Mitarbeiter/Firma

Der Routinekunde

Mir persönlich ist es ja am Liebsten, wenn alte Leute zu mir kommen und etwas hilflos, aber nicht kopflos, um unsere Dienstleistung bitten und einen ebenfalls alten Ehepartner zu betrauern haben. So ist der Lauf der Dinge, etwas Ähnliches kommt früher oder später auf jeden von uns zu.

Glücklicherweise sind das auch die allermeisten Kunden, die zu einem Bestatter kommen. Manche nennen das 08/15-Fälle, andere sagen Standardsterbefall und tatsächlich, man weiß schon beim Eintreten der Kunden in etwa, was diese gleich sagen werden und was sie bestellen und aussuchen werden.
Viel Arbeit hat man damit nicht, zumindest wird man nicht besonders gefordert.

Und wenn es etwas geben sollte am Bestatterdasein, was mich nervt, dann ist es die Routine, die sich vornehmlich in den Sätzen widerspiegelt, die man Tag für Tag so sagt.

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Mich wundert es selbst, wie ich es immer wieder hinbekomme, bestimmte Sätze nicht herunterzuleiern. Sätze die man schon hunderte mal gesagt hat, die man vielleicht an diesem Tag schon dreimal gesagt hat. Man will das gar nicht, man möchte gerne jedem Kunden die maximale Aufmerksamkeit widmen, er hat sie verdient, er erwartet sie und er bezahlt ja letztlich auch dafür. Aber wenn man schon 499 mal erklärt hat, wodurch sich ein Reihengrab von einem Wahlgrab unterscheidet, dann kann das schon mal vorkommen, daß man das beim 500sten mal einfach erzählt und schon mit den Gedanken ganz woanders ist oder sich schon mal etwas notiert; der Mund redet das von ganz alleine.

Ich glaube, das sind aber auch die Momente, in denen Fehler passieren. Man sabbelt vollautomatisch, man ist mit den Gedanken schon zwei Schritte weiter und dann sagt der Kunde etwas, was man nicht mitbekommt und schon ist der Fehler vorprogrammiert. Man hört ja scheinbar zu, schreibt ja gerade etwas, der Kunde denkt, man habe sich seinen Wunsch notiert und wenn man dann wieder seine Aufmerksamkeit auf den Kunden lenkt und generell mal abfragt, ob denn noch besondere Wünsche und Vorstellungen zu berücksichtigen sind, dann hat der Kunde ja schon alles geäußert, schüttelt den Kopf und man hat in diesem Moment einfach etwas überhört.

Es ist ein Kampf gegen die Routine, den man jeden Tag kämpft, auch eine Herausforderung.

Die besonderen Sterbefälle, die einen mehr fordern als andere, die machen einen sowieso wach und man ist sehr darauf bedacht, daß man die außergewöhnlichen Umstände berücksichtigt. Hier passieren dann auch die wenigsten Fehler. Die Kunden selbst achten schon im Vorfeld auf alles, man selbst ist außerordentlich eingebunden und deshalb machen komplizierte Sterbefälle vielleicht mehr Arbeit, weil mehr zu berücksichtigen ist; aber die ganz normalen, die alltäglichen Sterbefälle haben ein wesentlich größeres Fehlerpotential.

Das setzt sich auch auf die Pfarrer, die Blumenlieferanten und die Friedhofsmitarbeiter fort. Auch diese Leute sind, das ist meine Feststellung nach vielen Jahren, bei 08/15-Bestattungen in ihrer Routine gefangen. So einem alten Mütterchen wird einfach nicht soviel Aufmerksamkeit entgegengebracht wie einem jugendlichen Verstorbenen oder einem Familienvater oder einem Unfallopfer, über das sowieso jeder spricht.

Die Kunst des Bestatters liegt auch darin, jeden Tag aufs Neue jedem Kunden möglichst 100% Aufmerksamkeit zu schenken; und das gilt nicht nur für Bestatter, daß gilt für alle Kaufleute, Dienstleister und Behördenmitarbeiter.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Hier erzähle ich Geschichten aus meinem Bestattungshaus und insbesondere über meine fabelhaften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Namen sind verändert. Manchmal wurde auch mehrere Personen zu einer Erzählfigur zusammengefasst.

