In Zentralasien ist es unter anderem üblich, die Verstorbenen den Geiern zum Fraß vorzuwerfen. Das klingt für uns nahezu brutal, makaber und wir können uns das kaum vorstellen. Trotzdem handelt es sich um eine sehr pietät- und würdevolle Bestattungsart. Ich habe die wichtigsten Informationen für Dich recherchiert.
Die Himmelsbestattung – Eine einzigartige Form der Luftbestattung
Die Himmelsbestattung (auch Luftbestattung, Vogelbestattung oder Geierbestattung) ist eine faszinierende und traditionsreiche Bestattungsform, die vor allem in verschiedenen Ländern Zentralasiens praktiziert wird. Sie gehört zu den sogenannten Luftbestattungen, bei denen der Leichnam nicht im Boden vergraben oder verbrannt, sondern unter freiem Himmel den Geiern dargeboten wird.

Symbolbild
Ursprünglich aus praktischen Notwendigkeiten entstanden – der harte Steppenboden erschwerte Erdbestattungen und das Fehlen von Brennmaterial machte Feuerbestattungen schwierig – entwickelten sich über die Jahrhunderte tief verwurzelte religiöse und ethische Begründungen für diese Praxis.
Himmelsbestattung in Tibet
Besonders bekannt ist die Himmelsbestattung in Tibet, wo sie neben Feuer- und Erdbestattungen eine gängige Form des Abschieds ist. Die tibetische Bezeichnung dieser Bestattungsform lautet Jhator (བྱ་གཏོར་), was wörtlich „Vogel-verstreut“ bedeutet. Dabei wird der Leichnam bewusst den Geiern überlassen, die ihn in den Himmel tragen – nach tibetischem Glauben ein wichtiger Schritt im Zyklus von Tod und Wiedergeburt.
Nach der buddhistischen Lehre der Seelenwanderung soll der Verstorbene keine Spuren in der irdischen Welt hinterlassen.
Nach dem Ableben verbleibt der Körper des Verstorbenen für mehrere Tage – üblicherweise drei bis fünf – in seinem Haus. In dieser Zeit wird er symbolisch weiterhin mit Speisen versorgt, ein Zeichen der tiefen Verbundenheit zwischen den Lebenden und den Toten. Zugleich liest ein Lama aus dem Tibetischen Buch der Toten vor, einem spirituellen Text, der den Übergang der Seele ins Jenseits begleitet. Die Rezitationen sollen der Seele helfen, sich vom physischen Körper zu lösen und den Übergang ins Bardo, den Zwischenzustand zwischen Tod und Wiedergeburt, anzutreten.
Die eigentliche Bestattung findet bei Sonnenaufgang statt. Vor der ersten Morgendämmerung wird der Leichnam nach einem letzten Gebet des Lamas auf eine speziell dafür vorgesehene Bestattungsstätte gebracht. Diese Orte befinden sich meist auf abgelegenen Hochplateaus oder Bergen. Der Ort ist mit Gebetsfahnen geschmückt und es wird Weihrauch verbrannt, um die Luft zu reinigen, entstehende Gerüche zu überdecken und die Geier anzulocken.
Gebetsfahnen in Tibet
Dort übernehmen die Ragyapas, die tibetischen Bestatter, die nächste Phase des Rituals (Ragyapas bedeutet soviel wie Körperbrecher). Sie zerlegen den Körper fachgerecht mit Messern und bereiten ihn so vor, dass er für die Geier, die bereits durch die Vorbereitungen angelockt wurden, leicht verzehrbar ist. Nach tibetischem Glauben spielen die Geier eine zentrale Rolle in diesem Übergang, denn indem sie den Körper aufnehmen und in die Lüfte tragen, helfen sie der Seele, ihren Weg aus der physischen Welt ins Jenseits zu finden.
