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Günther -XVIII-

Horst ergriff nun die Initiative.

„Also, du rufst jetzt Deine Töchter auf dem Handy an!“ kommandierte Horst und schob Günther sein Mobiltelefon über den Tisch. Doch Günther schaute Horst nur verständnislos an, schob ihm das Telefon wieder zurück und sagte kopfschüttelnd: „Die haben kein Handy. Kannst Du mir mal sagen, wie ich die Gebühr finanzieren sollte?“

„Aber heute hat doch jeder ein Handy!“ staunte Horst, doch er bekam sofort heftigen Widerspruch, denn auch Leo winkte ab: „Ich nich, ich brau so Schietkram nich.“

„Weißt Du wenigstens, wo diese Familienhelferin wohnt?“ fragte Horst seufzend. Doch auch diesmal schüttelte Günther nur den Kopf.

„Weiß Du denn irgendwas über die?“

„Nee.“

„Ja und warum nicht?“

„Tja, was soll ich da sagen? Die kommt vom Amt. Fragst Du irgendeine Amtsperson, die an Deine Tür kommt, wo sie wohnt?“

Horst sah ein, daß er so nicht weiterkommen würde und nahm nun sein Handy zur Hand. In Windeseile hatte er sich mit dem dem Internet verbunden und suchte im Telefonbuch nach dem Eintrag von Frau Birnbaumer-Nüsselschweif. Wenigsten wußte Günther diesen Namen und Horst war sich sicher, daß es außer der in Frage kommenden Person niemanden geben würde, der so heißt.

Tatsächlich fand Horst aber acht Einträge mit dem Namen Birnbaumer und jeweils nur einen Männervornamen dazu. Das enttäuschte ihn. „Mist! So kommen wir auch nicht weiter. Also rufen wir jetzt beim Amt an!“

„Das bringt doch nichts!“ protestierte Günther. „Da habe ich schon angerufen, die sagen mir nichts.“

„Gut, dann rufen wir eben bei diesem Schwesternhilfswerk von der Kirche an“, verkündete Horst, tippte wieder auf seinem Handy herum und dann wählte er eine Nummer.

Als sich am anderen Ende jemand meldete, sagte Horst: „Rechtsanwalt Dr. Fleischmann, ihre Frau Birnbaumer-Nüsselschweif hatte mich um einen Rückruf gebeten… Aha… Ach so… Ja, genau, ich notiere mal…“ Dann beendete er das Gespräch und grinste. „So, die Nummer und die Adresse habe ich. Die Alte heißt übrigens Luitgard mit Vornamen.“

„Lui was?“ fragte Leo und Horst sagte langsam und betont: „Luitgard.“

„So eine kann eigentlich auch nur so’n Schietnamen haben…“ knurrte Leo, nahm sich noch einen Kaffee, tippte sich an die nicht vorhandene Mütze und verschwand in Richtung seines Wohnwagens.

„Komm!“ befahl Horst und zupfte Günther am Ärmel seines karierten Flanellhemdes. Schwerfällig erhob sich Günther und seufzte. Ihm war klar, daß das vor ihm Liegende nicht einfach werden würde.

Auf der Fahrt zum Haus der Birnbaumer-Nüsselschweif gingen Günther viele Dinge durch den Kopf. Er sah ein, daß er mit seinen stümperhaften, privaten Ermittlungen viel wertvolle Zeit verplempert hatte. Zeit, die die Polizei besser hätte nutzen können, denn es bestand ja jederzeit die Gefahr, daß die Albaner Sokoll und Raban zu einer anderen Baustelle verschwanden und wieder niemand sagen konnte, wo man sie finden würde.
Außerdem hatte die Birnbaumer-Nüsselschweif es wohl fertig gebracht, sich nicht nur intensiv um die beiden Mädchen zu kümmern und ihnen etwas Zuneigung zuteil werden zu lassen, sondern sich auch in ihr Vertrauen zu schleichen und sie problemlos mitzunehmen.

Aber das hätte ja jetzt ein Ende, da war sich Günther sicher. Sobald er dort auftauchte, würden sich die Mädchen freuen, ihren Papa wieder zu sehen und sofort mit ihm nach Hause kommen. Sie hatten sich doch immer so wohl gefühlt in der Villa Kunterbunt.