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 20. November 2009 | Revision: 17. August 2012

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Christians Ex
15 Jahre zuvor

Auweh, ich habe da auch eine Reihe von Standardsätzen, und einen davon kann ich nur noch mühsam deutlich aussprechen: ich nuschel dann immer. Ich muss mich da schon am Riemen reißen.

Me
15 Jahre zuvor

Was liegt am Strand und spricht undeutlich?

Eine Nuschel!

Dicker Lechthaler
15 Jahre zuvor

Immerhin tröstlich ist doch die Tatsache daß auch andere gelegentlich auf „Autopilot“ unterwegs sind.
Solange man es noch merkt….
Lechthaler

15 Jahre zuvor

Ja, dass ist oft echt schwierig. Ich hab’s sogar schon einmal gebracht, einen Standartsatz zu sagen, weil ich ihn in der Situation immer sage – zu dem speziellen Fall passte er aber gar nicht! Argh! Den Autopilot abzustellen ist echt eine Herausforderung – und ganz, ganz wichtig.

15 Jahre zuvor

Wahr gesprochen… Für sich selbst genommen ist jeder mit seinem Problem einzigartig. Ich denke, diese Aufmerksamkeit sollte man in jedem Beruf seinem Klienten/Patienten/wasauchimmer widmen.

15 Jahre zuvor

Exakt das ging mir vorhin am Telefon durch den Kopf. Ich hab dann nen Gang runtergeschalten. Der behördliche Vorgang war für mich ganz klar aber dachte mir dann ich Versuche ihr das Bild zu malen das ich grad denke und schon hat sies kapiert.

VivaMaria
15 Jahre zuvor

eine Nuschel … das kam so unerwartet, jetzt musste ich wieder einen Hustenanfall vortäuschen.
Ich versuch auch immer, diese Sätze so zu sagen, als wäre es das erste Mal an diesem Tag, aber ob’s die Leute glauben …?

Sonja
15 Jahre zuvor

Naja ich sitze im Kundenservice. Und ich muss gestehen, in dem Moment, in dem ich versuche, diese im Kopf schon vorformulierten, immer wieder runtergeleierten Sätze mal anders zu formulieren, fange ich an zu stocken und weiß nicht mehr, wie ichs sagen soll, das ist in dem Moment, in dem man erklären soll, wieso was nicht lieferbar ist oder wo der Unterschied zwischen zwei Produkten besteht, auch ungünstig.
Aber mir fällt auch auf, dass ich einzelne Worte in Sätzen gleich betone und im gleichen Moment fällt mir dann auch auf, dass die Betonung irgendwie doof ist 😉

Kryptische
15 Jahre zuvor

Ach wie gut ich diese Routine kenne. Ich habe zwar einen völlig anderen Job, aber ich habe mit Menschen (und ihren Haustieren) zu tun. Eigentlich möchte man jedem helfen und jedem Aufmerksamkeit schenken und doch passiert es immer wieder, dass man nur noch die Standardsätze abspult und unpersönlich wird. Ich finde es gut und wichtig, dass man sich dessen bewusst ist und zumindest versucht dagegen anzugehen.

PS: da dies mein erster Kommentar hier überhaupt ist: vielen Dank für diesen Blog, wir (Mann und ich) sind seit Tagen begeistert am lesen und das Buch wird bestimmt von uns einigen Freunden unter den Weihnachtsbaum gelegt.

fuzzy
15 Jahre zuvor

Bei Handwerkern (auch Hobby-) führt die Routine häufig zu abgetrennten Gliedmaßen!

Gegen die tägliche Routine anzukämpfen ist wirklich eine Herausforderung.

AndreB
15 Jahre zuvor

Gut nachgedacht Herr Bestatter!

Der Kunde, der die für dich 5000. Wiederholung der selben Frage stellt ist meist der, der sie selbst zum ersten Mal stellt und dazu noch in einer Ausnahmesituation.

Für einen guten Verkäufer – auch ein Bestatter zählt zu der Kategorie – ist jeder Kunde ein neuer Kunde und auch eine neue Herausforderung. Was kann der Kunde dafür, das er nicht das Wissen des Verkäufers hat? Was kann der Kunde dafür, das seine ernst gemeinte Frage nur inneres Gähnen im Verkäufer auslöst.
Routine ist schon wichtig – der Kunde darf es nur nicht merken!




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