Geschichten

Frühbier -IV-

„Das ist doch das Gerede einer alten verwirrten Frau. Diese Angela war doch bekloppt, schon mit zwölf Jahren hat die vor jedem Mann ihren Rock hochgehoben. Ist gut, daß die dann weggezogen ist. Aber meinen Mann haben sie eingesperrt, ist ja klar. Der war doch schon vorverurteilt, weil er tätowiert war.
Ja heute da ist doch jeder tätowiert, aber damals…
Aber ich will nicht darüber sprechen. Der Horst hat sowieso eine schwere Kindheit gehabt, bei der Mutter!“

Es ist Frau Frühbier, die Ehefrau des Verstorbenen, die vor mir sitzt und die einiges ein wenig anders haben will als ihre Schwiegermutter.

„Verbrennen ist gut, das hat mein Mann so gewollt, aber er kriegt einen richtigen, anständigen Sarg und eine schöne Urne. Deshalb bin ich gekommen, um das auszusuchen.“

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Ich kenne Frau Frühbier nur vom Sehen. Sie arbeitet in einem Supermarkt, geht morgens ganz früh weg und kommt erst spät wieder heim. Auf mich macht sie einen fleißigen Eindruck.
Nervös nestelt die schlanke, blonde Frau an ihrer Handtasche herum und es sieht aus, als sitze sie auf einem Nadelkissen. Man merkt, daß ihr das alles sehr unangenehm ist und sie es am liebsten hätte, wenn sie gar nicht über die Vergangenheit ihres Mannes sprechen müsste.

Natürlich habe ich mich diskret verhalten und mit keinem Wort irgendetwas von dem erwähnt, das mir die Mutter des Verstorbenen erzählt hatte. Nein, die Witwe hatte von sich aus davon angefangen. Ungefähr so: „Meine Schwiegermutter war ja schon bei Ihnen gewesen und wie ich die kenne, hat die Ihnen ja schon alles über meinen Mann erzählt…“

Dem Bestatter ist es egal ob der Mensch, den er bestatten soll, ein Heiliger oder ein Sünder war. Seine Aufgabe ist es, die Menschen würdig unter die Erde zu bringen. Mehr als ein paar grundlegende Informationen über Sarg, Grab und Bestattungsform muß der Bestatter gar nicht wissen. Und dennoch fangen die Leute immer wieder an zu erzählen.

Vielleicht liegt es an meiner ruhigen Art, an meiner Größe und Körperfülle, daran, daß ich zuhören kann, jedenfalls schütten mir die Menschen immer ihr Herz aus. Übrigens ist das bei Sandy nicht viel anders, auch ihr schenken die Menschen Vertrauen und erzählen alle möglichen Geschichten. Vermutlich liegt es an ihrer Jugend, ihrem Aussehen und ihrem manchmal etwas unkonventionellen Auftreten. Wenn die Leute dann merken, daß sie trotz alledem sehr kompetent und klug ist, sind sie vermutlich auch bereit, ausgerechnet ihr vieles anzuvertrauen.

Jetzt könnte man meinen, ich sei auch besonders neugierig auf das was die Menschen zu erzählen haben. Aber das ist gar nicht so. Schon gar nicht habe ich jemals jemanden zum Sprechen aufgefordert, um an packende Geschichten für ein Weblog oder Buch zu kommen. An so etwas habe ich nie gedacht, so etwas war nie geplant und die Möglichkeiten, sich über ein Weblog mitzuteilen, die gab es zu dieser Zeit, als die meisten Geschichten passiert sind, überhaupt noch nicht in dieser Form.
Auch bin ich es müde, diese Geschichten zu hören. Man kann sich nicht vorstellen, wie oft ich die immer gleiche Geschichte von Krieg, Flucht, Vertreibung und Wirtschaftswunder schon gehört habe…
Oder die ewig gleichen Geschichten von der jahrelangen Pflege eines Angehörigen, bockigen Krankenkassen und langem Leiden…

Es ist schön, wenn es anders ist, aber in vielen Regionen gibt es keine Seelsorger mehr, die Zeit zum zuhören haben, oder die Menschen haben einfach den Draht zum Pfarrer verloren. Ja und genau deshalb sehen sie in dem großen Dicken mit dem Bart jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten können, bei dem sie einen Teil ihres Leids abladen können.

