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Was haben Sie mit Gerlinde gemacht?

alte Dame mit Telefonhörer

Ich sitze allein im Bestattungshaus und mache den Bürokram.

Der Stapel mit diesen dringend zu erledigenden Sachen hatte eine schon bedeutende Höhe angenommen und meine erste Bürodame, Frau Büser, konnte nicht umhin, mich wenigstens zweimal täglich an die Unaufschiebbarkeit der Erledigung zu erinnern. Süß lächelnd stand sie dann vor meinem Schreibtisch, legte eine Hand auf diesen Stoß von Behörden-, Geschäfts- und sonstigen Schreiben, die eben nur der Chef erledigen kann, machte dann so eine leichte streichelnde Bewegung über die Papiere und sagte: „Gell, Sie denken an diese Papiere hier, nicht wahr?“

Ja, sie lächelte zwar süß und streichelte ganz zart und sagte nur diesen nett klingenden Satz. Aber in Wirklichkeit verbarg sich hinter dem freundlichen Gesicht die harsche Fratze eines unerbittlichen Sklaventreibers und ihre Worte sollten eigentlich heißen: „Wenn Du das jetzt nicht machst, drehe ich Dich persönlich durch den Wolf, Du faule Sau!“

Drei Schriftstücke hatte ich schon abgearbeitet, da klingelte das Telefon. Ich meldete mich, kam aber gar nicht dazu, alles das fertig zu sagen, was wir so sagen, wenn wir uns als Bestattungshaus am Telefon melden.

Aus dem Hörer schallte die Stimme einer deutlich hörbar älteren Frau: „Gerlinde! Also, Gerlinde, ich bin enttäuscht von Dir. Ich meine, Dein Weg zum Telefon ist genauso weit, wie mein Weg zum Telefon. Warum muss immer ich bei Dir anrufen? Hättest Du nicht auch schon mal bei mir anrufen können? Schließlich bin ich Deine ältere Schwester! Da darf ich doch wohl mit Fug und Recht erwarten, dass Du Dich ab und zu mal bei mir meldest. Du hast es Vater am Sterbebett versprochen, dass Du Dich um mich kümmern wirst. Wie lang ist das jetzt her, dass wir miteinander telefoniert haben? Vierzehn Tage? Drei Wochen? Was hätte alles in der Zwischenzeit passieren können? Und ich war zweimal beim Arzt und Du hast es nicht einmal für nötig befunden, Dich nach meinem Wohlergehen zu erkundigen. Ich hätte ja wer weiß was haben können und hier jämmerlich verrecken können, aber meine liebe Schwester hätte davon nichts mitbekommen, die feine Dame. Was hast DU überhaupt zu tun? Seit Dein Egon tot ist, hast Du doch genug Zeit. Da wäre es doch das Mindeste, dass Du wenigstens einmal die Woche zum Hörer greifst und Deine alte Schwester anrufst, um Dich zu erkundigen. Aber das ist natürlich wieder einmal zu viel verlangt. Da bekommt das junge Fräulein dann wieder Stress und hat so viel andere wichtige Sachen zu tun. Eine Unverschämtheit ist das!“

Jetzt muss man wissen und in Betracht ziehen, dass ich diese Tirade hier zwar auf Hochdeutsch, wie man so sagt, wiedergebe, die Ansage aber natürlich in dem immer etwas breitmäulig vorgetragenen hiesigen Dialekt erfolgt ist. Streue in jedes zweite Wort ein SCH ein, bewege die Unterlippe, wo Du sonst die Oberlippe nehmen würdest und vergiss nicht, dabei zu lispeln, dann könnte das so ähnlich klingen, wie das, was die alte Dame mir da in einer Affengeschwindigkeit um die Ohren gehauen hat.

Endlich bekomme ich die Chance, etwas zu sagen: „Hallo, ich glaube, Sie sind falsch verbunden!“

„Woher wollen Sie das denn wissen? Wer sind Sie überhaupt? Was machen Sie bei meiner Schwester? Holen Sie Gerlinde mal ans Telefon! Da rede ich mir den Mund fusselig und Sie sind gar nicht Gerlinde. Ich will jetzt meine Schwester sprechen. Oder sind Sie ein Krimineller? Dann rate ich Ihnen, meine Schwester in Ruhe zu lassen, ich rufe nämlich sonst die Polizei. Also, wer sind Sie, was machen Sie da?“

„Entschuldigung, aber Sie haben ganz sicher eine falsche Nummer gewählt, Sie sind hier beim Bestattungshaus gelandet.“

„Was? Sattungshaus?“

„Bestattungshaus!“

„Sowas brauchen wir nicht, ich bin mein Leben lang ledig und der Mann meiner Schwester ist tot. Holen Sie Gerlinde an den Apparat!“

„Hier gibt es keine Gerlinde, Sie haben sich verwählt.“

„Wer sind Sie denn?“

„Der Leichenbestatter!“

„Und das sagen Sie mir erst jetzt? Da verwickeln Sie mich in ein unnötiges langes Gespräch und erst so hintenrum, weil ich x-mal nachgefragt habe, kommen Sie damit heraus, dass Gerlinde tot ist!“

„Nein, Sie missverstehen das alles. Sie haben nicht bei Gerlinde angerufen, sondern im Beerdigungsinstitut. Ich kenne keine Gerlinde und hier ist auch keine Gerlinde. Sie müssen auflegen und nochmal neu wählen.“

„Was, ich soll mich nicht aufregen? Na, sagen Sie mal, wenn Ihre Schwester gestorben wäre und so ein Grobian am Telefon wäre, würden Sie sich auch aufregen! Woran ist Gerlinde denn gestorben?“

„Die ist von einer Geranie gebissen worden“, sage ich und lege einfach auf.

Die Frau ruft nicht wieder an.

Ich hätte aber zu gerne gewusst, was sie anschließend zu Gerlinde gesagt hat

Bildquellen:
  • woman-3188744_1280: Bild von Sabine van Erp auf Pixabay

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 6. Januar 2024 | Peter Wilhelm 6. Januar 2024

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6 Kommentare
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Nobody
3 Monate zuvor

Ich wüsste ja mal zu gern welchen Dialekt du da beschreibst… bin immer irritiert da du ja meine ich im Ruhrpott als Bestatter tätig warst 😀 und im Pott sprechen wir doch (beinahe) lupenreines Hochdeutsch 😉

Nobody
Reply to  Peter Wilhelm
3 Monate zuvor

danke fürs richtigstellen 🙂
ja das klingt schon spannend… und ich wunder mich schon über manche sprachgepflogenheiten im südöstlichen NRW…

btw. hier am apfelfon zerhaut die YouTube Einbindung deinen Beitrag…

Nobody
Reply to  Peter Wilhelm
3 Monate zuvor

Japp, das wird sauber dargestellt.




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