Bestattung interkulturell – Haitianisches Voodoo – Wenn der Geist weiterlebt

In Haiti ist der Tod kein Ende, sondern ein Übergang. Wer dort einem Verstorbenen die letzte Ehre erweist, nimmt zugleich Kontakt mit der Geisterwelt auf.

Bestattung im Voodoo – Wenn der Tod nur eine Reise ist

Wer in Haiti einem Begräbnis beiwohnt, erlebt keine stille, dunkle Trauerfeier.
Stattdessen wird gesungen, getanzt, getrommelt und geweint – manchmal alles gleichzeitig.
Besonders bei Anhängern des Voodoo (in Haiti: Vodou) sind Bestattungen nicht nur Abschied, sondern eine spirituelle Reise.
Der Tod gilt nicht als Ende, sondern als Übergang in eine andere, unsichtbare Welt.

Die Trommeln für die Toten

Musik spielt im haitianischen Voodoo eine zentrale Rolle.
Trommeln sind die Stimme der Geister, die Verbindung zwischen den Lebenden und den Ahnen.
Wenn jemand stirbt, ertönen sie Tag und Nacht – sie begleiten die Seele des Verstorbenen auf ihrem Weg in die Welt der Ahnen, die Guinée.
Dabei vermischen sich katholische Gebete mit afrikanischen Gesängen und karibischen Rhythmen zu einem einzigartigen Klang, der ebenso Trost wie Ekstase ausdrückt.

Die Menschen tanzen, beten, trinken Rum, erzählen Geschichten über den Verstorbenen.
Der Tod ist hier kein stilles Ereignis, sondern eine Feier des Lebens, das war – und des Lebens, das bleibt.

Zwischen Körper und Geist

Nach der Vorstellung des Voodoo besteht jeder Mensch aus mehreren Seelenanteilen:
dem Gwo Bonanj (großer guter Engel, das spirituelle Selbst) und dem Ti Bonanj (kleiner guter Engel, der persönliche Lebensgeist).
Stirbt ein Mensch, müssen diese Anteile sorgfältig voneinander getrennt und auf ihren Weg gebracht werden.
Nur so findet der Verstorbene Frieden – und kehrt nicht als ruheloser Geist oder zombi zurück.

Dafür sorgt ein Priester oder eine Priesterin, ein Houngan oder eine Mambo.
Sie führen das Dessounin-Ritual durch, bei dem die Seele vom Körper gelöst und der Übergang in die Geisterwelt geöffnet wird.
Erst danach gilt der Tod als vollständig.

Das Retire d’Âme – Wenn die Seele heimkehrt

Etwa ein Jahr nach der Beerdigung findet ein zweites, wichtiges Ritual statt: das Retire d’Âme, die „Rückholung der Seele“.
Dabei wird der Geist des Verstorbenen symbolisch aus der Wasserwelt der Ahnen emporgehoben und in ein kleines Gefäß – meist eine Kalebasse oder eine Tonurne – überführt.
Diese wird zu Hause oder im Voodoo-Tempel aufbewahrt.
Von nun an ist der Verstorbene nicht mehr nur Erinnerung, sondern ein Ahnengeist, der über die Familie wacht und angerufen werden kann.

Baron Samedi – der Herr des Todes

Auf den Friedhöfen Haitis wacht Baron Samedi, der „Herr des Todes“.
Mit Zylinder, schwarzem Anzug, dunkler Brille und Zigarre ist er eine schillernde Gestalt zwischen Leben und Tod.
Er führt die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt und sorgt dafür, dass sie dort ihren Platz finden.
Gleichzeitig ist er auch der Geist der Fruchtbarkeit – eine Figur, die den Kreislauf des Lebens verkörpert.

Zu seinen Ehren finden am Allerseelentag ausgelassene Feiern statt.
Menschen tanzen auf Friedhöfen, trinken Rum, singen und lassen bunte Kerzen brennen.
Für Außenstehende mag das befremdlich wirken – für Voodoo-Anhänger ist es Ausdruck tiefen Respekts und einer positiven Sicht auf den Tod.

Warum im Voodoo niemand ganz stirbt

In der haitianischen Voodoo-Tradition ist der Tod nicht das Ende, sondern die Fortsetzung des Lebens in anderer Form.
Die Ahnen sind allgegenwärtig – sie leben in den Familien, den Häusern, in den Trommeln, in der Musik.
Sie werden geehrt, befragt, um Rat gebeten.
Vergessen gilt als die schlimmste Sünde – denn wer vergessen wird, stirbt wirklich.

Ein anderer Blick auf den Tod

Voodoo-Bestattungen zeigen, dass der Tod nicht nur Schmerz bedeuten muss.
Er kann auch ein Anlass sein, das Leben zu feiern, die Gemeinschaft zu stärken und die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu erneuern.
Wo bei uns Stille herrscht, erklingen dort Trommeln.
Wo wir Schwarz tragen, trägt man in Haiti Farben.
Und wo wir das Ende sehen, sehen sie den Anfang.

Oder, wie es in Haiti heißt: „Les morts ne sont pas morts“ – Die Toten sind nicht tot.

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