Geschichten

In der Psychiatrie XIV

Hardy hat Arbeit! Man fasst es ja kaum! Doch tatsächlich ist der arbeitsscheue Gesell‘ dazu verdonnert worden, eine „Maßnahme“ mitzumachen. Bislang hatte er sich ja vorwiegend als Leiharbeiter verdingt, wie ich jetzt erfahren habe, immer mal ein paar Wochen, dann hatte er wieder „Rücken“. Daß Hardy Rücken hat, das kommt in erster Linie davon, daß er vor drei Jahren mal aus dem Fenster gefallen ist.

„Da liegt ein Besoffener rum“, soll damals der Anruf bei der Rettungsleitstelle gelautet haben und tatsächlich fanden die Retter dann auch den ganz offenkundig volltrunkenen Hardy im Innenhof eines griechischen Restaurants. Die Bergung soll nicht ganz einfach gewesen sein, denn im Grunde handelte es sich nicht um einen wirklichen Hof, sondern um eine Art Lichthof ohne Zugang.

„Und wie ist der dahin gekommen?“ müssen sich die Retter der Feuerwehr gefragt haben und der griechische Wirt hat nur müde den Kopf geschüttelt und auf ein offenes Fenster im ersten Stock gezeigt.

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Bis heute sind die genauen Umstände dieses denkwürdigen Vorfalls nicht geklärt, Hardy erzählt nur von den schweren Rückenverletzungen, die er davongetragen haben will, andere sprechen nur von dem Fenstersturz und der Tatsache, daß sich Hardy nach einem opulenten Mahl aus diesem Fenster aus dem Staub machen wollte.

Tatsächlich trug Hardy dann eine ganze Weile so ein Gestell, in dem Rücken und Nacken ganz gerade gehalten werden müssen. Aber man weiß allgemein, daß er in Wirklichkeit nichts hat, denn es macht ihm keine Mühe, so allerlei sportliche Sachen, wie Kegeln, Billard und Krugstemmen sowie Besoffenaufdertheketanzen zu absolvieren, man muß ja im Training bleiben…

Jershom wird von allen nur Jerry genannt, er ist Arbeitserzieher und bei einer karitativen Einrichtung angestellt. Er ist gelernter Malermeister und Maurermeister und ein Beispiel dafür, daß jemand der zuviel lernt, später einmal als Pädagoge endet. Aber Jerschom ist glücklich in seinem Beruf, malert morgens drei Stunden mit schwer geistig behinderten jungen Leuten, kümmert sich dann um Wiedereingliederungsmaßnahmen der „Arbeitsagentur“ und hat nachmittags noch eine Gruppe renitenter jugendlicher Arbeitsverweigerer zu betreuen. Und just in seiner Gruppe der Wiedereingliederer ist Hardy untergekommen und nur der Tatsache, daß ich ja sowieso nichts weitererzähle, ist es zu verdanken, daß Jershom mir unter dem Schwiegel der Versiegenheit anvertraut hat, daß Hardy mit einem Schreiben aufgetaucht ist, daß ihm täglich exakt 30 Minuten Arbeitseinsatz zugemutet werden kann.
„Ich krieg‘ den also, drücke dem ’nen Pinsel in die Hand, dann tunkt den den einmal in die Farb‘ und dann kann er schon anfangen, den Pinsel wieder sauber zu machen. Ist doch zum Kotzen, was soll ich mit so einem? Ich hab aber noch ein paar von der Sorte. Der eine darf nur zwei Stunden was tun, der andere ist nur 90 Minuten belastbar und am Dollsten ist die Frau, die gar nichts machen darf, die kommt jeden Morgen, sitzt dann drei Stunden in einer Ecke auf dem Stuhl und schaut uns bei der Arbeit zu, dann geht die wieder. Und für sowas schmeißt das Amt einen Haufen Geld raus, nur damit die sich wieder langsam an die Arbeit gewöhnen. Wo gibt’s denn sowas? Man kann sich doch nicht an Arbeit gewöhnen, indem man zuguckt oder vor ihr wegläuft. Wenn’s nach mir ginge müßte es sowas wie einen Arbeitsdienst geben, aber das darf man ja nicht mehr sagen. Obwohl, ich darf das ja“, sagt Jershom und rückt seine Kippa gerade und grinst: „Na, ist doch aber auch wahr, ich habe so viele, die können aufgrund ihrer Einschränkungen nicht viel arbeiten, aber die bemühen sich wenigstens, aber die da, pfft, die wollen doch gar nicht. Die reißen die Zeit bei uns runter und dann liegen die wieder zu Hause auf der Couch und haben Ruhe vor dem Amt. Alle halbe Jahr‘ mal ’ne Maßnahme, irgendwann ’ne Umschulung und dann haste hinterher einen Haufen Leute, die monatelang aus der Arbeitslosenstatistik raus waren und trotzdem immer noch arbeitslos sind, Hauptsache die Kohle wurde ausgegeben. Am Besten ist noch der, der nicht im Stehen arbeiten darf und der bei mir zum Maler umgeschult werden soll. Was soll ich mit so einem? Soll ich dem die Wände vor dem Stuhl hin- und herschieben? Sagt der von der Agentur zu mir: ‚Ach, Maler malen Wände an? Ich dachte die machen Bilder.‘ Ich sag ja, ich könnte kotzen und zwar soviel, soviel kannste vorher gar nicht essen.“

Susanne ist krankgeschrieben und leidet. Ihr ist vor allem klar geworden, daß aus dem fetten Erbe nichts wird und das trübt ihre Perspektive, denn insgeheim hatte sie wohl so ihre Pläne. Zumindest hat sie sich bei meiner Frau nach einem Heimplatz für die Oma erkundigt. Aber die Oma, also die alte Frau Berg, würde ihr sowieso was pfeifen oder husten, denn die alte Dame ist noch ganz schön fit im Kopf. Wir waren neulich bei ihr zum Essen eingeladen und ich muß sagen, ich möchte in dem Alter auch noch so fit sein. Knackig scharfe Analysen der Tagespolitik, auf den Punkt genau erzählte Witze und keine Spur von Verkalkung. Körperlich ist Frau Berg sowieso noch erstaunlich fit: „Ich hab‘ nix und wenn der Doktor sagt, ich hätte was, dann lache ich nur und sage: ‚In meinem Alter sind andere schon zehn Jahre tot.‘.“

Meine Tochter hat Ronja getroffen und das scheint, außer Frau Berg, die Einzige zu sein, die richtig um Martin trauert. Sie kann es gar nicht verkraften, daß ihr „Paps“ nicht mehr da ist und kommt auch nicht damit zurecht, daß ihre Mutter sich derzeit aufführt wie ein verliebtes Küken: „Diese ewige Küsserei und das Verliebte, das ist voll eklig.“
Außerdem hat Ronja erzählt, daß Grete Klotzbein, die ehemalige Schlagersängerin, ihnen ein Ultimatum gestellt hat, sie müssen bis zum 1. November raus sein. „Weil der Hardy der immer an den Hintern gefasst hat…“
Jetzt suche man eine Wohnung und ihre Mutter sei schon auf dem Amt gewesen, aber die Gemeinde könne ihr nur eine Zweizimmerwohnung geben und das auch erst ab Dezember, aber das sei völlig indiskutabel, habe Hardy gesagt: „Drei Personen, drei Zimmer, Küche Bad“, das sei so Gesetz.“

Frau Berg zwinkert nur mit den Augen, als ich ihr davon erzähle. „Das wird schon, warten Sie’s ab! Ich hab‘ da so meine Pläne.“

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