Was noch übrig ist, wird vom Zeremonienmeister mit einem Hammer weiter zerkleinert und zertrümmert. Er mischt das alles anschließend mit Gerstenmehl und Buttertee und bietet es den Vögeln zum Verzehr an.
Diese Bestattungsart ist für den Buddhismus ansonsten unüblich. Wie erwähnt, ist sie lokal entstanden, weil es dort einen Mangel an Brennholz, sowie die im Winter gefrorenen Boden gibt. In Tibet wird diese Form, neben Feuer- und Erdbestattungen, heute noch regelmäßig durchgeführt. Dennoch wurde die Himmelsbestattung in den regionalen Buddhismus eingebracht. So finden Himmelsbestattungen im „Tal des Buddha“ statt, in der Nähe des Kailash, dem Sitz der Götter. Die Familie des Verstorbenen nimmt für gewöhnlich nicht an der Himmelsbestattung teil. Sie bleibt zu Hause und begleitet die Abläufe mit Gebeten.
„Tal des Buddha“ statt, in der Nähe des Kailash, dem Sitz der Götter
Schutz vor Neugierigen und Sensationshungrigen
Es gibt seitens der Regierung ein Fotografie- und Tourismusverbot bei Himmelsbestattungen. Das dient dem Schutz der Tradition und der kulturellen Integrität.
In der Vergangenheit besuchten Touristen verschiedene tibetische Himmelsbestattungsstätten und dokumentierten die Zeremonien mit Kameras und Videorekordern. Viele von ihnen taten dies aus Neugier oder kulturellem Interesse, ohne sich der tiefen spirituellen Bedeutung dieser Bestattungsriten bewusst zu sein. Infolgedessen gelangten Bild- und Videomaterial dieser Rituale in die Öffentlichkeit – häufig ohne den nötigen Respekt oder ein angemessenes Verständnis für die Tradition.
Besonders problematisch war die Art und Weise, wie diese Inhalte konsumiert wurden. Menschen außerhalb Tibets betrachteten die Aufnahmen oft mit Unverständnis oder Ablehnung, einige machten sogar respektlose oder abfällige Bemerkungen über die Zeremonie. Diese Reaktionen führten zu Missverständnissen und trugen dazu bei, die tibetische Kultur in den Augen der Außenstehenden zu verzerren.
Um die religiöse und kulturelle Würde dieser jahrhundertealten Praxis zu schützen, beschloss die Regierung, alle Himmelsbestattungsstätten für Besucher zu sperren und den Zugang strikt zu reglementieren. Seit dem Jahr 2005 sind daher strenge Regelungen in Kraft, die es Einzelpersonen und Organisationen untersagen, auf jegliche Weise in die Durchführung dieser Zeremonien einzugreifen oder sie für fremde Zwecke zu nutzen.
Die geltenden Vorschriften umfassen unter anderem folgende Verbote:
- Beobachtung der Bestattungszeremonien – Es ist nicht mehr erlaubt, Himmelsbestattungen als Zuschauer zu besuchen, unabhängig davon, ob es sich um Einheimische oder ausländische Besucher handelt.
- Fotografie und Filmaufnahmen – Das Fotografieren, Filmen oder anderweitige Aufzeichnen dieser Zeremonien ist strengstens untersagt.
- Drohnenverbot – Es ist untersagt an den Bestattungsplätzen Drohnen aufsteigen zu lassen, unabhängig davon, ob gerade Bestattungszeremonien stattfinden oder nicht.
- Mediale Verbreitung – Es ist verboten, jegliche Inhalte über Himmelsbestattungen in Form von Fotos, Videos, Berichten oder sonstigen Texten in Zeitungen, Büchern, Magazinen oder über Radio, Fernsehen und Online-Medien zu veröffentlichen.
- Kommerzialisierung der Bestattungsstätten – Die Nutzung von Himmelsbestattungsplätzen als touristische Attraktionen ist nicht gestattet. Es dürfen keine Führungen angeboten oder Besuche organisiert werden.
