Bestattung interkulturell: Warum Juden die Tora begraben

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Wenn Schriften zu alt werden: Warum Juden Schriftrollen auf Friedhöfen beerdigen

Im Judentum haben Texte eine besondere Würde. Vor allem dann, wenn es sich um religiöse Schriften handelt, die vom Sofer1 – einem speziell ausgebildeten Schreiber – mit größter Sorgfalt auf Pergament geschrieben wurden. Torah-Rollen2, Gebetsbücher oder auch kleine Pergamentstreifen aus den Tefillin3 oder der Mesusa4 sind nicht einfach nur Gegenstände. Sie tragen den heiligen Namen Gottes und sind damit Träger einer besonderen Heiligkeit.

Tora begraben

Keine Entsorgung wie Abfall

Geht eine solche Schriftrolle im Laufe der Jahre kaputt – durch Abnutzung, Alter, Beschädigung oder schlicht mechanischen Verschleiß –, darf sie nicht wie gewöhnlicher Müll entsorgt werden. Im jüdischen Verständnis wäre dies ein Akt der Respektlosigkeit. Vielmehr werden diese Texte behandelt, als hätten sie ein „Leben“ gehabt, das nun zu Ende ist.

Die Geniza – das Zwischenlager der heiligen Schriften

Traditionell werden unbrauchbar gewordene Schriften zunächst in einer sogenannten Geniza5 aufbewahrt. Das ist ein spezieller Aufbewahrungsort, meist in einer Synagoge. Die bekannteste Geniza wurde in Kairo entdeckt – ein Raum, der über 1.000 Jahre lang unbrauchbare religiöse Texte sammelte und heute für die Geschichtsforschung von unschätzbarem Wert ist.

In einer Geniza bleiben die Schriften oft viele Jahre, manchmal sogar Jahrhunderte liegen. Irgendwann aber kommt der Moment, an dem sie endgültig bestattet werden.

Bestattung auf dem Friedhof

Der würdigste Ort dafür ist der jüdische Friedhof6. Dort, wo auch Menschen zur letzten Ruhe gebettet werden, finden die heiligen Texte ihre Ruhestätte. Die Schriftrollen oder Bücher werden in Tücher gehüllt oder in Kisten gelegt und dann in die Erde gegeben.

Dieser Ritus macht deutlich, dass es sich um etwas Heiliges handelt, das man nicht verbrennen oder wegwerfen darf. Der Friedhof ist nicht nur der Ort für die Toten, sondern auch für alles, was untrennbar mit dem Glauben verbunden ist.

Respekt vor dem Wort

Die Praxis der Beerdigung von Schriften zeigt, wie tief der Respekt vor dem geschriebenen Wort im Judentum verankert ist. Jede Rolle, jeder Text wurde mit Hingabe erstellt, getragen von dem Gedanken, Gott zu dienen. Wenn sie unbrauchbar werden, verlieren sie diesen Status nicht – sie werden weiterhin ehrwürdig behandelt.

Fazit

Was für Außenstehende ungewöhnlich wirken mag – die Beisetzung von Schriftrollen – ist Ausdruck einer uralten Tradition, die den Respekt vor dem Wort Gottes betont. Texte, die den Namen Gottes enthalten, gehören nicht in den Abfall, sondern finden – wie Menschen – ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof.

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Bildquellen:

  • tora-begraben: Peter Wilhelm KI

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