Das Haus der Birnbaumer-Nüselschweifs war eher schmucklos und grau, nicht besonders groß und als einziges in der Reihe freistehend. In der Auffahrt neben dem Haus standen ein großer BMW und direkt dahinter der Renault-Espace mit dem die Füllige immer zu Günther gekommen war.
Hinten auf dem Espace prangte das Fischli-Abzeichen, wie Günther es nannte.
Die Fenster des Hauses waren schön mit Blumen und Gardinen dekoriert, was Günther sehr gut gefiel, jedoch hatte er selbst nur nur vorne raus alte, graue Bistro-Gardinen und keine Pflanzen. Wegen des weit überhängenden Daches seiner Villa Kunterbunt war es für Pflanzen auf dem Fensterbrett zu dunkel.

Entschlossen drückte Horst den Plastikknopf unter dem Keramikschild, auf dem sich jemand ein paar naiv anmutende Gänse und aus dünnen Schlangen von Ton den Namen Birnbaumer-Nüsselschweif, aus dem künstlerischen Nirwana gequält hatte.

Zunächst passierte nichts, Horst klingelte noch einmal und dann wurde hinter einem kleinen Flurfenster an der Seite des Hauses eine Bewegung wahrnehmbar, kurz darauf öffnete es sich und ein Mann mit kurzgeschorenem Bart schaute heraus. „Was ist? Was kann ich für Sie tun? Ich sag’s Ihnen gleich, wir kaufen nichts, wir geben nichts, wir unterstützen unser eigenes Sozialprojekt, wir brauchen nichts und wir treten Ihrer Kirche auch nicht bei. Einen Staubsauger haben wir auch schon und an unserem Haus muß nichts repariert werden.“

Ob dieses Redeschwalls standen Günther und Horst nur stumm und staunend da und bevor einer von ihnen auch nur ansatzweise den Mund aufmachen konnte, ging das Flurfenster wieder zu.

„Das gibbet doch gar nicht!“ schimpfte Horst und klingelte nochmals. Wieder ging das Fenster auf, dieses Mal war es aber nicht der Mann, sondern Luitgard Birnbaumer-Nüsselschweif höchstpersönlich. „Ach Sie sind’s. Was wollen Sie hier?“ fragte sie, als sie Günther erkannte.

„Ich will zu meinen Töchtern“, sagte Günther und rappelte an der Klinke des Tores, aber es öffnete sich nicht.

„Denen geht’s gut“, sagte die Frau und wollte sich gerade wieder zurückziehen, da mischte sich Horst ein: „Schluß jetzt! Der Mann will seine Töchter sehen und Sie schicken die Mädchen jetzt entweder heraus zu uns und zwar bei geöffnetem Tor oder sie lassen uns herein… oder…“

„Oder was?“

„Oder wir holen mal flugs ein bißchen die Polizei. Oder haben Sie etwa einen Beschluß, der es Ihnen erlaubt, die Mädchen zu sich zu nehmen?“

Das Fenster flog zu und nichts rührte sich. Günther sah seinen Freund hilflos an und zuckte nur mit den Achseln. „Und? Was machen wir jetzt?“

„Das was ich gesagt habe. Entweder wir kommen da rein oder die Mädels kommen raus oder wir rufen die Polizei.“

Kaum hatte Horst das gesagt, summte der elektrische Türöffner und Günther konnte das Tor aufdrücken.
An der Haustüre empfing sie die Birnbaumer-Nüsselschweif, die ein weites, geblümtes Hauskleid mit aufgedruckten Giraffen trug. „Also wirklich, da kommen Sie einfach so daher und stören unsere Ruhe. Sie haben Recht, die Mädchen sind hier und denen geht es gut. Denen geht es sogar so gut bei mir, die wollen gar nicht zu Ihnen zurück“, sagte sie zu Günther.