Ziel der Maßnahmen: Schutz der kulturellen Integrität
Diese strengen Maßnahmen haben das Ziel, die kulturelle Integrität der tibetischen Bestattungstradition zu bewahren und sicherzustellen, dass sie nicht durch Sensationslust oder Missverständnisse entstellt wird. Die Regierung möchte durch diese Vorschriften den religiösen Respekt wahren, die Privatsphäre der Hinterbliebenen schützen und verhindern, dass diese spirituelle Praxis zu einer touristischen Attraktion degradiert wird.
Durch das Verbot soll sichergestellt werden, dass Himmelsbestattungen weiterhin im Einklang mit den religiösen Prinzipien Tibets durchgeführt werden und nicht durch die Einmischung Außenstehender verfälscht oder entweiht werden. Die Maßnahmen unterstreichen die Bedeutung dieser Bestattungsform für die tibetische Kultur und den Respekt, den sie verdient.
Diese Verbotsmaßnahmen kamen gerade noch rechtzeitig. Es ist kaum auszudenken, wie mit den Bestattungstraditionen im Netz umgegangen würde, wären sie für die sensationshungrigen Kinder und Jugendlichen auf TikTok, YouTube und Instagram zu betrachten. Es gibt schon viel zu viele Berichte im Netz darüber.
Die Besonderheiten der Bestattungsbräuche in Tibet
Drei Hauptmerkmale:
- Einfluss der natürlichen Gegebenheiten auf die Bestattungsarten
Die geografischen Bedingungen Tibets spielen eine entscheidende Rolle bei der Wahl der Bestattungsform. In Regionen, in denen es kaum Wälder gibt, dominiert die Himmelsbestattung, während Feuerbestattungen dort nur selten vorkommen. In den bewaldeten Gebieten Südosttibets hingegen ist die Feuerbestattung die vorherrschende Praxis. Für die Menschen, die in tief gelegenen Tälern oder in der Nähe reißender Flüsse leben, hat die Wasserbestattung eine ebenso hohe Bedeutung wie die Himmelsbestattung. - Der Einfluss des Buddhismus auf die tibetischen Bestattungsrituale
Seit der Einführung des Buddhismus in Tibet haben sich die Zeremonien und Rituale im Zusammenhang mit Begräbnissen erheblich verändert. Die buddhistische Lehre von der Seelenwanderung besagt, dass ein Verstorbener keine Spuren in der Welt hinterlassen sollte, die auf eine Sehnsucht nach dem irdischen Leben hindeuten. Deshalb wird der Körper des Verstorbenen in der Regel zerteilt und an Geier oder Fische verfüttert oder durch Feuer verbrannt, um den Kreislauf der Wiedergeburt zu ermöglichen.
Mit der Zeit verdrängten die Himmels- und Wasserbestattung die traditionelle Erdbestattung. Für hoch angesehene Mönche, die als erleuchtet gelten und bereits die Reinkarnation erreicht haben, entfällt der Prozess der Seelenwanderung. Deshalb werden sie in einem Stupa beigesetzt – eine Form der Bestattung, die ausschließlich für den Dalai Lama, den Panchen Erdeni und andere große lebende Buddhas vorgesehen ist.
Die Entwicklung des tibetischen Bestattungssystems lässt sich in zwei Phasen unterteilen, wobei die spätere Phase vollständig vom Buddhismus geprägt ist. - Vielfalt der Bestattungsformen in Tibet
Tibet weist eine außergewöhnlich große Bandbreite an Bestattungsarten auf. Neben der Himmels-, Erd-, Wasser-, Feuer- und Stupabestattung gibt es auch die Felsenhöhlen-, Baum- und Steinsargbestattung. Damit sind nahezu alle weltweit bekannten Begräbnisformen in Tibet vertreten.
