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Die Mutti-Taste

Familie Humbucker hat bei Elektro-Fuchs eine ganze Schachtel alter Super-8-Filme auf DVD überspielen lassen und möchte nun quasi das ganze 75-jährige Leben des vor sechs Tagen verstorbenen Familienpatriarchen Egon Humbucker sozusagen in einer Echtzeitendlosschleife auf der Trauerfeier abspielen.
Diese soll in unserem Haus stattfinden und erstaunlicherweise haben die Humbuckers einen Pfarrer gefunden, der zu den überwiegend tonlosen Filmen aus der Frühzeit dann Musik von der CD abspielt und von einem ganzen Stapel handgeschriebener Zettel jeweils das passende sagen soll.

Später dann, wenn der Teil vorüber ist, der noch von Super-8-Rollen stammt und der etwas längere Abschnitt mit den ganzen Urlauben in der fränkischen Schweiz abgespielt wird, der schon auf Videomaterial aufgenommen war, kommt der Ton dann direkt von der DVD.

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Ich habe es den Leuten nicht nur gesagt, ich habe es ihnen sozusagen vorgetanzt, bin auf den Knien rutschend vor ihnen gelegen und habe versucht, denen klar zu machen, daß man seine Trauergäste nicht mit Dreidreiviertelstunden Endlosfilm quälen kann.
Ja, man würde ja zwischendurch eine Pause machen und außerdem habe Schwager Willi die Fernbedienung in der Hand und würde dann ab und zu mal etwas vorspulen.

Der Tag der Trauerfeier ist gekommen, diese soll um 14 Uhr stattfinden und schon morgens beginnen Antonia und Sandy mit den Vorbereitungen. Die Trauerhalle wird noch einmal durchgesaugt und durchgefegt, die bereits angelieferten Blumen und Kränze noch einmal schön arrangiert und die Stühle sauber in Reih und Glied gestellt. Alles soll gut aussehen.

Dann machen sich die beiden an den letzten Technikcheck. Sandy kennt sich da sehr gut aus, die verkabelt nach Feierabend auch schon mal die ganze Licht- und Soundtechnik der Darkgrave-Band „The dead end“, bei der sie seit zwei Jahren sehr gekonnt ein Shaker-Ei rasselt.

Wenn nun einer fragt, was Darkgrave ist, dann sei dem gesagt, daß das so ähnlich ist wie Triphop, mit Elementen aus dem kubanischen Voodoo und den New-Orleans-Jazz der 30er Jahre. Also eigentlich ganz einfach, bloß ganz anders.

Antonia hält übrigens von Sandys musikalischen Fähigkeiten nichts und behauptet, die habe nur angefangen, dieses blöde Holzei zu schütteln, weil sie hinter dem Drummer der Gruppe her wäre.
Allerdings ist es die gleiche Antonia, die ganz genau zu berichten weiß, daß das nicht der Trommler, sondern diese langbeinige Dürre am Elektrobass sei.
Beim nächsten Mal, wenn Antonia darüber erzählt, ist es dann der etwas kurz geratene Gittarist gewesen, der vorne eine Glatze hat und hinten einen langen, grauen Zopf bis zum etwas tief sitzenden Po.
Also im Grunde genommen weiß man nichts Genaues. Entweder ist es so, daß Antonia schlichtweg nichts weiß und nur wechselnde Vermutungen anstellt; oder aber -was ich für viel wahrscheinlicher halte- Sandy hat die ganze Band durchgezogen und zwar nicht einmal zwangsläufig nacheinander…

Gut, also meine Kabelgrazien stehen in der Halle, lassen die Leinwand herunterfahren und checken den Beamer und den DVD-Abspieler. Lieber dreimal kontrollieren!

Ich komme gerade dazu, als beide so etwa in der achten Reihe sitzen und wechselseitig Fernbedienungen drücken.

