Menschen

Nur eine Kerze

Eine Kerze ist alles was von einem langen Leben geblieben ist…
Herr Klarenz hat 83 Jahre lang gelebt, hat seine Frau um drei Jahre überlebt, zwei Kinder in die Welt gesetzt und ist der Opa von drei Enkeln.
Am vergangenen Montag ist er im Altersheim gestorben, im Nordflügel.

Im Nordflügel ist es nicht so schön, er hat allenfalls den Charme eines Einsterne-Vertreter-Hotels. Der Südflügel des vor drei Jahren eröffneten Heimes hingegen ist schön. Helle, große Zimmer, freundliche Farben, alles fast schon ein bißchen luxuriös. Demenz…, er hat ja sowieso nicht mehr gewußt, wo er war, wer er war, ob ihn jemand besuchte und wer ihn dann besuchte…, da kann er auch in den günstigeren Nordflügel umsiedeln.

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Die letzten Monate ist keines seiner Kinder und Enkelkinder mehr gekommen. Der Opa vergißt das ja sowieso sofort wieder.

Am Mittwoch hatte sich der Schwiegersohn zu uns bequemt, schnippisch, sachlich, eilig. Im Internet hatte er sich schlau gemacht, keine Trauerfeier, Krematorium, weg, Asche ins Gemeinschaftsgrab.

Wir holen seine Sachen im Heim ab, darunter ein paar Fotoalben, die Bilder schon ganz gelb, alle Farben verblasst.
Urlaub in Italien, das erste Moped, ein Käfer mit Dachgepäckträger, ein schlichtes Einfamilienhaus und jede Menge Bilder von Kindern und Verwandten, mal unterm Tannenbaum, mal alle ganz festlich bei einem Jubiläum.

Eine Kerze stand auf der kleinen Kommode. Manni hat sie für Herrn Klarenz angezündet und sie auf den Sarg gestellt, irgendjemand hat zwei heruntergefallene Nelken dazu gelegt, ein spärlicher Schmuck.

Doch jeder von uns, der an dem Sarg, der auf seinen Abtransport ins Krematorium wartet, vorbeikommt, hält kurz inne, schaut die kleine brennende Kerze an und Traurigkeit ist alles was bleibt.

Keiner hat es verdient, so ganz ohne ein letztes Lebewohl zu gehen…

Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Menschen

Die Geschichten und Berichte über Menschen sind u.a. Erzählungen und Kurzgeschichten aus der Welt der Bestatter.

Lesezeit ca.: 3 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. August 2012 | Peter Wilhelm 17. August 2012

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41 Kommentare
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ly
14 Jahre zuvor

Ich muss mir abgewöhnen dein Blog in den Vorlesungspausen in der Uni zu lesen *schnüff*

HdS
14 Jahre zuvor

Ich denke das Probvlem bei Demenz ist dasn man innerlich schon lange „lebwohl“ gesagt hat und der Tot des Körpers da recht egal ist.

Anonym
14 Jahre zuvor

Das ist einfach nur traurig. Dabei denken ja viele, wenn man Familie hat, ist man im Alter wenigstens nicht allein.
Wo ist denn der Zusammenhalt geblieben, den es früher in den Großfamilien noch gab? Der wird wohl immer seltener – und viele „Familien“ bestehen heutzutage wohl nur noch aus Einzelkämpfern. Traurig sowas.

Mendian
14 Jahre zuvor

Das Problem mit Demenzkranken in der Familie ist, dass der Kranke nicht der Mensch ist, den man jahrelang, jahrzehnte lang gekannt hat. Der Kranke wird zu einem Fremden. Er sieht noch aus wie Opa, aber es ist nicht der Opa, bei dem wir auf den Knien gehockt haben, mit dem wir Aepfel klauen waren…..

Dieser, fuer uns fremde Mensch, bleibt fremd, weil er in einer Welt lebt, zu der wir keinen Zugang haben. Die Erinnerungen eines Demenzkranken liegen so weit zurueck, dass wir diese nicht mit ihm teilen koennen.

Auch zeigt uns ein Demenzkranker unsere eigene Hilflosigkeit. Auch wenn wir wollten, wir koennen ihm nicht helfen. Wir koennen den Menschen, den wir kannten, nicht mehr zurueckholen.

