Geschichten

Die Mumie -III-

Jürgen Wotz war ein Problem. Heute streitet man sich, ob er ein Problem war oder ein Problem hatte. Nach allem was ich bisher gehört habe, und ich habe schon viel gehört, viel erlebt, bin selbst ein Mann, war Wotz der eifersüchtigste Mann auf dieser Welt. Von Beruf war Wotz Versicherungsmakler und als solcher in unserem Stadtteil bekannt. Sein nettes Gesicht lachte jahrelang aus einem Schaukasten jeden an, der mit dem Auto die Hauptstraße entlangfuhr. Überhaupt war Wotz ein durchaus angenehmer Gesprächspartner und sicherlich kein dummer Mensch.

Das Elend nahm seinen Anfang, als er sich eines Tages in Gundel Krüsemann verguckte und aus den beiden ein Paar wurde. Wotz, ein stiller Typ, der gerne las, alleine auf die Jagd ging und auch gerne stundenlang mit einem Ruderboot auf dem Fluß unterwegs war, geriet mit Gundel an eine Frau, die nichts zu Hause halten konnte, die fort wollte, Discos besuchen wollte und am liebsten unter Menschen war.
Unterschiedlicher konnten zwei Menschen kaum sein.

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Nun ist Wotz ja ein ganzes Stück älter als Gundel gewesen und so führte er die unterschiedlichen Ansichten auf den Altersunterschied zurück und bildete sich ein, er könne seine Frau sozusagen umerziehen und im Laufe der Zeit aus ihr ein Heimchen am Herd machen. Das gelang ihm aber nicht, was schließlich zu dauerndem Verdruß auf beiden Seiten führte und es dauerte nicht einmal die berühmten sieben Jahre, da hatte sich das Ehepaar nichts mehr zu sagen. Man trennte sich kurzerhand und wäre wohl auch getrennt geblieben, hätte Gundel zu dieser Zeit nicht festgestellt daß sie schwanger ist.

Abend für Abend habe Wotz in seinem Opel-Ascona vor ihrer Wohnung gestanden und mit einem Fernglas ihre Fenster beobachtet und soll lange keine Ahnung davon gehabt haben, daß Gundel ein gemeinsames Kind ausbrütete. Als das dann aber nach Monaten nicht mehr zu verbergen war, gab es eine herzzerreißende Romeo- und Julia-Szene mit Kniefall und einem riesengroßen Teddy im Arm.
Gundel, vielleicht von Östrogenen umnebelt, nahm ihren Jürgen wieder auf und der machte sich sogleich daran, ein Kinderzimmer in der Wohnung einzurichten.
Das Kind kam zur Welt und fürs Erste hätte alles in bester Ordnung sein können.

Damit der Salon nicht übermäßig lang geschlossen werden mußte, kümmerte sich im wesentlichen Gundels Mutter um die kleine Tochter von Gundel und Jürgen. So kehrte Gundel bald schon wieder in ihren Friseursalon zurück. Aber ich schrieb ja schon, daß Wotz sehr eifersüchtig war. Vor allem männliche Kunden waren ihm ein Dorn im Auge; kurz gesagt unterstellte er jedem Mann, der den Laden seiner Frau betrat, erotische Absichten und malte sich in seiner Phantasie die abenteuerlichsten Vorgänge aus, die seiner Meinung nach vor allem dann hätten stattfinden können, wenn seine Frau mit einem Kunden im hinteren Teil des Salons verschwand, wo auch Haarentfernungen, Permanent-Make-Up und kosmetische Behandlungen angeboten wurden.

Gundel machte den Fehler, daß sie schon wenige Monate nach der Geburt ihrer Tochter, das vermeintliche Stillhalten ihres Mannes dahingehend fehlinterpretierte, er könne sich eventuell geändert haben. Und genau deshalb nahm sie ihre von früher gewohnten Freizeitaktivitäten wieder auf. Sie meldete sich bei „Viva-la-Lina – Fit for women“ zum wöchentlichen Dohlenhüpfen an, ging ebenfalls einmal wöchentlich mit der damals noch bei ihr angestellten Monika Biedermann „auf Tour“, was nichts anderes hieß, als daß die beiden Frauen sich in den Diskotheken der Region die Seele aus dem Leib tanzten, auch mal heftig einen über den Durst tranken und ebenso heftig mit dem dauernd paarungsbereiten Teil der anwesenden Bürzelträger flirteten.