„Der könnte doch auch in den Bestattungswald, oder?“

Mit dieser Frage reißt mich Frau Frühbier aus meinen Gedanken und ich muß eine Sekunde lang überlegen, bis ich wieder bei der Sache bin. Ja klar, der kann auch in den Wald, ich überlege schon die nächsten Schritte, da sagt sie: „Ein Grab will ich nämlich keins, aber eine schöne Stelle soll er haben und bei einer solchen Waldbestattung kann man sich den Platz doch raussuchen und da wird er nicht einfach so irgendwo auf der grünen Wiese verbuddelt.“

Das ist richtig. Im Bestattungswald kann man sich seinen Baum aussuchen, man hat die Wahl zwischen Einzelbäumen, Familienbäumen und Gemeinschaftsbäumen und man weiß, wo der Verstorbene liegt.

Meinetwegen, soll also Horst Frühbier einen Platz unter einem Baum im Wald bekommen. Die Ehefrau ist die Bestattungsberechtigte und ich bitte sie, das doch mit ihrer Schwiegermutter selbst abzuklären, nicht daß die dann ihre Meinungsverschiedenheiten noch auf meinem Rücken austragen.

Trotzdem kommt mir die Sache merkwürdig vor, irgendwas stimmt mit der Witwe nicht, immer wenn sie von ihrem Mann sprach, blickte sie mir nicht mehr in die Augen, sah an mir vorbei und es war ganz eindeutig, daß da noch irgendwo der Hase im Mondschein begraben liegt.


Doch zu einer Meinungsverschiedenheit sollte es gar nicht kommen. Am Nachmittag tauchte Mutter Frühbier bei uns auf und zeigte sich mit den Änderungswünschen ihrer Schwiegertochter einverstanden: „Wenn die’s bezahlt, soll’s mir recht sein. Hauptsache der ist weg.“

Ich kann die Frau verstehen und ich sehe, wie sie zwischen mütterlichen Gefühlen und ablehnender Härte hin und her gerissen ist. Während sie über Gott und die Welt erzählt, höre ich heraus, daß sie ihrem Sohn die Vergewaltigung der behinderten Angela schon lange nachgesehen hat und das als längst erledigt, längst vergessen für sich abgehakt hat. Was sie ihm aber nicht verzeihen kann, das ist die Schande, die er über die Familie gebracht hat und daß sie in diesem Moment sozusagen einen anständigen Sohn verloren hatte.
Bis dahin war er ein rauflustiger, ungezogener Bengel gewesen, aber welche -heute in ganz achtungsvollen Berufen arbeitenden- Männer sind nicht auch noch alle gewesen.
Aber durch diese Tat war die Chance, mal ein anständiger Erwachsener zu werden, zumindest in den Augen der Leute, ein für allemal vertan. Für die Menschen war das dann nur noch Frühbier der Vergewaltiger.

Tatsächlich, aber darüber hatte ich ja schon geschrieben, ist es dann ganz anders gekommen. Die Leute haben schneller vergessen, als man es meinen möchte.

„Ach, wenn das nur alles gewesen wäre. Der Horst hat mir von da an nur noch Kummer gemacht. Aber wenigstens hat er nicht mehr vors Gericht gemusst, also dafür wenigsten nicht, für andere Sachen schon. Aber davon weiß hier ja niemand was, die kleinen Sachen sind alle ohne viel Geschreibsel in der Zeitung abgegangen und die große Sache, da wird er sich vor dem lieben Gott verantworten müssen.“

„Für die Vergewaltigung“, sage ich verstehend und die alte Frau schüttelt nur den Kopf.
„Nein“, sagt sie, „dafür, daß er seinen Bruder auf dem Gewissen hat.“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 26. August 2010 | Revision: 19. Juni 2012

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turtle of doom
14 Jahre zuvor

Meine Gebete wurden erhört!

Konni Scheller
14 Jahre zuvor

Ich hasse diese Cliffhanger.

Hält mich nur von der Arbeit ab.

Obwohl… wenn ich es mir recht überlege… weiter so!

hajo
14 Jahre zuvor

schon wieder eine Wendung! 🙂
Pass auf, lieber Tom, dass Du nicht die Richtung verlierst 😉
übrigens: an Deiner Körperfülle kann’s ja nicht liegen, dass die Leute Dir gegenüber kommunikativ werden („Übrigens ist das bei Sandy nicht viel anders“)

turtle of doom
14 Jahre zuvor

Ich muss gottverdammt weiterbeten. *argh*. 😛

Big Al
14 Jahre zuvor

Tom,
was biste fies.
Na warte.
Forchheim, sag` ich nur…
B. A.