Aus Angst vor dieser Hilflosigkeit, wird vieles verdraengt, verschoben, ‚vergessen‘. Man sucht Ausreden (Keine Zeit. Morgen. Naechste Woche) um sich nicht dieser Hilflosigkeit stellen zu muessen…..

14 Jahre zuvor

Ein langes Siechtum am Ende des Lebens ist immer ein großes Problem. Wie bereits beschrieben, hat man innerlich irgendwie längst Abschied genommen – schleichend, langsam und niemals richtig.
Das gilt für Demenz genau wie für Wachkoma und noch ein Dutzend anderer Leiden.
Auch wenn der frühe Tod keinem zu Wünschen ist, so wünscht man sich doch, dass man aus dem Leben scheidet während man noch „voll da“ ist.

Nach Jahren in einem Alten- oder Pflegeheim ist es schwierig dem Menschen, den man nun zu verabschieden hat gerecht zu werden. Man muss sich viele Jahre zurückerinnern um das hervorzukramen, was es zu bewahren gilt.

14 Jahre zuvor

Schluck.
Das ist wirklich schlimm, so abserviert zu werden.
Wenigstens ab und zu mal ein Besuch hätte ganz gewiss des Opas Herz erfreut. Wenn auch nur für Augenblicke.

Danke für die Kerze, ihr Schein tut einfach gut, gibt der kalten Situation wahrlich ein wenig Wärme.

Pu der Zucker
14 Jahre zuvor

Glaube bitte keiner, mit der Diagnose „Demenz“ sei alles aus! Erinnerung weg, Persönlichkeit futsch, Lebensqualität perdu… was soll das? Demenzkranke sind kein Gemüse, das nur noch dahinvegetiert. Sie verabschieden sich zwar von der Welt, wie wir (noch) Gesunden sie kennen, aber trotzdem sind sie fähig zu hören, zu fühlen. Eine Bekannte arbeitet in der mobilen Altenpflege. Sie betreute einen schwer demenzkranken Mann, der lt. Verwandten schon sehr lange nicht mehr gesprochen hatte. Während der Pflege sang sie ein Kinderlied vor sich hin. Plötzlich fing der Mann an mitzusingen, mit exaktem Text. Auch meine eigene Oma hatte Alzheimer. Auch mir wurde bei meinen Besuchen im Pflegeheim von den Pflegern gesagt:“Da hinten im Tagesraum sitzt sie, aber sie wird Sie nicht erkennen.“ Wir saßen eine Weile beieinander, ich erzählte, Oma blieb lange reglos, aber plötzlich schaute sie mich direkt an, sagte einen Satz, schaute nochmal, und dann sank sie langsam in ihre Starrheit zurück. Aber allein diese kurzen „lichten“ Momente, Sekunden nur, sind es doch wert, einen solchen Menschen nicht fallen zu lassen, ihn weiter zu besuchen… Weiterlesen »

Jürgen
14 Jahre zuvor

Gut, das bei Demenz der arme Mann keine Besuche mehr von seinen Verwandten bekommen hat, kann ich irgendwie noch nachvollziehen. Aber dieses Verscharren ohne Trauerfeier verstehe ich nicht. Hat der Tote den Angehörigen nie etwas bedeutet?
Wie gut dass dem Verstorbenen wenigstens bei Tom die Würde zurüch gegeben wird.

look like death warmed up
14 Jahre zuvor

Ich habe auch erlebt, wie traurig es ist, wenn ein lieber Mensch stirbt, der an Demenz erkrankt war. Natürlich nimmt man schon lange vor der Beerdigung Abschied.
Und trotzdem gab es eine schöne, gut besuchte Beerdigung, bei der noch einmal all die Menschen meiner Oma ihren Respekt zollten, die sich daran erinnert haben, was sie alles für sie getan hat, ehe sie an Demenz erkrankte.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

zeco
14 Jahre zuvor

So Doof das jetzte klingt, und ich bin ein Mensch der jeden Konflikt soweit wie möglich ausn weg geht, Aber mir wäre der Tot aus ner Waffe lieber. Mir tun solche Menschen unendlich leid aber helfen tuts auch nicht. Ich hoffe das ich entweder schoen im Schlaf sterbe oder jemanden anderes mit meinen tot rette, aber ich kanns mir ja nicht aussuchen.

