Geschichten

Günther -III-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Schon am nächsten Tag begann der ganz große Kahlschlag. Günther hatte sich eine Kettensäge geliehen und sägte sich von der Straße aus zwanzig Meter durchs Gehölz, bis er einen Weg zur Villa Kunterbunt freigelegt hatte.
Jetzt konnte man das Haus auch von der Straße aus sehen und so kam es, daß irgendwem bei der Obrigkeit irgendetwas wieder einfiel und schon zwei Tage später standen die Beamten das erste Mal bei Günther auf dem Grundstück und wollten nur mal wissen, was er denn da mache.

„Ich mache mir hier einen Garten und bringe die Hütte wieder in Ordnung.“

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Ja, das dürfe er doch gar nicht, das sei städtischer Grund und er solle fix mal seinen Krempel einpacken und noch fixer da verschwinden.
Günther präsentierte seinen „Pachtvertrag“ und erntete die üblichen Aussagen kommunaler Wichtigtuer:

„Nee, so geht das nicht.“
„Sie können doch nicht so einfach…“
„Das werden wir jetzt genau prüfen, aber ganz genau!“
„Machen Sie sich auf was gefasst.“
„Wir kommen wieder.“

Klar, Jahrzehnte hatte sich keiner richtig darum gekümmert, jetzt konnte man das Haus wieder sehen und da entstanden Begehrlichkeiten. Wahrscheinlich hatte man bei der Stadtverwaltung gedacht, dieses Grundstück habe man schon sicher, die nutzende Familie sei längst untergegangen, verschollen oder desinteressiert und nun hat da jemand einen aktuellen und auch noch gültigen Pachtvertrag.

Eile war keine geboten, das Gewerbegebiet sollte ja irgendwann mal kommen und es war absehbar, daß es so schnell nicht kommen würde. Jedoch griff die Stadt bei jedem freiwerdenden Grundstück erbarmungslos zu. Sicher ist sicher, was man hat, das hat man.

„Jetzt habe ich es aber und so lange die alte Frau Semmelbrot noch lebt, könnt ihr gar nichts machen“ sagte Günther deshalb eine Woche später zu den amtlichen Herren, die abermals sein sofortiges Verschwinden anordnen wollten.

Zähneknirschend -vor allem weil Günther Recht hatte- zog die Amtsmacht wieder ab. Normalerweise hätte sich die Verwaltung einfach zurücklehnen und abwarten sollen, solche Dinge erledigen sich oft von selbst…
Doch manchmal ist es ja so, daß sich da ein Beamter persönlich angepisst fühlt und dann entbrennt so etwas wie eine Hexenjagd. Und das ist doppelt schlimm, wenn es im Grunde um gar nichts geht.
Günther hatte da Grundstück im letzten halben Jahr auf Vordermann gebracht und war nun dabei, die Villa Kunterbunt zu renovieren.
Seine Kinder tollten auf dem Grundstück herum, bauten sich ein Baumhaus, gruben sich ein Schlammloch zum Suhlen und alle waren glücklich.
„Mein Gott, wir tun doch niemandem was. Hier gibt es niemanden, den wir stören könnten, vorne an der Straße wächst schon wieder alles zu und bald kann man auch nicht mehr aufs Grundstück schauen. Die könnten uns doch einfach in Ruhe lassen.“

Zwei Jahre später stand die Villa Kunterbunt da, wie sie noch nie da gestanden hatte. Das Dach war mit neuer Teerpappe versehen, die Wände außen gestrichen, innen tapeziert und von überall hatten Günther und seine Frau gebrauchtes Mobiliar zusammengetragen, um das gar nicht mal so kleine Haus einzurichten.
Man muß sich die Villa so vorstellen:
Da das Grundstück nicht besonders breit (dafür aber über hundert Meter lang) war, reichte die Villa genau von Grundstücksgrenze zu Grundstücksgrenze. So etwas war nur nach dem Krieg möglich, da hat man immer alle Augen zugedrückt, die Menschen brauchten ein Dach über dem Kopf.
Auf der rechten Seite, der Wetterseite, hatte die Villa gar keine Fenster, links gab es einen langen mit Weinreben überwachsenen Laubengang, der von der vorderen Veranda bis ganz nach hinten führte.