„Das ist doch Quatsch“, schimpfte dieser: „Das sind meine Töchter und die nehme ich jetzt mit zu mir nach Hause. Da gehören sie schließlich hin!“

„Nichts da! Die bleiben bei mir. Bei mir geht es denen nämlich wirklich gut und da bekommen sie alles was sie brauchen. Was haben die Kinder denn bei Ihnen? Eine feuchte, klamme Unterkunft wie im Mittelalter, ein Spülbecken in dem sie sich waschen müssen, alles dreckig, speckig und staubig. Bei mir haben sie richtige Zimmer mit Licht und Luft und Spielzeug und gutes, gesundes Essen – alles bio!“

„Ich will jetzt sofort meine Töchter sehen!“ beharrte Günther und Horst fügte hinzu: Sonst rufen wir die Polizei.“

„Die Polizei? Daß ich nicht lache! Sie wollen die Polizei rufen? Ein stadtbekannter Frauenmörder! Eine Frechheit, mir mit der Polizei zu drohen!“ rief die Birnbaumerin ihnen zu. Aus dem inneren des Hauses schob sich ihr Mann neben sie und sagte: „Außerdem ist das Hausfriedensbruch, was Sie da machen…“

„Halt den Mund!“ herrschte die Birnbaumer-Nüsselschweif ihren Mann an, legte ihm die flache Hand aufs Gesicht und drückte ihn mit Leichtigkeit ins Haus zurück. Dann wandte sie sich wieder den beiden Freunden zu und sagte: „Aber der da hat Recht! Das IST Hausfriedensbruch. Und dafür kommen Sie beiden ins Kittchen. Sie bedrohen mich ja geradezu! Schauen Sie nur mal wie bedrohlich und gewalttätig sie bei gucken, ach, da bekomme ich arme, schwache Frau ja Angst! Ich sehe das Kindswohl als gefährdet an, da wird mir jeder Familienrichter Recht geben, so wie Sie hier auftreten, mein Gott, mich fürchtet es ja regelrecht vor Ihnen!Und riechen Sie nicht sogar nach Alkohol? Das würde mich ja nicht wundern, wenn Sie auch noch trinken würden. Habe ich da nicht sowieso eine ganze Batterie leerer Flaschen an Ihrer Gartenlaube da gesehen? So wird das nichts mit den Mädchen, die brauchen eine fürsorgliche Hand, die Hand einer liebenden Mutter, um es genau zu sagen. Ein christlich-abendländisches Umfeld mit vernünftigen und verantwortungsvollen Erwachsenen.
Ich werde alles tun, damit die armen, armen Kinderchen nicht wieder in diese klamme Kemenate zurückkehren müssen.“

Mit einem Krachen schlug die Tür zu und abermals standen Günther und sein Freund Horst sprachlos da.
Es dauerte einige Sekunden, bis Günther seine Worte wiederfand: „Meine Güte, wie ist die denn unterwegs? Das darf die doch gar nicht!“

„Nein“, bestätigte Horst: „Das darf die nicht… Aber…“

„Aber was?“

„Aber ich befürchte, die Olle kriegt sogar noch Recht, wenn die sich auf die Hinterfüße stellt. Komm, wir hauen hier jetzt erst mal ab, nicht daß die doch noch die Polizei ruft.“

„Soll sie doch!“ antwortete Günther trotzig, als Horst ihn vom Grundstück schob.

„Mann, die hat kein Recht im juristischen Sinne, aber willst Du Gefahr laufen, daß zwei Streifenpolizisten hier vor Ort den Sachverhalt klären sollen und dann eventuell Fakten schaffen, die man hinterher kaum wieder gerade rücken kann?“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 1. Januar 2013

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11 Jahre zuvor

*tieflufthol* ich wundere mich ja immer wieder, dass noch niemand diese dame bei nacht und nebel hat verschwinden lassen…

simop
Reply to  Anna
11 Jahre zuvor

Wäre das dann Lustmord oder Notwehr?

magicwoman
Reply to  simop
11 Jahre zuvor

da fallen mir so profane Dinge ein..Stein um Hals..Sack und zubinden, und dann in den nächsten See versenken 😉

Micha I
Reply to  simop
11 Jahre zuvor

Lustmord? Bei der hilft nicht mal ne Packung Viagra……

Red Baron
Reply to  simop
11 Jahre zuvor

Ich würde sagen , kein Lustmord – oh graus – und auch keine Notwehr, sondern natürliche Auslese.
So ein Drache lebt ja nur, weil ihn nicht einmal der Teufel holen will

TickleMeNot
11 Jahre zuvor

Verflixt. Bislang habe ich Luitgard immer für einen sehr schönen alten Vornamen gehalten. Aber nun ist er durch das Rüsselschwein befleckt 🙁

Kirstin
11 Jahre zuvor

Da schwillt einem echt der Kamm.
Hass, …. Purer Hass!!!