Anise
14 Jahre zuvor

Das ist schlimm, so gehen zu müssen, so ganz alleine.
Hilflosigkeit verstehe ich, Verdrängung auch, aber Gleichgültigkeit ist mir unverständlich.
Tom, du schreibst so schön, man fühlt richtig mit.

Franzi
14 Jahre zuvor

Bei meinen Omas habe ich Demenz als sehr widersprüchliche Krankheit erlebt, bei der man sehr viel Einfühlungsvermögen und Phantasie braucht, um sich der fernen Welt seiner geliebten Angehörigen anzunähern. Das strengt an, zermürbt, laugt aus. Und es tut manchmal sehr weh, weil man große Fremdheit erlebt, und sich verlassen fühlt (angesichts von Phänomenen wie nicht mehr erkannt zu werden, seltsamer Emotionen, verschwindender Selbstkontrolle/Selbstzensur, Aggressivität). Aber ich habe auch erlebt, dass es wunderbare lichte Momente gibt, wie oben beschrieben, und dass man lernen kann, diese Momente zu ermöglichen. Das geht halt nicht im Rahmen normaler Gespräche und rein kognitiver Ansprache, sondern eher im Rahmen sinnlicher Erfahrungen. Sei es ein Lied, sei es eine bestimmte Speise, sei es ein vertrauter und positiv besetzter Geruch…Ich werde nie vergessen, wie meine Oma gestrahlt hat, und dann plötzlich zu reden begann, als ich ihr einfach mal meinen Zopf in die Hand drückte und sie mal damit herumwuscheln ließ…Meine Oma lebte irgendwann in ihrer Kinderwelt, und als ich das kapiert hatte und mir das vorstellen konnte, gab es wieder ganz viele… Weiterlesen »

HdS
14 Jahre zuvor

@3 Die Großfamilie musste damals auch nicht diese Lasten tragen. Früher war sterben ein ziemlich fixer Vorgang, aufgrund mangelnder Hygiene, fehler Dekubitusvorsorge u. Ä. gab es selten lange Pflegefälle. Die Leuten starben innerhalb von Wochen, spätestens Monaten.
Das reduzierte die emotionale und finanzielle Belastung deutlich, es fällt mir daher schwer unsere Welt für eine „Kälte“ zu verurteilen die schlicht das Resultat übermäßig langer Sterbeprozesse ist.

amaryllis
14 Jahre zuvor

All diese bösen, herzlosen Kinder, Enkelkinder, Nichten und Neffen sind doch im Grunde genommen ein Produkt ihrer Erziehung. Erzogen oder miterzogen von dem der da verstorben ist. Ich weiss das klingt sehr stremg nach „Selber schuld!“ wer einsam stirbt. Das allein ist es sicher nicht, aber einen Teil haben diese Menschen ganz sicher (unwissentlich) zu ihrer Alterseinsamkeit beigetragen.

14 Jahre zuvor

[quote=“TOM“]und Traurigkeit ist alles was bleibt.[/quote]Und ein klein wenig Hoffnung, am Ende eines einsamen Lebens in einer immer egoistischer werdenden Umwelt von einem Menschen wie Manni oder Tom verabschiedet zu werden. Bevor man ganz vergessen wird, weil man niemandem mehr nützt in einer Welt, die Alles nur nach dem Nutzen zu berechnen scheint. 🙁

3-plus-1
14 Jahre zuvor

@amaryllis

Das sehe ich nicht so. Jeder Mensch hat nur eine begrenzte Leistungsfähigkeit und auch nur 24 Std. pro Tag zur Verfügung. Als erstes muss da der Broterwerb kommen und dann muss man die restliche Zeit knallhart einteilen. Ist mir die demente Oma wichtiger als meine eigenen Kinder? Was sagt mir mein Körper, wie viel Schlaf brauche ich um nicht zusammen zu klappen? Uns so weiter und so fort.

Ich habe da schon Menschen gesehen, die es allen Recht machen wollten und dann selbst beim Kardiologen oder in der Psychatrie gelandet sind.

