Geschichten

In der Psychiatrie XIII

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Susanne ist weg. Sie wohnt jetzt vorübergehend bei Grete Klotzbein in einer Villa. Grete Klotzbein kennt man; doch, wirklich, die kennt man, aber nicht unter dem Namen Grete Klotzbein, sondern unter einem amerikanisch klingenden Namen und unter diesem Namen ist Grete in den späten 70er Jahren mehrmals in der Hitparade aufgetreten und hat auch eine ganz ansehnliche Zahl von Schallplatten verkauft. Sie ist damit einer von zwei Sangeskünstlern aus unserer Gegend, die es etwas weiter gebracht haben, als bis zum Festzeltsänger.

Ich erinnere mich noch ganz genau an die Zeit von Gretes großer Popularität. Hier war jeder irgendwie ein bißchen stolz auf sie und ihre Lieder waren auch gut, obwohl man heute keines davon mehr kennt.
Grete ließ sich damals eine Villa am Rande des Ortes bauen, eine große, weiße Mauer drumherum und nur wenn man seitlich den Weg zum Fluß hinunterging, konnte man, wenn man den Hals sehr reckte, einen Blick auf die vielen schönen Sportcabrios werfen, die immer in der Einfahrt standen. Die Künstlerin selbst bekam man nur noch höchst selten zu Gesicht und es wird erzählt, sie sei -um den vielen Fans zu entgehen- oft mit einem großen Schlapphut, einem langen Lodenmantel und einem angeklebten, falschen Schnurrbart als Mann verkleidet spazieren gegangen.
So ein bißchen Spinnerei gehört ja zum Künstlersein.

Aber wenn es auch so war, daß man der Tochter eines verarmten Zigarrenfabrikanten ihren Erfolg gönnte und somit der Spruch „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“ in diesem Fall nicht zutraf, das seltsame Versteckspiel und Gerüchte über einen sehr verschwenderischen Lebenswandel machten Grete dann doch zu einer Exotin.

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Nach dem Ende der eigenen Karriere baute sich die Klotzbein im Keller ihres Hauses ein Tonstudio auf und betreut seitdem junge, aufstrebende Talente. Von denen hört man auch nichts und die Betreuung der Klotzbein besteht im Wesentlichen darin, daß die Talente in ihrem Studio unter halbwegs professionellen Bedingungen eine CD aufnehmen, dafür und für die „Promotion“ ein paar Hunderter hinblättern und forthin den Traum von einer Weltkarriere als Kassierer an irgendwelchen Tankstellen oder als Türsteher an der „Sansibar“ träumen.

Damit kann man scheinbar ganz gut verdienen, Grete Klotzbein gilt hier immer noch als Diva, auch wenn die Sportcabrios vor der Tür weniger geworden sind und heute eher aussehen, wie ein etwas in die Jahre gekommener VW-Bus.
Platz hat sie ja auch und so kann sie Susanne und Ronja gut unterbringen. Woher die Klotzbein und Susanne sich kennen? Keine Ahnung, aber sie kennen sich offenbar von früher und offenbar gut genug, um Grete dazu zu bringen, Susanne für ein paar Monate aufzunehmen. Dann will Susanne angeblich in die Nebenstraße von Hardys Wohnung ziehen, denn zu ihrem neuen Liebhaber Hardy will Susanne nicht ziehen, dessen Wohnung gleicht einer Müllhalde und „man müsse da erst einmal so an die 300 leere Flaschen wegbringen und zwei Wochen am Stück Plastiktüten mit Müll entsorgen“, sagt Robby, der mit Hardy verkehrt.

Was ich gar nicht wußte, was aber durchaus von Bedeutung sein könnte, ist die Tatsache, daß Susanne vor einer Weile schon eine neue Arbeit angenommen hat. Und zwar hat sie als kirchliche Betreuerin bei einer katholischen Kirchengemeinde im Nachbarort angefangen. Zu ihrem Job gehört es, alte Leute regelmäßig zu besuchen, etwas Zeit mit ihnen zu verbringen und darauf zu achten, daß sie ihre Medikamente nehmen, daß der Haushalt gut geführt wird und daß kleine Besorgungen erledigt werden. Keine schlechte Sache, denn oft können alte Leute nur deshalb in ihrer Wohnung und in ihrem vertrauten Umfeld bleiben, wenn sich so jemand um sie kümmert. Oder andersherum gesagt: Viele Alte müssen nur deshalb ins Heim, weil sie zu bestimmten Kleinigkeiten nicht mehr in der Lage sind.

Das ist kein Vollzeitjob, aber immerhin ist es ein Job und dieser Job hat seine Tücken. Denn der Arbeitgeber, immerhin die katholische Kirche, hat -auch wenn man sich gerne ein liberaleres Bild geben würde- ziemlich festgefügte Moralvorstellungen und da sähe es natürlich gar nicht gut aus, würde man als frischgebackene Mitarbeiterin, die jetzt auch fleißig sonntags immer in die Kirche geht, seinen von Arbeitslosigkeit bedrohten Mann wegen eines neuen Liebhabers verlassen.