11 Jahre zuvor

Hm… ohne mir alle Kommentare zu dieser Geschichte durchgelesen zu haben, stelle ich nun mal die These auf, dass es sich hierbei unter Umständen auch um ein Fragment einer Kurzgeschichte oder eines Buches handelt. Ähnlich wie bei der „Fee der Nacht“.
Meine Indizien dafür: Viele Teile in denen der Bestatter nicht herkommt, einige Wendungen und viele Teile bis man an das Ende kommt. Und selbst das scheint noch nicht in Sicht zu sein.
Ich mag mich irren.

Tina
Reply to  German
11 Jahre zuvor

Dieser Gedanke kam mir auch schon. allerdings erst, als Horst sagte, das doch heutzutage jeder ein Handy hat. War ich doch der Meinung, das am Anfang Tom schrieb, dass das schon mehrere jahre zurück liegt und er Günther da noch nicht kannte. (falls ich mich irre, könnte ihr mich gern vom Gegenteil überzeugen 😉 )

11 Jahre zuvor

Meine Nerven halten diese Klippenhängerei nicht mehr lange aus…

turtle of doom
Reply to  Frank Schenk
11 Jahre zuvor

Herzlich willkommen bei diesem Blog… 😉

Red Baron
11 Jahre zuvor

Hi Nach meinem verdienten Weihnachtsurlaub bin ich auch wieder da. Mußte mich natürlich erstmal durch die Geschichte lesen. Aber er ist bezeichnend. Wer mal in die Fänge der Justiz und Ämter gerät, wird nicht mehr rausgelassen. Ich weiß, von was ich rede. Bin selber betroffen. Habe wegen angeblicher Kindesmißhandlung seit vier Jahren das Jugendamt am Hals und ich denke, daß das so lange geht, bis die Kinder volljährig sind. Die Familienhelferin hat auch versucht, die Kinder gegen uns zu beeinflußen.Nachdem ich das realisiert hatte, habe ich sie aufgefordert das zu unterlassen, so hätte das entsprechende Konsequenzen zu Folge. Letztendlich habe ich ihr dann Hausverbot erteilt, nachdem ich von meinem Sohn erfahren hatte,sie habe bei einer Unterredung im Jugendamt meinem Kindern gedroht, wenn sie jetzt nicht anständig warten würden, bis wir fertig wären, würde sie dafür sorgen, daß sie in eine strengere Familie kommen würden. Als Dank haben wir dann einen Abchlußbereicht bekommen, die Kinder wäre emotional und geistig so stark gefährdet, daß man sie unbedingt in einem Heim unterbringen müsste, was wir aber dann mit… Weiterlesen »

Nefatina
11 Jahre zuvor

ääääääähm…. ich will ja nicht jammern oder so… oder nörgeln oder so….




… aber lange kann ich mich nicht mehr an der klippe festhalten…

turtle of doom
Reply to  Nefatina
11 Jahre zuvor

You just lost the game.

😉

Nefatina
Reply to  turtle of doom
11 Jahre zuvor

mööööööööööp 😀

snm
11 Jahre zuvor

hiiiiilfe, ich kann mich nicht mehr lange an der Klippe halten 😉

turtle of doom
Reply to  snm
11 Jahre zuvor

Der alpine Pizzakurier klettert zu dir hoch.

Halte durch.

Karl
Reply to  turtle of doom
11 Jahre zuvor

*Versuchsreihe zu den Flugeigenschaften von in alpinen Umgebungen geworfenen Pizzen plant*

Chris
11 Jahre zuvor

Kommt da noch was? Oder endet das so wie bei der Fee der Nacht?




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