Nein, ich kann das sehr gut verstehen. Es gibt Momente in denen einem das Leben zu viele Aufgaben aufhalst und dann muss man das Arsch sein, um weiter nicht zusammen zu brechen. Klar, dass dann da viele unterausgelasteten Moralisten aufschreien. Aber seis drum, mehr als 100% geht nicht.

Das trifft aber nur auf regelmäßige Besuche zu, bei einmaligen Ereignissen, wie der Trauerfeier sollte man sich schon die Zeit nehmen. Finde ich zumindest.

Anonym
14 Jahre zuvor

nein 3-plus-1, das kann man nicht so stehen lassen: es handelt sich hier offensichtlich um eine „Familie“ (bestehend aus vermutlich zwei Unter-Familien) mit mehreren Personen: zwei Kinder (zwei (?) Schwiegerkinder), drei Enkel
.. da ruht die Verantwortung nicht nur auf einer Schulter??
Und die Beschreibung des Schwiegersohnes ist auch nicht gerade geeignet, mein (zugegebenermassen Vor-) Urteil zu ändern: die haben nur das, was die Eltern/Grosseltern (vielleicht mühsam) erschaffen haben, kassiert und „nun gut damit“! Pfui Deibel!

Aber Tom: hat der Verstorbene wirklich die Kinder geboren?
„Herr Klarenz hat .. zwei Kinder in die Welt gesetzt ..“ 😉

14 Jahre zuvor

Es ist schwer, mit Demenzkranken zusammenzuleben und auf sie einzugehen. Und nicht jeder kann das. Da sind die Leute unterschiedlich gestrickt.

Hinzu kommt, dass ein „einhalten“ und „reflektieren“ doch heute einfach nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert ist. Alles ist hektisch, man ist planlos mit irgendwas beschäftigt um sich nicht mit sich selbst, seiner Situation oder eben der demenzkranken Oma beschäftigen zu müssen.

Wenig Verständnis hab ich aber für die „Entsorgung“ des Opas. Wenn da nicht noch massives vorgefallen ist wie Misshandlung oder ähnliches, tut man sowas einfach nicht.

hajo
14 Jahre zuvor

sorry, so ganz anonym wollte ich mit dem Kommentar 17 nicht bleiben

14 Jahre zuvor

@hajo: In die Welt setzen heißt doch nicht gebären.
Also für mich zumindest nicht.

Agy
14 Jahre zuvor

@8 Jürgen:
ich verstehe dich nicht, wieso du das eine nachvollziehen kannst, das andere nicht. Ich sehe es umgekehrt, so lange der Mensch noch lebt und fühlt (ja, auch Demenzkranke fühlen, sind einsam oder freudig etc.) muss man sich mit ihnen beschäftigen, sie besuchen und Zeit mit ihnen verbringen. Ob sie später „verscharrt“ werden, ist ja eher egal. Das kriegt der Mensch nicht mehr mit.

Gerade weil ein Mensch, den man geliebt hat und der einen geliebt hat, krank ist, muss man versuchen, ihn bei dieser Krankheit zu begleiten. Dieses Abschieben und vergessen finde ich unmenschlich. Es muss sich keiner aufopfern und die Kranken bis zum Schluss zu hause pflegen, aber sich um den Menschen einfach kümmern. Demenzkranke brauchen menschliche Nähe, sie spüren das sehr wohl. Und dieses Abwenden kriegen sie, wenn die Krankheit noch nicht im Endstaduim ist, sehr wohl mit und verzweifeln sehr daran.