Welche Bestattungsart für eine verstorbene Person gewählt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: dem sozialen Status des Verstorbenen, der jeweiligen Region, den geografischen Gegebenheiten sowie den kulturellen Traditionen der jeweiligen Gegend.
Himmelsbestattung in der Mongolei
In der Mongolei und bei den benachbarten Steppenvölkern war die Himmelsbestattung bis ins 20. Jahrhundert weit verbreitet, bevor sie durch den Sozialismus zurückgedrängt wurde. Es handelt sich dabei um einen schamanistischen Brauch, mit einer jahrhundertealten Tradition schon vor der Einführung des Buddhismus. Beim Transport durfte der Leichnam nicht durch die Türe der Jurte getragen werden, da die Schwelle ein Hindernis für seinen Geist darstellte. Stattdessen wurde neben der Türe das Scherengitter der Wand geöffnet, um einen Durchlass zu schaffen. Die mongolische Variante unterscheidet sich von der tibetischen, da der Leichnam nicht zerteilt, sondern unversehrt in der Steppe abgelegt wurde. Die Art und Weise, wie der Körper von Wildtieren und Vögeln verzehrt wurde, galt als Zeichen für das moralische Leben des Verstorbenen.
In der Zeit des Sozialismus wurde dieser Brauch bekämpft, zugunsten der Erdbestattung im europäischen Stil. Diese hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts als die übliche Bestattungsform weitgehend durchgesetzt.
Turm des Schweigens
Die „Türme des Schweigens“ im Zoroastrismus
Die Himmelsbestattung fand sich auch in Persien und Indien, insbesondere bei den Anhängern des Zoroastrismus. Im Zoroastrismus wurde die Himmelsbestattung beispielsweise noch von Parsen in Bombay praktiziert. Hier wurden die Verstorbenen in sogenannten „Türmen des Schweigens“ (Dakhmahs, Dachmas) abgelegt – kreisförmige, zum Himmel offene Türme, auf deren Plattformen die Toten den Geiern überlassen wurden.
Himmelsbestattungen bei indigenen Völkern Nordamerikas
Auch verschiedene indigene Stämme Nordamerikas praktizierten Formen der Himmelsbestattung. Die Sioux und andere Stämme der Great Plains legten ihre Verstorbenen auf erhöhte Plattformen oder in Bestattungsbäume. Diese Methode diente sowohl spirituellen als auch praktischen Zwecken.
Historische Belege für Himmelsbestattungen
Archäologische Funde belegen, dass die Praxis der Himmelsbestattung bereits in der Vorgeschichte verbreitet war. In der neolithischen Siedlung Çatalhöyük (Türkei, ca. 7500 v. Chr.) zeigen Wandmalereien kopflose Leichname und Geier, was als Beleg für rituelle Luftbestattungen gewertet wird.
Betrachtung
Die Himmelsbestattung ist eine der ältesten und symbolträchtigsten Bestattungsformen der Menschheit. Während sie heute in vielen Regionen verschwunden ist, wird sie in Tibet weiterhin praktiziert und von einigen indigenen Gruppen in veränderter Form beibehalten. Ihre tiefe spirituelle Bedeutung und die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur machen sie zu einer faszinierenden Alternative zu den in westlichen Kulturen üblichen Bestattungsformen.
Quellen
- Buffetrille, K. (2007). Death Rituals in Tibetan Buddhism: Sky Burial and Related Practices. Oxford University Press.
- Tabucchi, A. (1984). Indisches Nachtstück. Suhrkamp Verlag.
- Smith, H. (2010). Zoroastrianism: A Guide to an Ancient Faith. University of California Press.
- Fagan, B. (2019). The First North Americans: Archaeological Perspectives. Thames & Hudson.
- Smithsonian Institution (2022). Native American Funeral Practices. Washington, D.C.
- Geier als Bestattungshelfer, Weltenwandler
- Bestattungsbräuche in Tibet. China Today.
Episodenliste:
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