Geschichten

Der Fleck an der Deck -VII-

Es war ein gutes halbes Jahr ins Land gegangen und Manni war es, der mir Herrn Krause wieder in Erinnerung und den ammoniakartigen Geruch wieder in die Nase brachte.

Manni ist ja, wie viele Leser wissen, eigentlich von Beruf Maler und nachdem die Handwerker ganze drei Monate mit Unterbrechungen an der Wohnung von Herrn Krause gewerkelt hatten, kam Manni in mein Büro und fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er nach Feierabend bei Frau Zimmermann „die Stube durchtapeziere“. Nein, da hatte ich nichts dagegen

So blieb ich dann auch auf dem Laufenden, denn nachdem die Wohnung geräumt worden war und die Handwerker angefangen hatten, war Frau Zimmermann genügend beschäftigt und unser Kontakt war, bis auf gelegentliche Treffen beim Einkaufen, sozusagen eingeschlafen.

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Eine Flasche Wein hatte sie mir damals noch gebracht, sich vielmals bedankt und noch ein paar Tränchen vergossen.

Sagte ich schon, daß alles ganz anders kommt?

Also Manni malerte und erzählte mir hin und wieder, wie schön die Wohnung werden würde und daß man von der ganzen Vergangenheit der Wohnung nichts mehr merken würde. „Was da passiert wäre, wenn da kein PVC-Boden gelegen hätte…, nicht auszudenken. So konnten die alles wegmachen und jetzt riecht es nur noch neu und frisch nach Farbe, Lack und Neubau. Das wird eine richtige Puppenstube da oben.“

Fertig.
Mehr habe ich nicht erfahren, irgendwann war Manni nämlich auch mit seiner Freundschafts- und Nachbarschaftshilfe durch und es erstarb der Informationsfluß.

Wiegesagt, eines Tages kam er dann zu mir und brachte mir den alten Krause, den ich niemals zu Gesicht bekommen habe, wieder in Erinnerung. „Sie, Chef, der Krause steht noch im Krematorium.“

„Bitte?“

„Ja, dieser Krause aus der Pisserwohnung. Die Urne. Die Urne von dem Krause.“

„Ach so, und was ist mit der?“

„Die steht jetzt schon über ein halbes Jahr im Krematorium. Ist mir nur so aufgefallen, ich hab dann mal gefragt und die haben gesagt, daß die Anfang November anonym wegkommt, die Angehörigen haben kein Geld.“

„Tja, so ist das halt manchmal.“

„Ich mein ja bloß.“

„Was?“

„Na wegen der Tochter.“

„Was für eine Tochter? Die vom Krause?“

„Ja genau.“

„Die wollte doch mit ihrem Vater nichts zu tun haben.“

„Stimmt, aber wo die doch jetzt ’ne Freundin von der alten Frau Zimmermann ist.“

„Wie bitte? Was ist die?“

Frau Zimmermann hatte von Jürgen, dem Entrümpler, einen Karton mit Dingen in die Hand gedrückt bekommen, von denen Jürgen annahm, sie könnten für irgendwen noch einen Wert haben. Eine alte Armbanduhr, ein paar Vereinsabzeichen, Fotos, Zeugnisse, Dokumente. Stundenlang hatte Frau Zimmermann mit den Fotos vom alten Krause am Wohnzimmertisch gesessen und gesehen, daß der auch mal bessere Zeiten gesehen hatte.

Eines der Bilder zeigte eine glückliche Familie am Heiligabend unterm Weihnachtsbaum und als Frau Zimmermann dieses Bild betrachtete, kam ihr in den Sinn, sie könne diese Sachen doch viel besser der Tochter geben. Die Adresse stand ja auf dem Brief, mit der die Frau das Erbe abgelehnt und alles in der Wohnung an Frau Zimmermann verschenkt hatte.

Mit dem Taxi war Frau Zimmermann dann ins „Viertel“ gefahren und hatte dort Frau Schambers, die Tochter, aufgesucht.