Gutmensch 1000
14 Jahre zuvor

Ist das genannte Verhalten nicht doch nur konsequent? Man hat diesen Menschen aus $Gründen in ein Heim gegeben. Dann hat man ihn schließlich aus $AndereGründen nicht mehr besucht. Dieses Verhalten scheint ja, wenn es nicht sogar normal ist, zumindest von vielen toleriert zu werden. Und wenn dann dieser Mensch tot ist, dann sollen alle, welche sich zu seinen Lebzeiten von ihm ferngehalten haben, so tun, als ob sie um ihn trauern? Für wen? Für den Toten? Oder doch „nur“ für die Umgebung? Ich komme aus einem kleinen Dorf. Meine Mutter ist gestorben als ich noch recht jung war. Ich fand schon damals, daß der Friedhof nicht der Ort ist, wo ich meine Mutter finden kann. Ich trage sie noch immer im Herzen. Trotzdem war es unumgänglich, sich ab und an auf dem Friedhof sehen zu lassen, damit ein gepflegtes Grab meine/unsere Achtung und Liebe dokumentieren konnte. Ich bin nach wie vor der felsenfesten Überzeugung, daß es meiner Mutter mehr bedeutet hat, daß mein Vater bis zuletzt ihre Hand hielt, als die frischen Blumen auf dem… Weiterlesen »

14 Jahre zuvor

Du hast meine volle Zustimmung, Gutmensch 1000!
Alle, welche sich zu meinen Lebzeiten von mir ferngehalten haben, und dann so tun, als ob sie um mich trauern, werde ich in ihren Alpträumen besuchen, sofern ich das irgendwie hinkriegen sollte, versprochen! 😛

P
14 Jahre zuvor

Mal abgesehen von der aktuellen Problematik: Was bleibt einem denn anders übrig, als Gas zu geben ohne Ende, am Besten noch zu betrügen und zu täuschen – um schließlich einige Euro für einen halbwegs anständigen Lebensabend zu haben? Viele Banker, Politiker etc kippen sich unrechtmäßig erworbenes Geld in Ihren Keller, kassieren Millionen (!) für das Herunterwirtschaften von Firmen und ganzen Ländern und scheren sich einen Dreck um andere. Wenn ich in dieser Welt auf Gutmensch mache, falle ich leider hintenrunter und kann dann sehen, wie ich zurecht komme.

Nö, nicht mit mir, ich habe mich einmal verarschen lassen und ein zweites Mal verarschen lassen, jetzt bin ich dran und der Rest darf sich sonstwo tummeln. Da kann ich den Schwiegersohn fast schon verstehen.

ingo
14 Jahre zuvor

@3: Zusammenhalt in der Großfamilie? Ziemlich rosarot gefärbte Verniedlichung der „guten alten Zeit“. Es soll doch keiner denken dass man früher den halben Tag gemeinsam singend und lachend um den Tisch gesessen hätte, wenn es hart auf hart kam zählte als erstes immer nur das Überleben der „nützlichen“ Familienmitglieder. Und wenn er bettlägerig wurde ist der Altbauer im Auszugshaus halt ganz fix an Entkräftung oder Fieber gestorben, und schon hatte sich das Problem mit dem unnützen Esser erledigt um den sich spätestens in der Erntezeit eh keiner hätte kümmern können. Dass wir uns heute den Luxus leisten jeden so lange zu pflegen wie es irgendwie geht ist doch ein Phänomen dass es so zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt, da hinken Vergleiche mit der Vergangenheit. Zum Thema Demenz: wer es nicht selbst miterleben musste hat keine Ahnung wie unglaublich zermürbend die regelmässigen Besuche im Heim sind, bei denen aller 2 Minuten die gleichen Gesprächsthemen wieder neu beginnen, Jahr für Jahr, ohne eine Chance irgendwelche neuen Informationen vermitteln zu können. Da hilft auch… Weiterlesen »

forgottenflower
14 Jahre zuvor

zum thema „heim und abschieben“:

der vater meiner tante ist zwar nicht dement, aber pflegebedürftig. sie hat nen vollzeitjob, muss sich um drei kinder und zwei haushalte (ihren und den von ihrem vater) kümmern. ihre schwester wohnt nah genug, um sich dauernd einzumischen und weit genug weg, um den papa nicht ins bett/aufs klo/… bringen zu können.
wenn der vater ins heim kommen würde, wäre es eine entlastung für ihre ganze familie. nicht, weil sie den opa loshaben wollen, sondern weil der tag meiner tante auch nur 24 stunden hat. und in der situation könnte ich mir auch vorstellen, dass die erleichterung, falls er stirbt, größer ist als die trauer. mal kurz drüber nachdenken, bevor man „lieblos“ und „abgeschoben“ schreit.