Ursprünglich muß die Villa mal aus zwei Räumen bestanden haben, an die man aber später noch einen und dann nochmals zwei Räume angebaut hatte. So war das Haus dann schließlich genau sieben Meter breit und gut zwanzig Meter lang.
Man darf sich aber nun nicht vorstellen, daß hier eine Luxushütte stand, sondern es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Einfachstbauwerk.
Die dünnen Wände bestanden aus Trümmerziegeln unterschiedlicher Stärke, die niedrigen Decken aus Bohlen und Brettern und was zwischen den Decken und dem niedrigen Dach war, das wußte keiner so genau. Einen richtigen Keller hatte das Haus natürlich auch nicht. Nur unter dem vordersten Raum, der die Küche war, gab es einen Abgang, der in einen kaum telefonzellengroßen „Keller“ führte, in dem eine Pumpe ihren Dienst tat, die das Grundstück aus einem Brunnen mit Wasser versorgte.

„Heizen konnte man nur mit Kohle und Holz und wenn man das nicht gründlich machte, dann wurde alles schnell feucht und es roch immer modrig. Aber so lange wir uns da regelmäßig aufhielten, durchlüfteten und im Winter immer mal wieder heizten, ging es ganz gut. Ich hab ja später hinterm Haus eine große Sickergrube ausgehoben und das Plumpsklo durch ein richtiges Wasserklosett mit Häuschen ersetzt.
Nein, wohnen konnte man da nicht, aber als große Laube und zum Feiern war das Ding einfach super gut“, erzählte Günther später.

Es gab sogar Strom und einen Telefonanschluss auf dem Grundstück, nach dem Krieg hatten ja jahrelang Leute regelrecht dort gelebt.

„Ja nee, so geht das ja gar nicht“, argumentierte der Stadtbeamte. „Sie können doch nicht hinterm Grundstück in eine Grube scheißen und vorne mit einer Pumpe Wasser hochziehen. Da saufen Sie ja nur Bakterienbrühe. Das legen wir jetzt mal ganz schön still, aber sofort!“

„Dabei lag die Sickergrube etwas den Hang runter und das Wasser wurde ja aus über dreißig Metern Tiefe gefördert. Ich habe dann damals Wasserproben gezogen und beim Chemiewerk in der Stadt prüfen lassen. Die haben mir für 80 Mark ein Gutachten gemacht, daß mein Wasser einwandfrei sei und sogar besser sei als das städtische Leitungswasser. Ich habe quasi meine eigene Heilquelle im Keller“, sagte Günther dazu.
Da konnte dann auch die Stadt nichts machen und erließ eine Anordnung, daß das Wasser von nun an jedes Jahr zu prüfen sei und die Sickergrube alle zwei Jahre entleert werden müsse…

Im Laufe der Jahre entwickelten sich der Garten und die Villa zur Hauptfreizeitstätte der ganzen Familie. Jede freie Minuten brachte man dort zu und ich kann mir gut vorstellen, daß insbesondere die Kinder dort ein Paradies hatten.
Man grillte, man feierte, man pflanzte an und bei schlechterem Wetter saß man drinnen in der Küche und abends schlief man in den hinteren Räumen, es war für alle eine Insel im Trubel des Alltags.

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 1. Juni 2012 | Peter Wilhelm 1. Juni 2012

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12 Jahre zuvor

Ja, ja, die Bürokratie. Die versuchen ja immer wieder was zu finden. Aber ich lasse das mit dem Bashing, hat eh keinen Sinn.
Meine Großeltern haben sich 1980 ihren langgehegten Traum erfüllt und ein Haus gebaut. Mit den eigenen Händen, mit der Hilfe von Freunden und KIndern und mit dem was man in der Mangelwirtschaft der DDR so zusammen tragen konnte (natürlich das meiste Bückware…). Angeblich wurden Ziegel sogar selbst gestampft und gebrannt.
Nach heutigem Standard ist das auch nur eine bessere „Datsche“ in einem Garten, aber für mich als kleines Kind war es das Paradies auf Erden.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

12 Jahre zuvor

Die Spannung zerreißt mich förmlich *ungeduldig auf die Fortsetzung warte* 🙂

Roichi
12 Jahre zuvor

Gib einem Menschen ein klein wenig Macht, und er wird sie missbrauchen.

