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Geschichten

Günther XLI

Ute und Monika waren dem bigotten Ehepaar Birnbaumer-Nüsselschweif weggelaufen und waren auf ihrer Flucht schließlich Pilzsuchern begegnet, die die beiden Mädchen hinunter in die Ortschaft gebracht hatten. Ein dicker Polizist, dem aufgrund seiner Körperfülle zumeist der Innendienst überlassen wurde, hatte die Kinder mit lauwarmem Kakao versorgt und seinen Kollegen oben im Wald Bescheid gegeben.

Aus Angst vor Frau Birnbaumer-Nüsselschweif und weil Ute und Monika befürchteten, sie müßten sogleich wieder zu der dicken Ziehmutter zurück, hatten sie es nicht gewagt, zu erzählen, wie Herr Birnbaumer ihnen immer wieder auf die Pelle gerückt war, wie falschfromm die Dicke sie behandelt hatte und auch vom Refugium, dem nächtlichen Wecken zum Gebet und allem anderen erzählten die Mädchen nichts. Kindern würde man sowieso nicht glauben, hatte ihnen Frau Birnbaumer-Nüsselschweif immer eingebleut.

So war es Frau Ströttinger vom Jugendamt, die sich direkt zwischen die fette Matrone und die Mädchen schob, als die ganze Gruppe aus dem Wald ins Polizeirevier kam. Denn sofort hatte Frau Birnbaumer-Nüsselschweif auf das Fürsorgeprogramm umgeschaltet, ein zuckersüßes Lächeln aufgesetzt und wollte auf die Mädchen losstürmen: „Ach Gottchen, ach Gottchen, meine armen, lieben Kinderlein, was müßt ihr für eine Angst gehabt haben, so allein im Wald. Gell, verirrt habt ihr euch, nicht wahr. Jetzt kommt mal schön wieder im Mamas Arme!“

Auch Herrn Sack war der fast nicht herauszuhörende aber doch vorhandene warnende Unterton bei den Worten ‚Gell, verirrt habt ihr euch‘ aufgefallen. Er grinste: „Sie brauchen jetzt gar nicht erst versuchen, die Mädchen schon wieder zu beeinflussen, Frau Nüsselschweif!“

„Birnbaumer-Nüsselschweif!“ schnaubte die Dicke: „So viel Zeit muß sein! Ich bin Bundesverdienstkreuzträgerin und Müttervorsitzende! Man hat mich mit Ehrungen überhäuft, ich stehe im Lichte der Öffentlichkeit, seit Jahren kümmere ich mich um die Verlassenen, die Vergessenen, die Hilflosen, alles selbstlos, nur weil ich ein so großes Herz habe…“

„Luitgard, halt doch endlich mal deinen Mund“, knurrte Herr Birnbaumer aus der anderen Ecke des Raume und seine Frau fuhr herum. Ihr Gesicht hatte sich zu einer Fratze verzerrt: „Du Saftwurst, Du Kartoffelwurm, Du Pinselmann!“

„Wenn Sie sich kloppen wollen, dann haben wir hinten einen schönen Raum, wo Sie reingehen können“, grinste der dicke Polizist und hielt die Birnbaumerin am Arm fest.

Doch die schaltete sofort wieder in den Muttermodus und säuselte in Richtung der Mädchen: „Meine Schäflein, seht ihr, ich stelle mich schützend vor Euch! Der böse Papa Birnbaumer wird Euch nichts mehr tun.“

„Was, was, was?… Luitgard! Was redest Du denn da?“ keuchte ihr Mann und einer der Beamten hielt auch ihn fest.

„Wieso?“ stellte sich die Birnbaumer-Nüsselschweif dumm: „Die Mädchen haben doch Recht, daß sie vor Dir weggelaufen sind. Wer hat denn immer auf ihre Titte geglotzt? Wer hat denn ständig Sabber vor dem Maul gehabt, wenn sie in seiner Nähe waren? Wenn ich sie nicht mit Gottes Hilfe ständig beschützt und mich vor sie gestellt hätte, dann will ich gar nicht wissen, was sonst noch passiert wäre. Herr Hauptkriminalwachtmeister, nehmen sie den da ruhig fest, der ist Schuld an allem!“

Herr Birnbaumer war fassungslos und wollte, trotz seiner, im Vergleich zu seiner Frau, schmächtigen Gestalt, auf sie losgehen, doch der Beamte hatte ihn in eisernem Griff.
„Ach, so ein Früchtchen sind Sie?“ sagte der Polizist und faßte den Fassungslosen noch etwas fester.