Später erzählte mir Frau Zimmermann dann: „Ich hab mich gar nicht getraut, da zu klingeln. Der Brief von der Tochter war ja nicht gerade besonders nett. Aber ich dachte, die müßte doch die Sachen bekommen. Ja und dann hab‘ ich gesehen, daß das eigentlich eine ganz liebe Frau ist. Vielleicht ist die ein bißchen doof, aber die hat es auch nicht leicht gehabt. Jetzt ist sie krank, geschieden und arbeitslos, die hat immer im Altenheim gearbeitet. Aber in der Wohnung war das alles pieksauber! Aber sowas von pieksauber! Ich hatte ja schon alles Mögliche erwartet, bei DEM Vater, sie verstehen?“

Am Ende hatte sich die Tochter dann doch über die paar Andenken gefreut und Frau Zimmermann war nachdenklich wieder nach Hause gefahren. „Und wie ich da so in der ‚Taxe‘ sitze, da ist mir in den Kopf gekommen, ich könnte die Frau Schambers doch fragen, ob die nicht bei mir einziehen will. Da im ‚Viertel‘ das ist doch nichts, da in diesen Einfachwohnungen. Und ob das Amt der die Miete da bezahlt oder bei mir, das ist doch egal. Hab ich mir so gedacht.

Und so sind die Jutta und ich zusammengekommen, ich sag jetzt Jutta zu der und die sagt Oma Zimmermann. Und die Jutta die zieht jetzt bei mir oben ein und wenn ich mal nicht mehr kann, dann pflegt die mich. Haben wir so vereinbart. Ich kann ja jetzt schon manchmal nicht mehr so und die Jutta macht ab jetzt sauber und die Wäsche und dafür ist die Miete genau so hoch wie im ‚Viertel‘. Meine Kinder wohnen doch weit weg und haben keine Zeit für mich. Ist das was? Was sagen Sie?“

Jutta Schambers hatte keine schlechte Kindheit, ihr Vater hatte sie nicht misshandelt, nicht missbraucht, nicht verstoßen. Nur war irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo der alte Krause seine erste Wohnung total vermüllt hatte und sich nichts mehr sagen ließ. Jahrelang hatte sie versucht, ihrem Vater irgendwie zu helfen, aber das war einfach nicht möglich. Irgendwann ist dann der Kontakt abgebrochen und sie hatte ihren Vater nur hin und wieder von Weitem in der Stadt gesehen, wie er mit einer Eisenstange in Papierkörben herumstocherte.

„Da hab ich mich so geschämt und nur gedacht, wie gut daß das die Mama nicht sehen muß.“
Das sagte mir Jutta, als sie mit Frau Zimmermann in unserer Trauerhalle saß. Dann fing die Orgelmusik vom Band an und Manni trug die messingfarbene Urne von Herrn Krause herein.
Pastor Mönckemeier sprach so etwa zehn Minuten, mehr so allgemeine Sachen, nicht viel Persönliches, dann beteten wir paar Leute, also Frau Zimmermann, Frau Schambers und meine Frauen, Manni und ich mit dem Pastor, sagten anschließend brav Amen und dann gab es noch einmal Musik vom Band.

„Papa!“ schluchzte Jutta Schambers auf und die alte Frau Zimmermann nahm sie in den Arm.
Pastor Mönckemeier gab der „Witwe“, wie er meinte und sich auch nicht vom Gegenteil überzeugen ließ, und der Tochter die Hand und ging langsamen Schrittes hinaus, gefolgt von Manni, der wieder die Urne trug.

Am Nachmittag würde er sie wieder in Krematorium zurückbringen, sich kurz beim Aufseher entschuldigen, weil er eine Urne zuviel mitgenommen hatte und dann würde der alte Krause wieder in seinem Regal stehen, so als sei nichts gewesen. Irgendwann im November bekommt er dann mit vielen anderen sein anonymes Grab.

Seine Trauerfeier jedenfalls hat er bekommen.

Frau Zimmermann und Frau Schambers hatten sich untergehakt und ich glaube, ich konnte am Ende der Trauerfeier deutlich sehen, daß beide glücklich lächelten.

Wann hat man sowas schon mal bei einer Trauerfeier, oder?

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Juni 2012 | Peter Wilhelm 16. Juni 2012

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Ma Rode
13 Jahre zuvor

Gut so!

Big Al
13 Jahre zuvor

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Wenn TOM lenkt.
B. A.

Luzie-Fehr
13 Jahre zuvor

was für eine gute Fügung!
Danke für diese nette G´schicht.

13 Jahre zuvor

*hach*… das war ja mal wieder eine schön melancholische Geschichte 😉

Manchmal wird eben doch noch alles gut. Irgendwie.

Mendian
13 Jahre zuvor

Irgendwarum werde ich das Gefuehl nicht los, dass da noch was nachkommt……..