Um wieviel besser passt da die Geschichte von der armen, zarten Frau, die von ihrem trunksüchtigen Mann jahrelang gedemütigt und verprügelt worden ist und die jetzt Schutz bei einem anderen Mann sucht, der sie doch ach so gut versteht.

Und das „Verstehen“ von Hardy, ja das ist -wie ich jetzt erfahren habe- schon viel länger im Gange, als man es bislang glaubte. Da hat sich Hardy, obwohl er gar keinen Führerschein besitzt, von einem Kumpel ein Motorrad geliehen und mit Martins Wissen Susanne einen Sonntagmorgen abgeholt. Nur eine Spritztour, um die Mühle mal auszuprobieren…
Erst gegen 23.45 Uhr ist Susanne zurückgekommen und hat Martins Vorhaltungen, das sei so nicht abgemacht gewesen, mit den Worten beantwortet: „Was willst Du eigentlich? Bin ich denn Deine Gefangene?“

Ich weiß nicht, was Hardy und Susanne den ganzen Sonntag über gemacht haben, aber ich kann mir vorstellen, wie Martin in seiner Wohnung hin und her gelaufen ist, immer ein Auge auf die Uhr gerichtet, dann wieder aus dem Fenster schauend und hoffend und wartend und letztlich wissend…
Wissend? Ja, Frau Berg sagt mir, Martin habe irgendwann „so ein komisches Gefühl gehabt“ und angefangen Susanne nachzuspionieren. Laienhaft, tölpelhaft und natürlich auch irgendwann von Susanne dabei erwischt. Er hat in ihre Handtasche geschaut, versucht ihre E-Mails zu lesen, ist ihr hinterhergefahren, und hat sich auch sonst noch einiges einfallen lassen. Man mag nun davon halten was man will und man kann das natürlich auch so hinstellen, als sei Martin ein total eifersüchtiger Mann, der seine Frau nur schikanieren wollte, aber immerhin scheint es ja Anlässe genug gegeben zu haben.
Einmal hat Martin in der Handtasche seiner Frau Kondome gefunden und das, obwohl sie sich ihm schon seit über einem Jahr verweigert hatte. Aber auch da hat er nicht auf den Tisch gehauen und sie zur Rede gestellt, sondern sich noch irgendeine andere Erklärung dafür eingeredet.
Wahrscheinlich hat er gewußt, was da läuft und wollte es nur nicht wahrhaben.

Was ich gar nicht wußte, was mir aber Martins Mutter, Frau Berg, jetzt erzählte, daß man Taxis hinter seiner Frau herschicken kann. Ich weiß nicht ob das überall geht und ob das jeder Taxifahrer macht, aber offensichtlich kann man Taxifahrer mit allerlei Aufträgen betrauen, die über das bloße Chauffieren hinausgehen, wenn man nur genug dafür bezahlt. Martin jedenfalls hat mehrfach Taxis zu bestimmten Adressen geschickt, um nachschauen zu lassen, ob das Auto seiner Frau dort parkt. Das war oft dann der Fall, wenn Susanne angeblich den Abend bei einer Freundin verbrachte und erst im Morgengrauen wiedergekommen war.

Oft ist er auch selbst herumgefahren, um nach seiner Frau zu suchen, sei aber angeblich nie auf die Idee gekommen, sie könne ausgerechnet mit Hardy etwas haben. Naja.

Wo ist die Grenze zwischen überzogener Eifersucht und berechtigtem Mißtrauen?

Nein, das sei ja alles gar nicht so, sagt Susanne, sie habe in Hardy nur denjenigen gefunden, der ihr zuhören könne, an dessen Schulter sie sich ausgeweint habe und der ihr Stütze und Halt gewesen sei. Nur weil Martin ständig betrunken gewesen sei, habe sie sich oft das Auto geschnappt und sei ziellos durch die Gegend gefahren, manchmal die ganze Nacht und wenn sie dann zu müde geworden sei, habe sie sich oft genug in einer kleinen Pension für eine Nacht eingemietet.