14 Jahre zuvor

forgottenflower, die Erleichterung wechselt sich mit der Trauer ab wenn ihr Vater stirbt, auch wenn sie jetzt ihrem Vater zuliebe ihr eigenes Leben aufgegeben hat.
Das verdient eine Menge Respekt und die Wenigsten haben von dieser Leistung eine realistische Vorstellung.

Jürgen
14 Jahre zuvor

@Agy
Ich „irgendwie (!) noch nachvollziehen“ (ein kleines Wort, das das der Aussage einen anderen Sinn gibt) denn ich bin ich davon ausgegangen die Besuche wurden eingestellt als die Demenz bei Herr Klarenz sehr weit fortgeschritten war. Das ist oft so, denn es nicht leicht damit umzugehen wenn der Kranke sich nicht mehr äußert, einen wohl nicht mehr erkennt, und nicht mehr die Person ist die man mal kannte.
Ich bin Deiner Meinung dass Besuche wichtig sind, und vielleicht dringt man ja auch bei sehr fortgeschrittener Demenz ein wenig zum Kranken durch, aber leider kann das nicht jeder. Menschen die ihren Partner sehr lange gepflegt haben, können oft wenn der Kranke in ein Pflegeheim gekommen nicht mehr, und brauchen einen Abstand.

immer noch Dicker Lechthaler
14 Jahre zuvor

Wenn man , wie ich , sieht das sich die eigene Mutter für ihre Mutter (=meine Oma) nervlich und gesundheitlich aufgibt (wegen Demenz, Lähmungen nach Schlaganfall der Oma) hat man zum Thema seine eigene Meinung. Opa ist Anfang des Jahres verstorben, Oma liegt im Pflegeheim. Werft den Stein, aber dort sind Pflegeprofis am Werk. Jetzt muß ich meiner Mutter noch ihre Selbstvorwürfe („Ich kann nicht mehr, aber was soll ich machen? Weiß man ob es so richtig ist?…“) austreiben. Keiner von unserer Familie kann „es“ machen, 24-Std.-Pflege leisten, das geht zeitlich und räumlich bedingt nicht…
Man trägt die Liebe und Erinnerungen im Herzen, auch im Kopf.
Aber wir sollten realistisch bleiben.
Lechthaler, etwas angefressen vom Thema.

MacKaber
14 Jahre zuvor

Mein Schwiegervater besuchte einmal seine Schwägerin im Pflegeheim. Sie klagte verbittert, dass niemand sie besuchen komme. Mein Schwiegervater antwortete ihr ehrlich:
„Das ist ja auch kein Wunder, Du hast Dich ja Dein Lebtag lang selbst von Allen ferngehalten und nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Nur geschimpft hast Du auf jeden.“

Manuela
14 Jahre zuvor

Wer kann schon als Außenstehender beurteilen, was wirklich in einer Familie vorgegangen ist? Vielleicht sind die Kinder wirklich hartherzig und geldgierig, vielleicht war auch alles ganz anders. Auch Fotos können lügen.

Agy
14 Jahre zuvor

Ich gebe euch recht, wie ich auch schon geschrieben habe, dass sich keiner aufopfern muss und die Kranken zu hause pflegt. Zwar ist es gut, wenn die Kranken, solange sie es noch mitbekommen, in der gewohnten Umgebung leben, aber ich bin ja nicht blöd, natürlich geht es nicht immer und man kann ja nicht seinen Beruf aufgeben um später selbst in die Röhre zu gucken. Natürlich werden demente Menschen in einem guten Heim gut gepflegt. Mit „nicht kümmern“ meinte ich das vergessen, also abschieben, weggehen und nicht mehr wieder kommen.

Wer sich mit der Krankheit beschäftigt hat, weiß, dass zwar der Mensch, den man gekannt hat, nicht mehr da ist, aber es ist noch ein Mensch da, der sich über ein freundliches Wort, eine Berührung und Zuneigung freut. Natürlich ist es schwer für den Gesunden mit anzusehen, wie die geliebte Person über Jahre hinweg langsam stirbt, an manchen Tagen fast unerträglich, trotzdem bin ich der Meinung, dass Familie verpflichtet, gerade dann, wenn das Verhältnis vorher gut war. Und mein Vater war immer ein Superpapa.

subscribed
14 Jahre zuvor

Beim lesen der Kommentare musste ich mich doch teilweise sehr wundern, dass einige sofort das Wörtchen „kümmern“ mit „aufopfern“ gleichsetzen.