Big Al
13 Jahre zuvor

@ Mendian.
Du traust dem Frieden auch nicht so recht?
Wahrscheinlich bricht an der Stelle des Wasserschadens die Decke durch und Frau Schambers stürzt auf die darunter stehende Frau Zimmermann und beide sind dann tot.
Ja, ich bin ein Schwarzseher. 😎
B. A.

Verena
13 Jahre zuvor

Schön, dass es noch so eine positive Wendung genommen hat und die alte Dame jemanden gefunden hat (kann man nur hoffen, dass alles so läuft wie sie es sich jetzt ausmalt).

Liebe Grüße

Matthias
13 Jahre zuvor

Hoffentlich sind jetzt die ganzen Cliffhanger-Schreier ruhig. Auf die Kommentatoren-Topplatzierung kann man auch anders kommen als mit den ewig gleichen Mühlen.

Schöne Geschichte, danke dafür, Tom.

ein anderer Stefan
13 Jahre zuvor

Solche Geschichten kann nur das Leben schreiben…
*kopfschüttel*

Big Al
13 Jahre zuvor

Hmm, Matthias, siehst du deinen vierten Platz auf der Rangliste gefährdet? Oder plagt dich ein anderes Leid? (Schaue rechts im Suchfeld nach Eingabe von „Statistik Kommentare“ nach.)
Vorsicht, in den oberen Plätzen dieser Liste schlägt Gevatter Hein häufiger zu.(Erinnert sei an Mac Kaber und Undertaker J. A. Fox.)
Und den meisten hier kommentierenden Lesern dürfte eine solche Statistik egal sein, oder?
Übrigens gebe ich gelegentlich tagelang meine Sülz nicht dazu…
B. A.

Mendian
13 Jahre zuvor

Statistik? Topplatzierung? Was gibt es als ersten Preis?

TobiasEine
13 Jahre zuvor

Eine schöne Überraschung, als studentischer Frühaufsteher eine neue Geschichte in sieben Teilen am Stück lesen zu können 🙂

Garfield
13 Jahre zuvor

Ja, ja, die Studenten heutzutage. Sowas hätt’s bei uns damals nicht gegeben! 😛

Der IFA
13 Jahre zuvor

Ha! Fett. Als Nachtmensch bin ich vorbildlich um die Cliffhanger rumgekommen. 8)

..Aber es wird einem schon anders wenn man so bedenkt daß man vielleicht später auch mal ne Wohnung zu vermieten hat und die dann fix und fertig wiederkriegt. Nett jedenfalls wie sich das alles noch entwickelt hat.

Anita
13 Jahre zuvor

@Big Al

Solang ich in der Statistik noch vor Tante Jay bin, ist alles gut…

Ma Rode
13 Jahre zuvor

@Anita: Tantchen ist noch im Krankenhaus, aber warte nur, bis sie wieder da ist … *grins*

13 Jahre zuvor

Was für ein schönes Happy End. (So es denn das Ende ist.)

Christina
13 Jahre zuvor

Wie man sich doch täuschen kann …

… ich hatte gedacht, dass die Tochter (Frau Schambers) mit Vornamen „Pott“ heißt … :-O

Matthias
13 Jahre zuvor

@Big Al: Wenn du so fragst: Ja, ich sehe meine Platzierung gefährdet. Die richtige Frage sollte aber heißen, ob mir das was ausmacht. Und hier lautet die Antwort, dass es mir ganz schön vorbeigeht. Wenn man Topplatzierungen im Sport erreicht, dann deswegen, weil man sich anstrengt, trainiert, sich mit anderen misst. In der Forschung arbeitet man viel, produziert Ergebnisse, bringt die Menschheit voran. Und Kommentatoren-Toplisten? Da bedeutet eine hohe Position doch eigentlich nur, dass man zuviel Zeit im Internet verbringt anstatt sie „sinnvoller“ zu nutzen 😉 Mir ist eben nur aufgefallen, dass seit diesem von dir genannten Posting die Kommentaranzahl radikal zugenommen hat. Vielleicht ist es auch nur ein subjektiver Eindruck, aber mittlerweile hat fast jeder Eintrag 15+ Kommentare, wieviele waren es davor? Und das wäre ja super, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass die Qualität nicht in gleichem Maße zugenommen hat. Früher konnte ich auf die 5 Kommentare klicken und es waren bestimmt drei gute, witzige, tiefgründige dabei. Heute habe ich keine Lust mehr, mich durch 20 zu lesen, weil bloß wieder alle… Weiterlesen »

Anita
13 Jahre zuvor

@Matthias

Hey, nicht rumlaestern. Schliesslich habe ich die witzigsten, scharfsinnigsten und schlagfertigsten Kommentare der ganzen Welt! Und von Deutschland noch dazu! Und ueberhaupt!

