeutsam für die Auferstehungsvorstellung galt. Die Verbrennung der Toten wurde zunehmend als unvereinbar mit christlicher Lehre betrachtet und vielerorts untersagt. In der Folge verschwand die Feuerbestattung nahezu vollständig und wich einer weitgehend einheitlichen Tradition der Erdbestattung in geweihter Erde.
Im 19. Jahrhundert kehrt die Feuerbestattung zurück
Erst die gesellschaftlichen Veränderungen der Industrialisierung machten die Einäscherung wieder zu einem Thema. Die rapide wachsenden Städte litten unter Platzmangel auf Friedhöfen, und hygienische Diskussionen gewannen an Bedeutung. Wissenschaftlich geprägte Weltbilder und säkulare Bewegungen öffneten den Weg für Reformen im Bestattungswesen. Bürgerliche Vereine setzten sich für die Wiederzulassung der Kremation ein, und mit der Errichtung moderner Krematorien – darunter das 1878 eröffneten Krematorium in Gotha – wurde eine technisch zuverlässige und kontrollierte Einäscherung möglich. Diese Anlagen unterschieden sich grundlegend von den offenen Scheiterhaufen früherer Zeiten.

Die Akzeptanz wächst nur langsam
Trotz der neuen Möglichkeiten blieb die Feuerbestattung in der Bevölkerung lange ein Randphänomen. Konservative Kreise, Kirchen und große Teile der Gesellschaft standen der Verbrennung weiterhin skeptisch gegenüber. Die wenigen bestehenden Krematorien wurden meist nur von bestimmten Milieus genutzt, etwa von Freidenkern oder liberalen Bürgern in Großstädten. Noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein galt die Einäscherung als Ausnahmefall, und statistisch blieb die traditionelle Erdbestattung die dominante Form des Abschieds.
Die DDR entwickelte eine eigene Bestattungskultur
In der Deutschen Demokratischen Republik nahm die Feuerbestattung eine deutlich stärkere Rolle ein als in der Bundesrepublik. Der sozialistische Staat setzte auf eine weitgehend kirchenunabhängige Gestaltung des Totengedenkens und förderte die Einäscherung aus organisatorischen, ökonomischen und ideologischen Gründen. Die staatlichen Planvorgaben sahen sehr hohe Kremationsraten vor, und in vielen Regionen der DDR wurde die Einäscherung zur üblichen Bestattungsform. Erdbegräbnisse kamen zwar vor, waren aber deutlich seltener als im Westen.
Der „Anstieg“ nach 1990 – ein statistischer Effekt
Mit der Wiedervereinigung schienen die Zahlen der Feuerbestattungen in Deutschland plötzlich deutlich zu steigen. Dieser Sprung war jedoch keine reale Verhaltensänderung der westdeutschen Bevölkerung, sondern das Ergebnis zusammengeführter Statistiken: Die nahezu flächendeckend hohen Kremationszahlen der DDR wurden von nun an gemeinsam mit den überwiegend erdorientierten Bestattungsformen der alten Bundesländer erfasst. Dieser rechnerische Effekt ließ die Gesamtquote schlagartig anwachsen, ohne dass sich die Gewohnheiten im Westen tatsächlich so abrupt veränderten.
Die Feuerbestattung setzt sich bundesweit durch
In den Jahren nach der Wiedervereinigung kam es nach und nach zu einer Angleichung. Die Bestattungskultur in Westdeutschland veränderte sich schrittweise, beeinflusst durch gesellschaftlichen Wandel, eine geringere religiöse Bindung und pragmatische Erwägungen. Umweltaspekte, Mobilität und individuelle Lebensentwürfe führten ebenfalls dazu, dass immer mehr Menschen die Feuerbestattung wählten. Gleichzeitig wirkten die traditionell hohen Kremationsraten im Osten statistisch weiter fort, sodass sich das Bild zunehmend vereinheitlichte.
Praktische Gründe fördern den Trend zur Einäscherung
Viele Menschen entscheiden sich heute auch aufgrund der geringeren Kosten und der größeren Flexibilität für eine Kremation. Urnenbestattungen verursachen meist weniger Aufwand, benötigen kleinere Grabflächen und erfordern weniger langfristige Grabpflege. Darüber hinaus ermöglichen sie vielfältige Bestattungsformen wie anonyme Anlagen, Verstreuungen oder Seebestattungen. Da die Mobilität der Bevölkerung zunimmt und traditionelle Bindungen an einen festen Wohnort seltener geworden sind, wird auch die dauerhafte Pflege eines großen Erdgrabes häufiger als Belastung empfunden. Zugleich hat der klassische Friedhof als zentraler Ort des Gedenkens an Bedeutung verloren, da viele Menschen heute individuellere Formen des Erinnerns pflegen.
Die Kremation ist heute die häufigste Bestattungsform
Inzwischen übertrifft die Feuerbestattung die Erdbestattung in Deutschland deutlich. Je nach Region werden zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln aller Verstorbenen eingeäschert, mancherorts sogar noch mehr. Was einst als ungewöhnliche Ausnahme galt, ist heute die mit Abstand häufigste Bestattungsart. Damit schließt sich historisch betrachtet ein Kreis: Die Kremation, die in frühen Kulturen weltweit die Norm war und über Jahrhunderte verdrängt wurde, hat in moderner Form wieder einen festen und dominierenden Platz in der deutschen Bestattungskultur gefunden.
Episodenliste:
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- Bestattung interkulturell: Voodoo und Zombies
- Bestattung interkulturell: Feuerbestattung im Wandel





