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Günther XXXIII

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Die anderen Artikel zu dieser Serie findet man hier

Noch in der gleichen Nacht packte Frau Birnbaumer drei große Reisetaschen, trieb die Mädchen schimpfend und schnaubend an, ebenfalls das Nötigste zusammen zu packen und erst dann weckte sie ihren immer noch friedlich schlafenden Mann.
Der war recht schnell Morpheus Armen entrissen und wehrte sich heftig gegen die Pläne seiner Frau. Zu gerne hätte er die Mädchen noch im Haus behalten, hatte er doch gerade erst bei einer Elektronik-Firma winzige Funkkameras bestellt, die er in die Rauchmelder an der Decke der Zimmer einbauen wollte, um die Mädchen besser beobachten zu können. Doch daraus sollte nun nichts werden, seine Frau hatte beschlossen, mit den Kindern in die Sommerfrische zu fahren.

Im nahe gelegenen Mittelgebirge besaß das Ehepaar Birnbaumer-Nüsselschweif ein Wochenendhaus, das Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, wie so manches andere auch, nach aufopferungsvoller Pflege und Hinwendung von einer alten Dame in der Kirchengemeinde geerbt hatte.

Es wurde gerade hell, als der Wagen der Birnbaumers mit knirschendem Geräusch auf dem Kiesweg vor dem gedrungen wirkenden Haus zum Stehen kam. Obwohl es sich um ein Fertighaus aus den späten 70er Jahren handelte, hatte der Architekt dem Haus die Anmutung einer Waldhütte aus den Alpen gegeben. Weit herabreichendes Dach, beschwert mit dicken Steinen, viel nachgemachtes Holz außen herum und an den mächtig wirkenden, aber sehr schmalen Balkonen.
Allgäu-Kitsch aus Preßspan.

Von der Existenz dieses Hauses wußte in der Stadt kaum jemand etwas. Frau Birnbaumer-Nüsselschweif hatte stets darauf geachtet, es nicht zu erwähnen. Niemand sollte eine Ahnung davon haben, daß sie eventuell doch ein kleines Vermögen zusammengeerbt hatte, das wäre ihrer Lieblingsrolle als aufopfernde Gemeindemutter mit Bundesverdienstkreuz nicht gut bekommen.
„Ich hasse diesen Muff der vergangenen Jahrhunderte“, meckerte ihr Mann, als er die Vorhänge aufriß und zuerst einmal alle Fenster weit aufmachte.
Daraufhin fing er sich einen Tritt in den Hintern ein und Monika und Ute, die mehr verängstigt als ehrfurchtsvoll über die vielen barocken Heiligenfiguren und die über und über mit Gemälden und Pendeluhren behängten Wände gestaunt hatten, mußten leise lachen, als Herr Birnbaumer durch den Tritt seiner Frau beinahe ins Stolpern geraten wäre.

„Das ist kein Muff, das ist antik“, blökte die Dicke und streichelte mit Verzückung in den Augen über das Haupt eines grimmig dreinschauenden fetten Mönches aus dunklem Holz.

„Ihr da, ihr geht nach oben, auf der rechten Seite ist ein Zimmer, da könnt ihr euer Zeug reinpacken“, kommandierte die Dicke und schnippte mit den Fingern.

„Puh, hier stinkt’s nach Mottenpulver“, meldete sich Herr Birnbaumer zu Worte und wedelte hilflos mit einer Zeitung herum, als könne er damit die wirklich muffig riechende Raumluft schneller hinauswedeln.

„Das sind die Teppiche“, sagte Frau Birnbaumer-Nüsselschweif mit gerecktem Kinn und stampfte mit den Füßen auf. Davon war aber nichts zu hören, denn die doppelt und dreifach übereinander liegenden Teppiche, Brücken und Läufer schluckten jedes Geräusch.

In diesem Haus hatte die dicke Gemeindemutter und stets hilfsbereit sich um alle Alten und Kranken kümmernde Selbstlose alles angehäuft, was ihr in den letzten Tagen, die einem Alten kurz vor dem Sterben so bleiben, alles aus Dankbarkeit geschenkt worden war. Darunter befanden sich auch Gegenstände, die eher leicht zu transportieren waren und bei denen das Schenken von den Sterbenden manchmal gar nicht wahrgenommen worden war.
Oftmals hatten auch die Angehörigen nach dem einen oder anderen Möbelstück oder Schmuckstück gefragt, doch stets hatte die Birnbaumer-Nüsselschweif es verstanden, achselzuckend auf die bereits eingesetzte Verwirrtheit der Alten hinzuweisen und die Vermutungen der Hinterbliebenen auf voreiliges Verschenken an dritte Unbekannte zu lenken. Ein paar Mal hatte sie auch Andeutungen in Richtung der oft aus Polen stammenden Pflegekräfte gemacht.