Big Al
12 Jahre zuvor

Weitergelesen.
Wo ist die Leiche?

12 Jahre zuvor

Ich möchte gar nicht, dass es weiter geht – dann kommt nur eine von Toms „Aufregundheulgeschichten“ – könnte es nicht mal ein schönes Happy End mit einer fröhlichen Familie in einem tollen Garten geben? Günther hat gesiegt und alles ist gut? *hoff*

Held in Ausbildung
12 Jahre zuvor

das kommt noch dicke…

Arno Nühm
12 Jahre zuvor

Das endet doch wieder damit, daß Günther bei Tom auf dem Tisch liegt. 🙁

Glückauf
12 Jahre zuvor

Nicht Günther sondern Frau Semmelbrot liegt auf’m Tisch, Jemand ne andere meinung?

Oliver
12 Jahre zuvor

Irgendwie sehe ich in der Sickergrube ein gewisses Gefahrenpotential…

Big Al
12 Jahre zuvor

Ein Beamter fällt in die Sickergrube.
Danach wird der Trinkwasserbrunnen gesperrt…

Arno Nühm
12 Jahre zuvor

Mit Beamten-EHEC ist ja auch nicht zu spaßen.

Abraxa
12 Jahre zuvor

Das ist so klar wie das Abwasser in der Sickergrube (scnr 😉 ) – Frau Semmelbrot segnet das Zeitliche, damit ändert sich die rechtliche Sitution und Günther muss das Haus abgeben..

Big Al
12 Jahre zuvor

Oder Günther ist der uneheliche Sohn des Bürgermeisters…

ubarto
12 Jahre zuvor

so aus fachlicher Expertensicht 😉 möchte ich anmerken dass es schon gut und richtig von der Stadt ist zu überprüfen dass das Wasser trinkbar ist. Man stelle sich vor dass sonst vielleicht wirklich eins von den Kindern ernsthaft krank geworden wäre weil das Wasser z.B. nitratbelastet oder aufgrund einer Altlast vergitet oder bakteriell verunreinigt wäre oder oder oder.
Und eine Auflage zu machen dass die Sickergrube regelmäßig geleert wird ist streng genommen sogar noch kulant, denn in den meisten Kommunen herrscht Anschlusszwang an die Kanalisation (aus Gründen des Umweltschutzes). Wobei ein Anschluss an den Kanal meistens auch nicht die Welt kostet.

wie auch immer, ich bin gespannt ob und wie die Geschichte weitergeht 🙂

whiskey
12 Jahre zuvor

günther hat sich von der semmelbrot adoptieren lassen und erbt das nutzungsrecht des grundstückes *g*

das kann sich die stadt natürlich nicht gefallen lassen und klagt dagegen. wegen der ganzen scherereien bekommt „günni“ nen herzinfarkt und landet somit bei tom auf dem tisch. die erbnutzung geht an seine kinder über. wieder pustekuchen für die stadt *g*

Christians Ex
12 Jahre zuvor

Hier in der Nähe hatten wir etwas *annähernd* Ähnliches: das Firmengelände einer Brauerei und nebendran das Anwesen des Besitzers. Nun stand das Anwesen in einem kleinen Privatpark, und in diesem eine ganze Reihe alter, schützenswerter Bäume.
So wurde dem auf dem Gelände entstehenden „Möbelland“ auferlegt, sich um den Park drumrumzubauen.
Das sieht übrigens durchaus gut aus: das kleine Wäldchen mit seinen riesigen alten Bäumen auf welligen Grund, mehr oder weniger eingefasst von einem planen Parkplatz.
Außer den alten Bäumen wächst da aber praktisch sonst nichts. Ich denk mal, man wird nach Kräften verhindern, dass da die neue Generation nachwächst und wiederum im Wege steht, wenn die alten mal das Zeitliche gesegnet haben…




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