Falkenhayn
14 Jahre zuvor

Lieber Undertaker,

Nur weil es Cliffhanger gibt, heisst das noch lange nicht, dass man sie auch benutzen muss. Oder um beim Thema zu bleiben: nur weil man einen Schniepel hat muss man nicht zwangsläufig zum Vergewaltiger werden!
OK, wir haben’s begriffen und anerkennen: Du kannst es!
Und nun, lass es!
Bitte, hör mit der Klippenhängerei auf. Bitte…

14 Jahre zuvor

Jap. Da sollte Tom aber vor dem 18. noch fertig werden. Sonst wartet in Forchheim der Mob mit der Mistgabel und er muss dort die Geschichte auf dem Marktplatz zu Ende erzählen und darf erst aus der Schandgeige, wenn alle Cliffhanger beseitigt sind. 🙂

Ich warte auf Jutjub videos…

Gruß
Joe

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Joe Nevermind.
Danke für deine Anregungen.
B. A., in den Geräteschuppen stiefelnd…

Tobi
14 Jahre zuvor

Danke Tom für deine Geschichten.
Mach einfach so weiter.. gerne auch in Häppchen… so hab ich mehr davon und freu mich auf den nächsten Post.
Und lass dich nicht drängeln.

Gruß Tobi

14 Jahre zuvor

Ihr geht jetzt aber in Forchheim nicht hin, bindet ihn vor einem Laptop fest und macht dann Toms-Geschichten-Wurstmotor?

Man stellt hinter dem Laptop, genau außerhalb der Reichweite von Toms Fingerchen, einen dicken fetten Schnitzelteller hin und das kriegt er erst, wenn alles fertiggeschrieben ist. 😉

So in etwa? *g*

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Tante Jay.
Mein Notizheft füllt sich:
Mistgabel, Wurstmotor, Schandgeige, Cliffhangermenü (ähnlich Wurstmotor)
B. A.

14 Jahre zuvor

Schandgeige ist doof, da kann er nicht mehr tippen. Würd ich lassen.

Mistgabel ist auch doof, es sei denn, du hast was, wo er dann im Stehen tippen kann. *fg*

Wurstmotor und Cliffhangermenü (willst ihm das Menü an den Zehennägeln hängend an einer 300 m hohen Klippe servieren? *g*) kann man machen, aber achte drauf, dass die Finger in Ordnung bleiben 🙂

Fraggel
14 Jahre zuvor

Ich bin gespannt in welcher Folge rauskommt dass der junge Frühbier am Klimawandel schuld ist und wann seine Verwickelung in die Anschläge vom 9/11 thematisiert wird.

14 Jahre zuvor

Vielleicht bringe ich den wahnsinnigen letzten Teil auch nur live in Forchheim, mal sehen.

Christina
14 Jahre zuvor

@ Tom:

Auja 🙂 😀

Alle offenen Cliffhänger werden in Forchheim live aufgelöst.

Garfield
14 Jahre zuvor

Was ist denn ein Wurstmotor?

Beccy
14 Jahre zuvor

@ Tom…
WEEEEEEEEHEEE! Dann, dann… naja gut, mach ich wahrscheinlich gar nichts ausser schmollen 😉
Kannst du das wirklich mit deinem Gewissen vereinbaren? Hmmm?

Silke
14 Jahre zuvor

Aber bitte auch hier im Blog – sonst werden die, die nicht zum Treffen kommen können, ja doppelt bestraft… 😉

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Undertaker Tom.
Da ist doch ein großer freier Platz vor dem „Roten Ochs“.
Dort ein Podium aufstellen, Tom draufschnallen, bei schlechtem Vortrag Wurfgemüse verabreichen…
B. A., den Komposthaufen im Garten betrachtend…
Bringst wohl doch besser die militante Rentnergang zu deinem Personenschutz mit.
Notiz an B. A.: Muß mal Konni anrufen.