URS
13 Jahre zuvor

Das schöne an meinem ausgefüllten Arbeitstag ist, dass ich irgendwann mal eine Pause habe und die ganze Geschichte am Stück lesen kann. Ätsch, Tom, kein Cliffhänger.

Aber, den hat Tom ja mit dem nächsten Artikel „Bald!“ schon wieder geschafft, grrr.

Tzosch
13 Jahre zuvor

To be continued. 😉

Medienfreak
13 Jahre zuvor

Das Detail mit der ausgeliehenen Urne ist einfach genial. 🙂

Ob sowas wohl öfter vorkommt? Bestimmt! 😉

13 Jahre zuvor

Ende gut, alles gut.
Meine Güte, sowas gibt es wirklich! Solche Wohnungen müssen echt ein Graus sein. Mich würgt es schon im Hals, ehrlich. Ich esse jetzt erstmal besser nix.

Das mit der zuviel mitgenommen Urne ist Klasse.
Kann ja mal passieren, in der Eile der Arbeit…

Katarina
13 Jahre zuvor

Ha! ne Geschichte in mehreren Teilen ohne Cliffhanger tagelang aussitzen zu müssen! Ich komm mir vor wie zu Weihnachten 🙂

Wolfram
13 Jahre zuvor

Man kann wunderbar Trauerfeiern ohne Urne gestalten… ein Aschenbecher aus der Eckkneipe tuts schließlich auch. 😀

Spaß beiseite: welchen Unterschied macht es, ob die Urne da ist oder nicht? Omma Emma oder hier Oppa Krause kriegen es eh nicht mit – und was sie ausmachte, ist nicht in der Urne.

Melvin
13 Jahre zuvor

Wirklich eine schöne Geschichte mit einem tollen HappyEnd. Hatte ich bei dem Anfang gar nicht vermutet. Wär was fürs nächste Buch 😉

Maschka
13 Jahre zuvor

Sehr schöne Sache. Gut zu wissen, dass es noch immer so nette Leute gibt, wie die Frau Zimmermann, die der Tochter ihre Wohnung anbietet, welche ihr verspricht, zu helfen. Und Bestatter, die es irgendwie immer schaffen, genau das Richtige zu tun. 🙂 Es sollte mehr von all diesen Leuten geben.

Held in Ausbildung
13 Jahre zuvor

Da hat die Oma also die Bude saniert und nun zieht die Tochter ein. Ja nicht schlecht! Hoffentlicht ist die Tochter nicht so eine schamlose Person und nutzt die Freundlichkeit der alten Dame schamlos aus.

Man wünscht den beiden ja alles Gute!

13 Jahre zuvor

Also quasi ein Happy End 🙂 Schöne Geschichte 🙂

hajo
13 Jahre zuvor

@ 6 Big Al: Wasserschaden …? 😉
@ 10 Ma: Tantchen is watching you – ALWAYS!
@ 20 Antia: Eigenlob hat was mit dem Ur-Zustand der Wohnung gemein 😀

hajo
13 Jahre zuvor

Korrektur:
@ 10 Ma: Tantchen is watching US – ALWAYS! 😉

Sensenmann
13 Jahre zuvor

Heieiei, da ist man mal _einen_ Tag nicht da und verpasst gleich so eine Geschichte…

Ein Wechselbad der Gefühle. Erste Vermutung: mehr verweste als vorhandene Leiche, dann doch wieder anders, die Tochter zieht sich raus und ist ganz plötzlich mit der Zimmermann befreundet – ziemliches Durcheinander 😉

Aber es ist ja doch noch zu einem für alle Seiten passenden Abschluss gekommen. Schön 🙂 Insbesondere die „geliehene“ Urne finde ich klasse!

Danke, Tom.

Anita
13 Jahre zuvor

@hajo

Und Ironie setzt Intelligenz beim Empfaenger voraus…

Engywuck
13 Jahre zuvor

@Christine(18):
„… ich hatte gedacht, dass die Tochter (Frau Schambers) mit Vornamen „Pott“ heißt … “

😀 😀 😀

Fragt sich nur, welches der Nordlichter und Jungspunde hier das verstanden hat 😀




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