Geschichten

Der Franzose -4-

Von den Vermögensverhältnissen des verstorbenen Monsieur Gerard sind wir alle sehr überrascht. Wir können uns sehr gut vorstellen, daß der Mann, der so eindringlich einen Franzosen verkörpern wollte, ein Künstler gewesen ist, das würde zu ihm passen. Antonia sagt sogar: „Ich habe das gleich gesehen, der strömte so etwas Künstlerisches aus.“

Nach langem Hin und Her hat Frau Büser endlich die richtige Telefonnummer von Mademoiselle Chloé herausgefunden. In die Nummer, die ich ihr auf den Zettel geschrieben hatte, war ein Zahlendreher geraten und das Blatt mit der richtigen Nummer hatte ich blöderweise in den Reißwolf gesteckt. Doch wer soll bei der jungen Dame anrufen? Keiner von uns kann richtig Französisch. Um nach einem Friedhof zu fragen und mein Beileid zu einem Todesfall auszudrücken, da hatte mein Französisch am Vortag mit Mühe und Not gereicht. Aber um eine Erbschaftsfrage zu klären?

stacheldraht_pixabay

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„Chef, Sie können alles, Sie haben da auch gestern angerufen, also rufen Sie da an!“, kommandiert Frau Büser, doch ich winke ab. „Nee, ich will mich nicht schon wieder blamieren.“

Antonia grinst und wischt sich ein paar Zuckerkrümel von den Lippen: „Sandy, Du bist doch gut in Französisch, Du mußt das machen.“

Sandy versteht die Anspielung zwar, geht aber darüber hinweg, schnappt sich das Schnurlose und meint: „Nur, wenn keiner zuhört!“

Und tatsächlich, die junge Deutschamerikanerin verschwindet aus dem Büro, geht in die Halle. Dabei wippt ihr zu einem Pferdeschwanz gebundenes schwarzes Haar keck auf und ab. Sie setzt sich auf den Tisch und räkelt ihre langen Beine, die in durchlöcherten schwarzen Strümpfen stecken, durch die Gegend.
Durch das Fenster, aus dem man vom großen Büro der Damen in die Halle kucken kann, sehen wir, daß Sandy wild gestikuliert und redet. Nur unverständliche Fetzen dringen an unsere Ohren.
Frau Büser ist zu sehr Oberkommandantin, als daß sie übersehen kann, daß Sandy zwischendurch ihre abgewetzten braunen Springerstiefel auf den Tisch setzt. „Die macht nachher da sauber, so geht’s ja nicht!“

Nach etwa zehn Minuten kommt Sandy wieder zu uns und wir sind alle sehr gespannt.

„Und, hat Dein Französisch ausgereicht, um mit Mademoiselle Chloé zu sprechen?“, will ich wissen.

„Französisch? Nö, ich habe Englisch mit der gesprochen, warum soll die kein Englisch können?“

Auf die Idee hätte ich auch kommen können, dann hätte ich erstens das Gespräch gestern bequemer führen und zweitens auch heute das Gespräch übernehmen können. Wie blöd!

„Und?“

„Nun, die Pussi meint, der liebe Herr Gerard habe schon auf dem Friedhof dort ein Grab gekauft. Da soll die Urne rein.“

„Das weiß ich. Was ist mit dem Geld?“

Sandy zieht die Augenbrauen hoch und hat so ein verschmitztes, gleichzeitig dreckig wirkendes Grinsen auf ihren dunkelrot geschminkten Lippen: „Tja, der liebe Monsieur Gerard hat da wohl sehr gut vorgesorgt. Er besitzt in Frankreich keinen müden Cent. Die Tussi …“

„Sandy!“

„… ja also, die Frau, die gibt unumwunden zu, daß der ein Vermögen mit seinen Collagen und Bildinstallationen verdient hat, aber das hat er ihr alles schon vor vielen Jahren geschenkt.“

Frau Büser wiegt nachdenklich ihren Kopf und sagt: „Ob das dann Bestand hat? Wenn man kurz vor seinem Tod viel Geld verschenkt, dann können die erben vielleicht doch noch was wollen.“

Ich nicke: „Das könnte tatsächlich gut sein, aber ob unser Herr Casper das in Frankreich durchsetzen kann?“

Sandy klatscht in die Hände: „Hallo? Will mir auch noch jemand zuhören? Soll ich nicht mehr erzählen, was die Tus…, die Frau gesagt hat?“

Sofort sind wir anderen still und blicken Sandy fragend an.
„Also, die Frau hat gesagt, der Typ habe oft von seinem Sohn gesprochen und der bekomme Hunderttausend. Das Vermögen sei viel höher, nämlich achtstellig. Aber das Geld gehöre ihr, das habe der Typ so gewollt.“

Frau Büser schnippt mit dem Finger gegen Sandys Schulter: „Und wenn Du noch einmal Pussi, Tussi oder der Typ sagst, gibt’s ein paar hinter die Löffel!“