Turtle
14 Jahre zuvor

@Garfield: Das habe ich mich auch grade gefragt 🙂

Christina
14 Jahre zuvor

@ Big Al:

*grmpf* vielleicht sollte ich mal wieder zum Augenarzt – jetzt hab ich gerade „Wurstgemüse“ gelesen …

Anita
14 Jahre zuvor

Ich tippe auf Autounfall wo der gute Herr Fruehbier rotzebesoffen mit seinem Bruder gefahren ist und der Bruder dabei ums Leben kam.
Gegenspekulationen?

Klaus
14 Jahre zuvor

Als Kind die Treppe runtergeschubst –> Genickbruch –> aus die Maus

14 Jahre zuvor

*argh* Langsam werde ich irre.
Schade, dass Forchtheim so weit weg ist! *grummelgrummel*
[img]http://wuerziworld.de/Smilies/boewu/boewu8.gif[/img]

simop
14 Jahre zuvor

@Garfield, Turtle:
Fragt doch mal Tante Wikip… äh…Onkel Stupidedia … 😀

Sonne
14 Jahre zuvor

„Vielleicht bringe ich den wahnsinnigen letzten Teil auch nur live in Forchheim, mal sehen.“

Och nöööööööööööö….das kannst du uns nichtkommenden Lesern doch nicht antun, das wäre voll gemein wäre das, jawoll !^^

Garfield
14 Jahre zuvor

@ simop:

Den großen Bruder Google (Das ist doch jetzt mal ein Wortspiel!) habe ich schon befragt. So bin ich auch bei Onkel Stupedia gelandet. Ich steh dennoch auf’m Schlauch, werde aus den Wurstmotor-Kommentaren nicht schlau.

Big Al
14 Jahre zuvor

@ Garfield.
Ich versuche mal dich vom Schlauch runter zu schubsen.
Tom soll auf Cliffhangerart (an/ab)gefüttert werden.
Immer das Essen knapp außer Reichweite von Tom halten damit er die Stories endlich schnell beendet. Cliffhanger fertig = Hammhamm für Tom.
Motivation/Antrieb per Wurst sozusagen 😉
Esel/Angel/Mohrrübe vor Eselsnase, na, macht`s „Klick“?
B. A.

14 Jahre zuvor

@Garfield: Ist eine Ableitung von Lupos Wurstmotor:

Man nehme einen handelsüblichen Holzkarren, spanne einen Hund davor und setze sich mit einer Angel und einer Wurst auf den Kutschbock.
Dann muss man nur noch die Wurst als Köder an der Angel befestigen und immer knapp außer Reichweite des Hundes halten – voilá: Der Wurstmotor *g*

Sowas in der Art stelle ich mir als Toms-Cliffhangermotor vor 🙂

14 Jahre zuvor

Wurstmotor: Hatten wir doch sogar schon im Blog und zwar
[url=http://bestatterweblog.de/archives/Schreibtisch-Karussell/4981]hier.[/url]

Big Al
14 Jahre zuvor

Tom, du willst also im Kreis rennen?
Notiz an mich: Laufstall XXL mitnehmen nach Forchheim.
B. A.

14 Jahre zuvor

Verstärk dann aber das Bodenblech *grinsel*

UND MACH FOTOS!!! *g*

Garfield
14 Jahre zuvor

@Tante Jay:

Aaaaaaah! Der Groschen, er fiel.

@ Tom:

Dachte ich mir fast, nur ergab die Suche keine Treffer. Danke für den Link. Lustige Erfindung. 😀

14 Jahre zuvor

Ich sag nur Livestream. Dann haben auch alle anderen was von dem Treffen 😉

Maschka
14 Jahre zuvor

och, bitte nicht nur am Treffen 🙁
Falls dus zum Schutz der Ehefrau nicht ins Blog stellen willst, lass es uns dann wenigstens wissen, ja? Sonst zappeln wir noch ewig rum. 😉

Peter heisst jetzt Held in Ausbildung
14 Jahre zuvor

[quote=““]und genau deshalb sehen sie in dem großen Dicken mit dem Bart jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten können“
[/quote]
—> der Weihnachtsmann?!?

Du bist der Weihnachtsmann?

Uli
14 Jahre zuvor

… er hat nichts von rotem Mantel gesagt Peter !!!

Asz
14 Jahre zuvor

Nu is aba genuch, eh!

Ma Rode
14 Jahre zuvor

Na prima, sämtliche Cliffhänger-Auflösungen inclusive Sandy und Antonia life in Forchheim? Tom, Du hörst von meinen Anwälten …




Rechtliches


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