„Was macht Ihr denn hier?“ frage ich und Antonia glotzt mich erstaunt an:

„Das sieht man doch!“

„Ich sehe zwei faule Weiber, die sich auf meine Kosten hier herumlümmeln und nix schaffen“, motze ich in gespielt cheffigem Ton.

„Nee, Chef, guck mal“, sagt Sandy, „Antonia macht hier voll einen auf blöd, so als ob die ’nen nassen Hut aufhätte und bei Gewitter draußen gewesen wäre.“

„Was ist denn das Problem?“

„Ja Mensch, die Antonia kann sich nicht entscheiden.“

„Antonia, weswegen kannst Du Dich nicht entscheiden?“

„Wegen der Mutti-Taste.“

„Wegen der was?“

„Der MUTTI-Taste!“

„Was ist das denn?“

„Na hier, die mit dem durchgestrichenen Lautsprecher.“

„Du meinst die MUTE-Taste?“

„Ja oder so.“

„Und was ist mit der Mute-Taste? Die ist zum Stummschalten der Lautsprecher.“

„Weiß ich auch! Aber gucken Sie mal, hier auf der Fernbedienung von dem Beamer ist so’ne Mutti-Taste drauf und auf der vom DVD-Player auch.“

„Ja und?“

Sandy mischt sich ein: „Chef, Antonia kann sich nicht entscheiden, welche Stille schöner ist. Die von der Mute-Taste des DVD-Players oder die vom Beamer. Sie meint die vom Beamer sei eindrucksvoller.“

Während Antonia aufspringt, um mir die beiden Fernbedienungen zu zeigen, tippt sich Sandy hinter ihrem Rücken an die Stirn.

Ich meine, es ist unzweifelhaft eine anerkannte und nicht zu leugnende Tatsache, daß Antonia gewaltig einen an der Mupfel hat, aber bitteschön, was unterscheidet sie dann von allen anderen hier, mich eingeschlossen? Jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise; hat mal jemand gesagt.

Nun hat es Sandy in ihrer lockeren und unbekümmerten Art sicherlich leichter im Leben, als die herzensgute und mit einem Bauch gesegnete Antonia. Also falle ich dem Pummelchen nicht auch noch in den Rücken.

„Los, Antonia“, sage ich, „mach mal vor. Zuerst die Stille vom Beamer!“

Antonia steht den Bruchteil einer Sekunde starr vor Erstaunen da, dann geht ein Strahlen über ihr Gesicht und sie macht eilfertig den Ton an, dann wieder aus und wir stehen da und lauschen. Nix, es ist einfach nur still. Dann macht sie den Ton wieder an und dann erneut wieder aus, diesmal aber mit der Fernbedienung vom anderen Gerät.
Wieder stehen wir da und lauschen der Stille. Antonia wiegt den Kopf etwas hin und her, damit sie ganz genau hören kann, ob diese Stille schön klingt.
Sandy sitzt barfuß, mit angezogenen Beinen auf einem der Stühle und zupft sich am kleinen Zeh. Ihre langen schwarzen Haare sind nach vorne gefallen und verdecken das Gesicht. Ich kann aber trotzdem sehen, daß sie mit den Augen rollt. Sie zweifelt eindeutig an Antonias und meinem Verstand.

„Antonia, Du hast Recht, die Stille vom Beamer ist viel eindrucksvoller, also wirklich, das hört man ganz deutlich.“

Wieder dieses kurze Aufblitzen absoluten Erstaunens ins Antonias Gesicht, dann kommt es zu einer Spontanausschüttung von Wachstumshormonen und das Pummelchen wächst vor meinen Augen um wenigstens 45 Zentimeter. Sie strahlt über das ganze Gesicht und Sandy sitzt immer noch da, schüttelt ihren Kopf und kann nicht fassen, daß jemand Antonia Recht gegeben hat.

Manchmal muß man die Schwachen auch stärken, finde ich.

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