Frau Ströttinger und Herr Sack vom Jugendamt und Herr Gräbert vom Wohlfahrtsverband sahen sich staunend an. Dann ergriff Frau Ströttinger das Wort: „Wir werden das alles noch ausführlich klären. Ich glaube, das geschieht aber am besten in der Stadt bei der Kriminalpolizei.“

„Wir brauchen noch eine Aussage von Ihnen, irgendwas muß ich ja in den Bericht schreiben“, sagte der beleibte Polizeibeamte und Frau Ströttinger und ihr Kollege Sack begleiteten ihn in den Nebenraum, wo der Dicke mit einem Finger mühsam die abgewetzte Tastatur eines bestimmt 15 Jahre alten PCs zu quälen begann.

Herr Gräbert vom Wohlfahrtsverband nickte den anderen Polizisten zu und nahm dann die beiden Mädchen, die die Szene mit großen Augen verfolgt hatten, mit nach draußen: „Ihr setzt Euch jetzt in unseren Wagen und bleibt da schön sitzen. Wir bringen Euch dann zu Eurem Papa, okay?“
Ute und Monika nickten stumm. Sie konnten nicht glauben, daß der Albtraum jetzt ein Ende haben sollte. Dieser Albtraum, der für sie so vielversprechend begonnen hatte, mit dem Versprechen, eine richtige Familie zu bekommen, mit einer fürsorglichen Mutter, einem braven Vater und gemeinsam mit ihrem Bruder Thomas. Und wie schnell war diese Seifenblase zerplatzt! Wie schnell hatte sich gezeigt, daß es hinter der frömmelnden Fassade des Hauses Birnbaumer-Nüsselschweif nur falsches Gebet und lüsternes Interesse gab!
Endlich würden sie zu ihrem richtigen Papa zurück kommen, der Papa von dem die Birnbaumer ihnen immer erzählt hatte, er sei ein übler Frauenmörder.

Als Frau Birnbaumer-Nüsselschweif in einem Polizeiwagen weggebracht wurde, waren die Mädchen erleichtert.
„Wo ist denn Herr Birnbaumer?“ fragte Monika Herrn Gräbert. Der zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung, ich frag‘ mal.“ Und kurz darauf kam er zum Wagen zurück und sagte den Mädchen: „Die bringen die beiden getrennt weg. Erst die Frau und jetzt holen sie noch einen Wagen für den Mann, die wären sich sonst an die Gurgel gegangen.“

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. November 2013 | Peter Wilhelm 17. November 2013

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Christian
10 Jahre zuvor

oh, dass riecht noch nach einem letzten, allerletztem Teil zum abschließen 🙂
eine tolle Geschichte findet damit einen Abschluss

alexkid
10 Jahre zuvor

Eigentlich wäre es ja jetzt ein passendes Ende, den beiden Nüsselschweinen noch richtig eins mit der juristischen Kelle zu geben, wie sie es verdient hätten. Aber das würde sich mit der öffentlichen Persona der Nüsselschweif beißen, die im Laufe der Blogbeiträge aufgebaut wurde. Demnach gehe ich nicht von gerechter Strafe für die beiden aus. Aber so ein bisschen wohlfeile Rache darf gern noch sein 😀

Reply to  alexkid
10 Jahre zuvor

Oh ja, bitte!

uli-mit-Hut
10 Jahre zuvor

OH NEIN … nicht schon wieder warten müssen …. TOM … bitte … heute ist Sonntag … schieb noch den letzten Teil nach … bittttttteeeeeee !!!!

dinora
10 Jahre zuvor

Wenn ichs irgendwo überlesen habe, tut es mir leid:
Wie viel der ganzen Geschichte hast du wirklich so von Günther erzählt bekommen und was über die Gemüsefrau? Wie viel davon ist künstlerische Freiheit?

PMK74
10 Jahre zuvor

Bis hierhin gefällt mir das Finale schon mal sehr gut. 🙂

Danke für’s weiterschreiben.




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