Aber Agy hat mir mit dem Kommentar #32 aus der Seele gesprochen.
Keiner verlangt, dass jeder Angehörige bis zum Schluss zu Hause gepflegt wird und sich alle Familienangehörigen aufopfern. Es sagt auch keiner, dass die Begleitung von dementen Menschen ein Spaziergang ist, aber ist es denn wirklich zuviel verlangt, diese Menschen einmal im monat oder einmal im Quartal zu besuchen???

Ich finde nicht und wenn nicht andere Umstände noch mitgewirkt haben, wie diverse Streitgründe, dann kann ich es nicht nachvollziehen, dass Menschen ihren letzten Weg alleine gehen müssen.

Pu der Zucker
14 Jahre zuvor

@ 32 (Agy) und 33 (subscribed): Genau so sehe ich das auch. @ 29 (Dicker Lechthaler): Du tust gut daran, deiner Mutter diese Zweifel zu nehmen. Es ist fast unmöglich, eine demente Person „allein“ zu pflegen. Denn am Anfang steht oft nicht die Bettlägerigkeit. Das, was davor abgeht, kann für Pflegende tatsächlich mörderisch sein. Die Leute haben oft einen unglaublichen Bewegungsdrang, gehen „nur ein Stückle spazieren“, finden nicht mehr heim, müssen gesucht werden. Hinter meiner Oma war einmal mitten im Winter bei Minusgraden und Schnee eine Armada von Polizeiwagen her – sie hatte sich in einem unbeobachteten Moment mit Sommermantel und -schuhen auf den Weg gemacht! Und wenn man das dritte Mal in der Nacht zu Tode erschrocken aus dem Schlaf fährt, weil Oma im weißen Nachthemd und mit aufgelöstem Haar im Zimmer herumgeistert – es ist irgendwann nicht mehr witzig. Und die Pflegenden sind halt voll verantwortlich, für alles was passiert. Es ist zu viel verlangt, so etwas auf Dauer auszuhalten. Außerdem kommen oft noch alte Animositäten dazu – da soll die Schwiegertochter ihre… Weiterlesen »

Florian
14 Jahre zuvor

Danke Tom – wieder mal – für diesen schönen kurzen Text und die damit aufgezeigte Anteilnahme!!

Der Vater der Ex-Freundin meines Vaters ist seit einigen Monaten dement und aus ihren Mails lese ich auch große Verzweiflung und Traurigkeit. Mehr als „gut zureden“ und Verständnis äußern kann ich leider Uch nicht, da unsere Entfernung zu groß ist – wie auch ihrer zu ohrem Vater 🙁

Herbstkind
14 Jahre zuvor

Ohne die Geschichte zu kennen ist es müßig darüber zu spekulieren, wer das „Monster“ ist. Mir fallen genügend Gründe ein, die ein solches Handeln verständlich machen.

eulchen
14 Jahre zuvor

Meine Omi war Demenzkrank und ist im Früherjahr 2009 mit 95 eingeschlummert. Im Herbst 2008 habe ich Sie seit über 10 Jahren wieder sehen können. Sie hat mich sofort erkannt und in die Arme genommen!!! Keiner hätte gedacht das sie mich sofort erkennt.

Das hier und heute war jedoch nicht möglich. Wir haben uns lange über früher unterhalten und da man merkte nichts von der Erkrankung. Ich war sehr froh das es mir noch einmal möglich war meine Omi sehen zu können. Geblieben sind mir leider nur ein paar Fotos und ein wunderschöne Erinnerung an die alte Dame und die letzten Stunden, als ich sie im Altersheim besuchen durfte.

Die Oma von meinem Freund wird dieses Jahr 102 Jahre alt. Den 100. Burzeltag haben wir groß mit Ihr zusammen im Altersheim gefeiert. Das war Klasse, trotz einer leichten Demenz.