Die Biedermann schwört Stein und Bein, da sei „nie etwas passiert“ und das Ganze habe mehr dazu gedient, Aggressionen und Frust abzubauen: „Mal richtig abtanzen und feiern, daß war für uns genauso, als wenn Männer in der Muckibude bis zur Besinnungslosigkeit Eisen hochdrücken.“

Natürlich kenne ich nur die eine Seite der Geschichte, nur die Seite, die die Frauen erzählen und ich kann zu keiner Zeit meine Hand dafür ins Feuer halten, daß die Frauen wirklich so „keusch“ waren, wie sie behaupten und ich kann die Geschichte auch nur episodenhaft wiedergeben ohne Gewähr dafür, daß der zeitliche Zusammenhang wirklich stimmt. Gesprochen ließe sich das sowieso besser erzählen, als schriftlich.

Wotz schien stillzuhalten und verbrachte angeblich viel Zeit beim Jagen und Rudern, außerdem kümmerte er sich abends um Tochter Melina. Angeblich verbrachte er viel Zeit damit, dem Kind zu Hause Märchen vorzulesen und es in den Schlaf zu singen. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus: Wotz wartete stets, scheinbar in Ruhe, das Weggehen seiner Frau ab, schnappte sich dann das Kind und fuhr mit seinem Geländewagen seiner Frau hinterher. Märchen hat er seiner Tochter wirklich vorgelesen, aber nur im Schein der Innenbeleuchtung seines Range Rovers und immer ein Auge auf die Tür der jeweiligen Veranstaltungsstätte in der seine Frau sich vergnügte.
Seiner Meinung nach dienten die ganzen Aktivitäten seiner Frau natürlich nur dem Zweck, ihn zu hintergehen, heimlich andere Männer zu treffen und ihm die Hörner aufzusetzen.
Mit dem schlafenden Kind im Wagen raste er dann nach Hause, wenn seine Frau den Heimweg antrat und mußte alles daransetzen, vor ihr zu Hause zu sein, damit dann er und das Kind „schlafend“ im Bett liegen konnten, wenn Gundel eintraf.

Eines Tages wunderte sich Gundel über merkwürdige Knackgeräusche (man glaubt gar nicht, wie wichtig in diesem Wort das ’n‘ ist!, dreimal habe ich mich verschrieben und nichtmal die Rechtschreibkorrektur meckert.) im Telefon und wen fragte die dumme Kuh? Ihren Mann!
Angeblich liege das an alten Leitungen in der Straße, beruhigte er sie und verschwieg, daß er ein über 80 Meter langes Telefonkabel vom Friseursalon bis in die Wohnung quer durch den Garten gelegt hatte, um jederzeit die Gespräche seiner Frau abhören zu können.
Jedes Telefonat das seine Frau führte, hielt er für heimliche Verabredungen mit vermeintlichen Liebhabern, jeder Kunde der den Friseursalon betrat, galt als potentieller Gigolo und wehe ein Mann wagte es, seine Gundel auch nur anzuschauen…
Das Theater, das er jeden Tag veranstaltete, führte schließlich dazu, daß Gundel kaum noch Männer in ihrem Salon bedienen mochte und darüber beklagte sie sich auch bei ihrem Mann. Doch dem fiel gleich eine Lösung ein: „Der Laden ist ja sowieso so groß, da könnte ich locker den hinteren Teil ausräumen und da mein Versicherungsbüro einrichten.“

Gundel soll nur sprachlos da gestanden haben, doch für Wotz war das damit beschlossene Sache und schon eine Woche später vollzog er den Umzug.

So kam es, daß wir den einzigen Versicherungs-Friseur-Salon weit und breit hatten.

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(©si)