Geschichten

Die Degus -II-

Sandy hat ihre langen schwarzen Haare zu so etwas wie einem Pferdeschwanz hochgebunden und genau der wippt auf und ab, während die großgewachsene Frau etwas plump von einem Bein aufs andere hüpft. Das tut sie, weil sie zornig ist und ihr Zorn wurde durch eben die bereits neulich angesprochene Frau Birnbaumer-Nüsselschweif verursacht.

Es ist Leuten, wie der Birnbaumer-Nüsselschweif, gemein, daß sie immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit treten müsen, sich produzieren müssen und in alles einmischen müssen. Und selbst wenn ihr zumeist unerwünschtes Engagement nur Blödsinn hervorbingt oder bei allen Beteiligten großen Ärger verursacht, diese Leute sind sich nicht zu schade und sie kommen sich nicht blöd vor, immer wieder erneut in Erscheinung zu treten.

Das bisher „Geleistete“ wird nach dem Aschenputtelprinzip „die Schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen“ einfach auf das wenige Gute reduziert, von den ganzen Fehlschlägen und Blamagen wird einfach nie mehr gesprochen. Da waren sowieso „widrige Umstände“ oder eben irgendwelche anderen Leute Schuld…

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So macht es der Birnbaumer auch nichts aus, einfach bei uns hereinzuschneien (Grundgütiger! Die ist noch dicker geworden!) und uns auf die Degus anzusprechen.
Es sei ihr zu Ohren gekommen, daß wir uns um die armen Tiere kümmern und sie biete sich nunmehr an, uns mit dem notwendigen Rat zur Seite zu stehen. Als ehemalige Hunde- und Katzenzüchterin verfüge sie quasi von Haus aus über das notwendige Fachwissen zur Aufzucht sämtlicher Wirbeltiere und Wirbelloser und könne beinahe Bücher darüber schreiben.

„Zunächst einmal ist es wichtig, daß Sie die Wohnung dort besonders gut heizen, das sind Steppenbewohner und die lieben es warm. Und dann muß man dreimal bis viermal täglich dort vorbeischauen, ob die Tiere auch genügend Wasser haben… und Futter… und Einstreu…“

Wir haben gerade sowieso genug zu tun und Sandy kann, wie eigentlich jeder andere auch, die Birnbaumer-Nüsselschweif nicht leiden und hat sie kurzerhand hinauskomplimentiert.

Ich beschließe an diesem Vormittag, daß wir nachmittags mal zum Tierheim fahren und uns erkundigen, wie man in solchen Fällen vorgeht. Es wird ja häufiger vorkommen, daß Menschen ohne Anhang sterben und Haustiere hinterlassen. Da muß es ja irgendeine Vorgehensweise geben. Zumindest ist es mal so, daß niemand Anspruch auf diese Tiere erhebt. Obwohl… von Rechts wegen müßte man die Viecherl dem Fiskus überlassen, denn der wird im Grunde genommen Erbe des Hab und Guts des Verstorbenen.
Nun ist es in großen Städten tatsächlich so, daß das Ordnungsamt kurz nach dem Tod Alleinstehender ein paar Bedienstete vorbeischickt, die nach Verwertbarem suchen und die Wohnung auflösen.
Plunder wird entsorgt, Wertvolleres versteigert oder verkauft und der Erlös dient dann zur Begleichung der Wohnungsauflösung und natürlich oft genug auch zur Bezahlung der Beerdigung, die die Stadt vorher übernehmen musste.

Bei uns in der Stadt läuft das ein bißchen anders. Da geht man gerne -zumindest in diesem Teil der Behörde- den sogenannte „kurzen Dienstweg“. Gibt es da eine Bestattungsvorsorge und lässt der Bestatter aus dem Vorsorgekapital durch eine Fachfirma entrümpeln, so genügt es, wenn diese Fachfirma nach dem Anzug ihrer Kosten eine Aufstellung über die dann noch verwertbaren, wertvolleren Gegenstände beim Amt einreicht. Dort wird dann entschieden, was damit geschieht.