Nachdem die Mädchen nach oben gegangen waren, fing Herr Birnbaumer in ungewohnter Opposition erneut an: „Ich weiß gar nicht, was wir mit dem ganzen Krempel hier sollen.“

„Krempel? Ja sag mal, spinnst Du? Das hier ist ein echter Hoffmann und die Büste da ist von Professor Gleisbritzner aus Königsberg. Der Teppich, auf dem du stehst, ist ein echter Isfahan, allein der dürfte 20.000 wert sein. Du spinnst wohl. Wenn man wie ich, sich sein ganzes Leben für andere aufopfert, sich keine Sekunde Ruhe und Mußte gönnt und sich förmlich aufreibt, um den Armen und Schwachen und vor allem den hilflosen Kinderlein zu helfen, dann hat man eben hinterher wenn man alt ist, keine gute Rente und von was sollen wir leben? Von Deiner jämmerlichen Pension? Das hier…“, und dabei machte sie eine weit ausholende Bewegung mit beiden Armen, sodaß die dicken Fettfalten unter ihren Oberarmen aus ihrem wallenden Kleid hervorschwappten, „…das hier ist unsere Altersversorgung!“

„Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter? Bleiben wir jetzt mit den Mädchen hier untergetaucht oder was hast du vor? Ich meine, bis jetzt lief doch alles gut und wir waren eine schöne Familie, Vater, Mutter und zwei Kinder, so wie du es immer gewollt hast. Aber jetzt? Wo soll das hin führen?“

„Papperlapapp! Sabbel nicht immer so’n dummes Zeug daher! Mir sind die Kinder zugesprochen worden und die bleiben auch bei mir. Ich bin nämlich eine gute Mutter und erst durch die Mädchen ist mein Mutterglück perfekt. Da lasse ich mir doch durch irgendeine inkompetente Sachbearbeiterin beim Jugendamt in einem Anflug von Behördendenken nicht meine Familie kaputt machen. Wir bleiben jetzt erst mal übers Wochenende hier, das kann uns ja niemand verdenken, wenn wir mal den Mädchen etwas frische Waldluft gönnen. Das fördert ihre Gesundheit und treibt die schlechten Triebe aus. Hast du nicht bemerkt, daß die kleinen Muschen sich sogar über Jungens unterhalten haben? Hier in der Abgeschiedenheit werden sie sich besinnen, bei frischer Luft und bei Gebeten.“

„Ich habe da kein gutes Gefühl. In der Schule wird man sie vermissen und eines Tages stehen die vom Jugendamt hier vor der Tür!“

„Ach was! Ich habe mit kaum einem über das Haus hier gesprochen.“

„Mit kaum einem? Also doch mit jemandem! Mit wem denn?“

„Nicht der Rede wert.“

„Mit wem, los sag’s schon!“

„Mit der Gemüsefrau.“

„Nicht der Rede wert! Mit der Gemüsefrau! Das ist ja wohl die Höhe! Da hättest Du es auch in die Zeitung schreiben können.“

„Nee, nee, die sagt nichts. Die tut nur immer so abweisend und hartherzig mir gegenüber, aber in Wirklichkeit spekuliert die auf den heiligen Christopherus.“

„Auf wen?“

„Auf die Figur da drüben. 17. Jahrhundert, feine klösterliche Arbeit, geschätzt auf 8.000 Euro.“

„Und von der hast Du ausgerechnet der Gemüsefrau erzählt?“

„Du weißt doch, daß ihr Mann nebenher mit Trödel und Antiquitäten handelt. Die sind ganz wild auf einige von den Figuren und vor allen auf die Wanduhren. Und wenn wir die Sachen irgendwann mal zu Geld machen wollen, dann brauchen wir auch jemanden, der das Zeug für uns verkauft. Oder willst Du Dich hinsetzen und den ganzen Scheiß fotografieren, beschreiben und bei Ebay verkaufen? Kennst Du dich etwa mit so etwas aus? Weißt Du, was so Sachen wert sind? Nee? Tuste nicht! Und deshalb mußte ich denen das sagen.“

„Wenn das mal kein Fehler war!“

„Halt’s Maul, Du Idiot!“


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Oktober 2013 | Peter Wilhelm 16. Oktober 2013

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4 Kommentare
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nadar
10 Jahre zuvor

Vielen Dank fürs Weiterschreiben der Geschichte!
(Das musste ich vor dem Weiterlesen loswerden. 😉 )

Glückauf
10 Jahre zuvor

DANKE!

10 Jahre zuvor

„Halt’s Maul, du Idiot!“ Was für ne Ehe. Im Übrigen freue ich mich auch über die Fortführung der Günther-Geschichte.

Brummbär
10 Jahre zuvor

Da hast Du so ein tolles Timing und stellst die Geschichten genau in meinem Notdienst ein und ich hätte genügend Zeit zu lesen.
Was mach ich???????????????
Ich schau nicht in den Blog!
Vielen Dank für die Fortsetzungen.




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