„Alles Quatsch! Die lügt doch, wenn sie das Maul aufmacht!“ schimpft Frau Berg und führt näher aus: „Martin hat doch überhaupt nichts vertragen, wenn der was getrunken hat, dann haben vier oder fünf Gläser gereicht und dem ist der Kopf in den Nacken gefallen und es hätte ihm in den Hals regnen können, so schnell ist der dann eingeschlafen. Da braucht keine Frau flüchten gehen, so einer pennt dann, tut keinem was und den hätte Susanne in die Ecke stellen können ohne daß der das mitgekriegt hätte. Sowas Verlogenes! Die hat nachts der Hafer gestochen und kaum war Martin eingeschlafen, hat die sich aus dem Staub gemacht und sich mit ihrem neuen Stecher in dieser Pension getroffen. So wird das gewesen sein, so und nicht anders! Und glauben Sie mir, die hat sich in den Typen da verguckt und hatte Angst, daß sie ihren Job bei der Kirche verliert und nur deshalb mußte mein Martin weg.“

Ich glaube, so wie es dann gelaufen ist, so hatte sich Susanne das nicht ausgemalt. Vielleicht ist es wirklich so, daß sie sich eingebildet hat, alle Leute würden ihr die Geschichte vom prügelnden Säufer abkaufen und nun großes Verständnis für sie zeigen, doch es ist anders gekommen: Jeder, aber auch wirklich jeder, lacht nur über diese Version und sagt spontan: ‚Wenn da wer jemanden verhauen hat, dann ja wohl die Susanne den Martin!‘ Das habe ich jetzt schon von so vielen Leuten gehört, kein Einziger glaubt Susannes Geschichte.

Was denn mit dem Haus nun sei, wollte ich von Frau Berg wissen und sie winkt ab: „Ich tu mir oben zwei Studenten rein, die zahlen mir genug, dann kann ich das Haus halten. Irgendeiner muß es ja jetzt fertig abbezahlen. Susanne hat sich schon das Auto genommen, das läuft ja eigentlich auf Martin und sie hat hier eine Menge rausgeschleppt, die ist bedient. Mehr kriegt die auch nicht, da haben die schon lange für vorgesorgt; ist alles in Verträgen geregelt. Dr. Zwiebelkuch-Neuwein hat mir gesagt, daß Ronja alles erben wird und daß ich als Vorerbe eingesetzt bin. Ich weiß gar nicht was das genau bedeutet, aber ganz ehrlich, mir ist vor allem wichtig, daß ich hier auf Lebenszeit wohnen bleiben darf – und daß Susanne nichts kriegt. Ich bin ja froh, daß Martin alle Versicherungen auf mich geschrieben hat und nicht auf seine Frau, sonst könnte die sich noch die Lebensversicherungen einstreichen und ich finde, das hat sie nicht verdient.“

Ich nickte, als mir Frau Berg das erzählte, denn ich hatte die Policen gesehen, sie hatte mir alles ins Bestattungshaus gebracht, damit wir die Sterbeurkunden zur Versicherungsgesellschaft schicken und die Versicherungssummen beantragen. „Ziehen Sie davon Ihre Rechnung ab und seien Sie ruhig großzügig“, hatte Frau Berg gesagt. Tatsächlich ist sie in allen Policen als die Bezugsberechtigte eingetragen.

„Wenn Sie mal bei mir in der Nähe sind, dann müssen Sie mal nach Martins Computer gucken. Den hat nämlich der Hardy eingerichtet und der kann von seiner Wohnung aus in alles rein. Der hat doch die ganzen Geheimwörter und alles. Mir war das ja gar nicht recht, ich habe zu Martin immer gesagt: ‚Wie kannst Du so einen an Dein Banking lassen?‘ Martin hat sich doch aber nicht ausgekannt und dem auch noch vertraut.“

„Der kann an Martins Rechner?“ fragte ich ungläubig und Frau Berg schüttelt nur den Kopf: „Fragen Sie mich doch nicht sowas. Ich kenne mich doch auch nicht aus, ich bin froh, wenn ich in meinem Telefon die Nummern finde. Mit Wählscheibe war das besser. Aber ich weiß, das hat mir Martin selbst gesagt, daß Hardy alles für die machen konnte, Onlining und Banking oder wie das heißt. Und das muß jetzt abgeschaltet werden, oder finden Sie nicht?“

„Sicher“, sagte ich und verbrachte mit Klaus, meinen Computermann, einen halben Nachmittag an Martins Rechner, um mich durch einen ganzen Schuhkarton mit Providerunterlagen zu wühlen. Glücklicherweise hatte Martin ausführlichen Gebrauch vom Passwortmanager gemacht, sodaß in fast allen Masken die richtigen Login-Daten schon voreingetragen waren. Wir haben ihn überall abgemeldet, bei „Wer-kennt-wen“ ebenso wie bei „Stayfriends“ und natürlich beim Online-Banking und diversen anderen Diensten. Aber ganz sicher, daß wir alles erwischt haben, sind wir uns natürlich nicht.

Im Moment sieht es doch ganz gut aus: Frau Berg ist agiler als man es einer so alten Dame zutrauen würde, die Versicherungen machen es möglich, daß sie das Haus halten kann und Ronja wird es eines Tages bekommen. So gesehen hat Susanne nichts gewonnen und Martin alles verloren.
Man könnte fast sagen, daß das eine der Geschichten ist, bei der es nur Verlierer gibt, wäre da nicht Hardy!

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