Das Telefon mischt sich durch ein nerviges Klingeln ins Gespräch ein und erinnert uns daran, daß wir noch eine Reihe weiterer Sterbefälle zu bearbeiten haben.
Antonia geht ran und wir anderen wollen gerade wieder an unsere Arbeit gehen, da winkt die mollige Angestellte mit einem Arm. Wir verharren und warten ab. Antonia sagt ein paar Mal gedehnt okay und ja, dann legt sie auf.
„Das war Frau Hitz von der Ortspolizeibehörde, der Herr Casper war mit einem Anwalt auf dem Friedhofsamt und hat sich als Bestattungspflichtiger gemeldet. Frau Hitz will jetzt erst einmal die Vorsorge sehen, denn Herr Casper hat gesagt, er sei sich noch nicht sicher, ob sein Vater verbrannt wird oder lieber doch eine Erdbestattung bekommt.“

„Die blöde Kuh!“, ruft Sandy.

Antonia wirft ihr einen gelangweilten Blick zu. „Komm, sei Du doch ruhig, Du warst doch hinter der Hitz her, wie der Teufel hinter der armen Seele, nur weil die Dich nicht rangelassen hast, bist Du jetzt so stutenbissig.“

Frau Büser, die erzkatholisch verwurzelt ist, entzieht sich dem Thema durch ein gemurmeltes: „Sodom und Gomorrha!“

Und ja, ich kann Sandy, die sich nie entscheiden wollte, ob ihr Männer oder Frauen mehr liegen, gut verstehen. Silke-Claudia Hitz ist eine sehr gut aussehende, mittelgroße, schlanke Rothaarige mit vielen Sommersprossen und einer ansehnlichen Oberweite.
Ihre blauen Augen und das strahlend weiße Gebiß tun ein übriges, um sie sehr verführerisch wirken zu lassen.

Aber Fraulein Hitz war mit einem Stück Stacheldraht im Hintern auf die Welt gekommen, saß immer kerzengerade, fast schon stocksteif hinter ihrem Schreibtisch und schaute einen stets mit bohrenden Blick und zusammengekniffenen Lippen an.
Sie verkörpert die Ortspolizeibehörde, nicht die Schutzpolizei, sondern die Stadtpolizei, die zum Beispiel das Rauchen in Garagen verbietet. In dieser Eigenschaft ist sie auch für alle Verstorbene ohne Angehörige und für die öffentliche Ordnung rund um das Bestattungswesen zuständig, kann Bestattungen von Amts wegen anordnen und Bestattungen auch ganz schön verzögern.
Schlimm wird es aber, wenn sie den Mund aufmacht! Da kommt nur Bissiges, Böses und Scharfes heraus und jeder ihrer Sätze stellt ihren Gegenüber als nichtsnutzigen Tagedieb hin. Zumindest hat man dieses Gefühl, denn was sie sagt, ist natürlich immer von amtlicher Korrektheit umspült. Sie spricht quasi BGB, wenn es das als Sprache gäbe …

Ich wäre ja auch gerne mal mit der Sommersprossigen einen Kaffee trinken gegangen, aber erstens weiß ich nicht, ob sie mit dem Stacheldraht auf den Bistrostühlen gut sitzen würde, und zweitens würde mir meine Allerliebste wahrscheinlich auch so einen Draht verpassen …

So bleibt mir nur, hin und wieder mit Sandy einen Kaffee zu trinken, die hat auch Sommersprossen, wenn auch nicht so viele und dann sind diese meistens auch noch ziemlich hell weggeschminkt. Von Sandy droht, davon ist die Allerliebste überzeugt, keinerlei Gefahr, die steht ja auf Frauen …

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 22. September 2015

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    4 Kommentare
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    Caroka
    9 Jahre zuvor

    Spannend wie es weitergeht.
    Aber wie habt ihr eigentlich in Part 3 mit der Frau Chloé telefoniert wenn ihr die Nummer nicht korrekt hattet?
    Und wieso ist erst jetzt das fehlende Französisch ein Problem?

    😉

    Reply to  Caroka
    9 Jahre zuvor

    @Caroka: Völlig richtig bemerkt, da trog mich meine Erinnerung.
    Ich habe es angepaßt. Danke für den Hinweis.

    9 Jahre zuvor

    Lach, so kenne ich das auch, in einer Fa. mit französischen Besitzern mußte ich immer in Frankreich anrufen, wenns nötig war, traute sich sonst keiner.

    Bei mir reichte es zumindest dazu, jemand ans Telefon zu bitten, der Englisch kann 😀

    Sowas mögen Franzosen zwar eigentlich gar nicht, aber andererseits gab man sich ja auch international.

    Coffin Corner
    9 Jahre zuvor

    Bei dem Pferdeschwanz fällt mir immer die Partnerschaftsanzeige ein: „Junge Frau mit Pferdeschwanz sich adäquaten Partner!“




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