Das ist übrigens auch der Grund, warum wir die leeren Wohnungen Verstorbener niemals alleine, sondern immer zu zweit betreten, nicht daß da hinterher noch ein Riemenschneider-Altar oder ein echter Picasso fehlt.

Man muß aber auch ganz klar sagen, daß es fast nie vorkommt, daß genügend Verwertbares gefunden wird. Die Leute die einsam sterben und so eine Bestattungsvorsorge abgeschlossen haben, neigen dazu, alles zu ordnen und dafür zu sorgen, daß alles unterkommt, notfalls verschenken sie Vieles.
Nun hatte aber unser Verstorbener wohl nicht damit gerechnet, vor seinen Degus zu sterben und er hatte wohl auch nicht erwartet, daß sich die possierlichen Nager so rasant und nachhaltig vermehren.

Noch an diesem Vormittag fuhr Sandy, diesmal mit Antonia, zur Degu-Wohnung, um nach dem Wohlbefinden der Tiere zu schauen. Vermutlich hatte der Besuch der Kümmererin Frau Birnbaumer-Nüsselschweif dazu beigetragen, daß sich Sandy besonders intensiv um die Tiere kümmern wollte.

Die beiden waren etwa eine gute halbe Stunde weg, da klingelte mein Handy: „Chef, ich glaube, es ist besser wenn Sie mal vorbeikommen, die Tiere sind weggelaufen.“

„Wie? Weggelaufen?“

„Ja, nicht alle, aber viele“, sagte Sandy am anderen Ende der Leitung und erklärte mir, die Degus hätten die untere vordere Leiste der Abtrennung durchgenagt und wenigstens ein Dutzend der Strauchratten feiere jetzt überall in der Wohnung fröhliche Urständ.

„Ich pack‘ die nicht an, einer hat die Antonia schon in den Finger gebissen und die Wummsel hockt jetzt in der Küche und stirbt einen Operntod.“

Manni!“ lautete mein Ruf und es dauerte keine 20 Sekunden und wir steuerten in Richtung der Degu-Wohnung.
Dort angekommen bot sich uns ein herrliches Bild:

Sandy versuchte mit einem Reisigbesen einige der wieselflinken Nager in Richtung der Käfigtür zu treiben. Antonia hatte sich aus einem Geschirrhandtuch einen „schlimmen Lappen“ gebastelt und bediente die Tür einhändig. Kam ein Degu, vor dem Besen auf der Flucht, in die Richtung der Tür geflitzt, riß Antonia diese ein- wie eigenhändig auf, damit der kleine Kerl in den Käfig sausen konnte und im gleichen Moment entwichen wenigstens zwei andere Strauchratten noch bevor Antonia die Käfigtür wieder schließen konnte.

Nun gut, Antonia ist eher von der behäbigen Sorte und was sie unter flinken Bewegungen versteht, würden andere Leute in den Bereich der Zeitlupe einordnen.

Der „schlimme Lappen“, das muß ich noch kurz einfügen, ist eine Erfindung meiner oberschlesischen Großmutter mütterlicherseits, Gott hab sie selig, die ihren bis zu elf Kindern so etliche Wehwehchen durch einen viel zu großen, um die verwundete Stelle gebundenen Lappen, wegzuheilen pflegte. Je größer das Geschrei des Kindes und je harmloser die tatsächliche Ursache des Weinens, umso größer und kunstvoller gebunden mußte der „schlimme Lappen“ sein.
Der Ausdruck „schlimmer Lappen“ wurde in unserer Familie zu einem geflügelten Wort. „Der hat doch bloß ’ne schlimme‘ Lappen“ steht stellvertretend für: Der olle Hypochonder soll sich mal nicht so anstellen.