Thomas
14 Jahre zuvor

Als ich meine demente Stiefoma kurz vor Ihrem Tod im Altenheim besuchte, machte sie eine halbe Stunde lang einen total verwirrten und abwesenden Eindruck, erzählte von früher, fragte alle halbe Minute, wer ich sei und so fort. Plötzlich aber, mitten aus dem Gespräch heraus machte sie eine ihrer herrlich treffenden, ironischen Bemerkungen, die wir früher so an ihr geliebt haben – da war sie für Sekundenbruchteile wieder ganz die Alte und lächelte uns schelmisch an. Niemand weiß, was Demente noch mitbekommen …

Engywuck
14 Jahre zuvor

ich kenne das indirekt selber: meine Mutter hat viele Jahre hinweg jeden Tag ihre Tante im Altersheim (wenige Querstraßen weiter) für einige Stunden besucht. Das ging aber nur, weil es so nah dabei war, wir Kinder aus dem Haus waren und sie nicht arbeiten musste. Ich habe bemerkt, wie weh es ihr tat, wenn sie, die wirklich jeden einzelnen Tag kam, die letzten Jahre ignoriert, mit einem „was willst hier“ oder „wer bist du“ abgespeist oder für jemand seit dreißig Jahren verstorbenen gehalten wurde bzw. nach Sachen aus der Kindheit meiner Großtante gefragt wurde. Am Schluss war es eher eine Mischung aus Gewohnheit und Pflicht („sie hat sich auch immer um mich gekümmert“), aber nicht mehr Freude, die sie jeden Tag da hin brachte. Im eigenen Haus hätte sie ihre Tante niemals versorgen können. Zu Beerdigungen: ich glaube langsam, dass es drei Hauptgründe gibt, warum jemand zu ner Beerdigung geht: – es wird in der Gemeinschaft (Dorf, Familie) so erwartet – man erinnert sich verschämt daran, schn Jahre die Person nicht mehr besucht zu haben… Weiterlesen »

14 Jahre zuvor

Jetzt muss ich an die alte Omi aus der Nachbarschaft denken, die sie vor kurzem weggeholt haben 🙁

Die hat mich immer regelrecht gezwungen, mal rüber zu kommen und mit ihr Fotoalben durchzugucken und ihr zu sagen, was ich da so alles sehe. Die Omi (ich hab sie irgendwann auch nur noch Omi Peter genannt) hat sich immer so gefreut, wenn ich da war, bis der häusliche Pflegedienst kam und mich regelrecht aus der Wohnung gescheucht hat, damit die ihr Programm fahren konnten.

Irgendwann war die Omi nicht mehr da, und der Pflegedienst kam auch nicht, auf Nachfrage erfuhr ich nur, dass man sie in einem Heim untergebracht hat, in welchem wollte man mir nicht sagen.

Omi Peter wird es auch mal so gehen. Und das macht mich sehr traurig.

Aber alte, kranke Menschen sind eben nur noch lästig…

Chisa
14 Jahre zuvor

Am 01.04. ist meine Oma mit 85 von uns gegangen. Sie war auch Demenz krank und bereits 3 Jahre im Heim. Ihre beiden Söhne haben sie abwechselnd jeden Tag besucht. (Als den einen Tag der eine, am nächsten Tag der andere.) Man kann also nicht sagen, dass sie abgeschoben wurde. Und billiger war die Lösung für die Familie auch auf keinen Fall. Jemand, der das behauptet weiß wohl nicht wie teuer eine Heimbetreuung heutzutage sein kann. In der Familie wurde sich die Entscheidung auch nicht leicht gemacht. Aber nachdem was befreundete Familien mit ihren dementen Eltern durchgemacht hatten, wurde dann die Entscheidung für das Heim getroffen. (Ich war am Anfang auch dagegen, aber nachdem ich gesehen habe, dass es ihr dort gut ging und sie sogar nochmal sowas wie eine Partnerschaft eingegangen ist, denke ich, dass es eine gute Entscheidung war.) Ich habe sie wann immer ich wieder in der Heimat weilte, auch besucht. Mich erkannte sie auch bis zuletzt. (Obwohl. Einmal hat sich mich wohl mit ihrer im Mutterleib gestorbenen Tochter verwechselt, von der… Weiterlesen »




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