Es kann auch, nachschauend berichtet, überhaupt nicht die Rede davon sein, daß Antonia tatsächlich ernsthaft verletzt worden wäre. Einer der Nager hatte sie gezwickt, aber es war noch nicht einmal Blut geflossen und schon am Abend des selben Tages war selbst von der winzigen rötlich verfärbten Stelle an ihren Daumen gar nichts mehr zu sehen. Aber so ist sie eben, die junge Generation, leidend bis zum Gehtnichtmehr…

Nun entwickelte sich die Situation in der Deguwohnung so, daß nunmehr vier erwachsene -na gut, zwei Erwachsene und eine Sandy und eine Antonia- hinter dem guten Dutzend der inzwischen entwichenen Strauchratten herhechelte. Ich flog dreimal über den Wohnzimmersellel in Türnähe und Manni zerstörte mit dem mittlerweile in seine männlichen Hände übernommenen Reisigbesen sogar eine, offiziell zum Erbe gehörende, Blumenvase. Daß ich schwerste Hämatome an sämtlichen Gliedmaßen davon trug, das interessierte natürlich weder aktuell in der Situation noch später irgendjemanden! Und den einzigen „schlimmen Lappen“ hatte Antonia, die Verweichlichte!

Naja, ich merk‘ mir sowas!

Gut! Mit vereinten Kräften gelang es uns, die Tiere innerhalb von einer guten Stunde alle wieder einzufangen und eine Zählung ergab, daß wir nun 29 Degus im Käfig hatten. Es liegt also die Vermutung nahe, daß sich einer schon bei der Zählung am Vortag auf Wanderschaft in der Wohnung befunden hatte.
Sandy trug in der Deguschlacht eine Schramme an linken Bein davon, schlimmer noch: eine Laufmasche in ihren schwarzen Netzstrümpfen, die ein Spinnwebenmuster hatten, vor der Laufmasche…
Manni hatte sich nur das rechte Knie gestoßen und humpelte drei Tage lang und so lädiert sicherten wir den unteren Rand des Käfigs mit drei schweren Schneidbrettchen aus Marmor und machten uns auf den Heimweg.

„Meine Güte, wo kommt Ihr denn her, von Stalingrad?“ spottete Frau Büser und holte den Verbandskasten.
Manni und ich verzogen uns, ein richtiger Mann leckt seine Wunden einsam wie ein Wolf…
…und lässt sie sich abends von seiner eigenen Frau verbinden, das ist viel schöner.


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 7. Januar 2010 | Revision: 6. August 2012

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16 Kommentare
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Kirstin
14 Jahre zuvor

Hehehehe… Das muss wahrhaftig ein Bild für Götter gewesen sein. Ihr alle in der Wohnung voll planlos nach Degus rennen. 🙂
Kann mir das gut bildlich vorstellen und bin nur am grinsen. Ja ich weis, Schadenfreude.
Aber watn nun mit der Birnbaum-Nüsselschweif? Du hast das doch bestimmt nicht alles geschrieben nur um uns mitzuteilen das Sie fetter geworden is. Oder?? O_o

Emz
14 Jahre zuvor

Super. Endlich wieder Spass mit Fortsetzung!

Anni
14 Jahre zuvor

Ha,ha,ha, ich hab grad versucht, mir das ganze bildlich vorzustellen! Herrlich! Danke für diesen Lacher an diesem sonst so grauen Vormittag!!!

14 Jahre zuvor

Jaja, Degus nagen alles zu Kleinholz. Seid froh, dass sie noch nicht durch die Eingangstür sind. Das sind Termiten mit Fell. 🙂

14 Jahre zuvor

ich liege gerade lachend auf dem Boden^^ Stelle mit euren Kampf bildlich vor.

Dicker Lechthaler
14 Jahre zuvor

„Das sind Termiten mit Fell.“
Danke, Anise. Sehe seit dem Lesen dieser Zeilen meine polstermöbelzerfräsenden Katzen unter anderen, noch übleren Vorzeichen…
🙁 Lechthaler

Kryptische
14 Jahre zuvor

Ich grinse über das ganze Gesicht und gluckse leise in mich hinein… und freue mich diebisch, dass es mal andere trifft (zu meinem Beruf gehört auch das gelegentliche Einfangen von Nagern… aber so viele Degus auf einmal, also das möchte nicht eimal ich erleben). Hut ab vor eurem Einsatz – und eurer Bereitschaft, das auf euch zu nehmen.

Ich hoffe, die emsigen Nager sind mittlerweile gut unter gekommen? Bitte gebt mal Laut, falls ihr Hilfe braucht!

14 Jahre zuvor

ganz großes kino, die altmeister chaplin und co.wäremn sttolz auf euch.
*lachtränenvondertastaturwischt*

Max der I.
14 Jahre zuvor

eine Frage hätt ich da noch: Was ist denn ein :Wohnzimmersellel???schwäbische Spezialität? 😉

Peter
14 Jahre zuvor

Was für eine herrliche Geschichte! *Träne wegwisch*

Rowerle
14 Jahre zuvor

hmm, wenn ich mir anschaue, wie der Öcher Tierpark sein Degu-Gehege aufgebaut hat, dann staune ich über den Mut des verbleichenden „Züchters“…

Ich tippe übrigens auf folgenden Ausgang der Geschichte: Ein Interessent für die Degus wird bei Tom vorstellig, alle sind glücklich und zufrieden und man will gerade zur Wohnung fahren, als die Birnbaum-Rüsselschweiff reinkommt und sich der possierlichen Nager annehmen will. Entrüstet erfährt sie von den Aktualitäten und stellt den Käufer zur Rede.
Dieser teilt nur mit, daß er die Degus als Spielkameraden für seine 3 Anakondas braucht …

Hamburger Jung
14 Jahre zuvor

Damit es nicht noch mehr Degus werden, sollten die dringend(!) nach Geschlechtern getrennt werden. So, wie ich die Kleinen kenne, sind da vermutlich einige Weibchen schon schwanger.

Sanna
14 Jahre zuvor

Könnt ihr nicht die Birnbaumerin zur amtlich bestellten Degu-Hüterin erklären lassen???
Ich lasse nämlich in meinem Kopfkino gerade den entsprechenden Film laufen: Dicke Dame rollt bewaffnet mit Reisigbesen durch die Wohnung und jagt entflohene Degus, richtet bei der wilden Jagd mit ihrem Körpervolumen selbstredend mehr Flurschaden als Bestatters Manni an. Weil diese Indoor-Safari natürlich Herz und Kreislauf der Birnbaumerin schwerst überfordert, kollabiert die Gute, sinkt zu Boden und haucht ihr Leben aus…
Und wenn sie dann gestorben ist, brauchen Tom und Sandy und Frau Büser sich endlich nicht mehr über besagte Dame ärgern!

MacKaber
14 Jahre zuvor

Ja, bitte bitte die possierlichen „armen“ Tierchen offiziell der Frau Hirntrauma-Rüsselpfeif in Obhut geben. Die kann sie dann mit einem Hilfstransport nach Afrika schicken, denn dort ist es wärmer. So ist jedem geholfen.

14 Jahre zuvor

ich kringel mich – die bösen Degu´s. Danke, vertreibt mir doch gleich das böse Vorgrauen auf die winterliche Heimfahrt.
Liebe Grüße von Rügen
Anke

Mara
14 Jahre zuvor

Ich hab mich grad gekringelt beim Lesen. Degus nagen sich wirklich fies durch alles Nachgiebige durch… Vor euren Marmorschneidbrettern werden die sicher Respekt haben, aber ansonsten ist nicht mal Hartplastik vor ihren Zähnen sicher. (eigene Erfahrung – eine frühere Nachbarin hat einen ausgebüxten Degu im Hinterhof gefunden und war der Meinung, das Tierchen temporär in meiner Katzentransportbox sicherzustellen… die Box hat jetzt nen tollen Degu-Ausgang)




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