Geschichten

In der Psychiatrie XI

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Nein, mit Hardy habe sie ja gar nichts. Das sei doch bloß ein häßliches Gerücht, in die Welt gesetzt von böswilligen Leuten, die ihr Schaden zufügen wollen. „Der Hardy kümmert sich nur um mich und steht mir in meiner Trauer bei. Sowas legen die Leute dann ja gerne aus, so wie sie es brauchen. Der Hardy hilft mir bei den ganzen Behördengängen und sonst nichts.“

Susanne ist aufgeregt, sie kann nicht ertragen, daß ich ihr Vorhaltungen mache und ihr deutlich gesagt habe, was ich von der ganzen Sache halte.
Es sei doch sonnenklar, daß sie sich im Laufe der Zeit in Hardy verliebt habe und einen Aussetzer ihres Mannes Martin nun als Aufhänger für eine erfundene, angebliche, jahrelange Tortur hernehme, um die Sache mit Martin nun in ein ganz anderes Licht zu stellen.

„Ich glaube Dir kein Wort, Susanne, bei aller Sympathie“, sage ich und das Wort Sympathie klingt etwas verzerrt, so schwer kommt es mir mittlerweile über die Lippen. „Schau, ich kenne Martin nun auch nicht seit Ewigkeiten und man kann niemandem hinter die Stirn schauen, alles ist letztlich möglich und man sagt ja auch, daß stille Wasser tief seien. Aber ich habe Martin stets als netten, hilfsbereiten und sehr ruhigen, zurückhaltenden Menschen kennengelernt. Nichts in seiner Erscheinung und seinem Auftreten lassen in irgendeiner Weise den Schluß zu, er könne gewalttätig sein. Ich glaube Dir das nicht.“

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„Das mußt Du mir aber glauben, es war wirklich so, er hat auf Ronja eingetreten, da hat sie schon wimmernd auf dem Boden gelegen. Kannst Du Dir vorstellen, wie man sich da als Mutter fühlt?“

„Wenn Du als Mutter dabei warst, warum hast Du Ronja denn nicht geholfen?“

„Ja, direkt dabei, also jetzt so direkt dabei war ich nicht. Als ich zum Bad kam war ja schon alles vorbei, da hat Ronja draußen vor der Badezimmertür gestanden und geheult und Martin war drin.“

Susanne hatte von sich aus Erklärungsbedarf. Sie könne das doch alles nicht auf sich sitzen lassen, meinte sie und war deshalb eher unter einem Vorwand zu mir gekommen. Wegen der Beisetzung von Martin gibt es nichts mehr zu regeln, das hat alles seine Mutter bestellt und bezahlt. Normalerweise wäre das ja Susannes Pflicht gewesen, denn sie ist die erste Bestattungspflichtige und -berechtigte, doch anfangs hieß es ja noch aus ihrem Munde, sie weine dem Schläger keine Träne nach und mittlerweile klingt das schon kleinlauter: „Ich war ja sowas von fertig, da war ich froh, daß meine Schwiegermutter mir das alles abgenommen hat.“

Klar, einen Kostenbatzen von 2.350 Euro lasse ich mir auch gerne abnehmen.

„Ach wenn ich den Hardy nicht gehabt hätte, der ist mir ja so zur Hand gegangen, nach dieser schweren Zeit tut es gut, jemanden zu haben, der einen versteht und einem etwas Trost zuspricht.“

„Und was sagt Ronja dazu?“

„Wozu?“

„Daß Du jetzt mit Hardy herummachst?“

„Ich MACHE nicht mit dem herum! Der ist mir nur ein Tröster. Und Ronja, na ja, die wird sich einfügen müssen, die hat es nicht so mit dem Hardy.“

„Das hat man auf der Trauerfeier gesehen.“

„Die ist halt jetzt in der Pubertät, da sind die Mädchen sowieso schwierig.“

„Sie hat doch aber eigentlich an Martin sehr gehangen.“

„Sie hat ja sogar gesagt, daß sie zum Martin in die Anstalt ziehen will“, gibt Susanne mit trotzigem Unterton preis, merkt dann aber sofort, daß sie da ein wenig zuviel gesagt hat und will zurückrudern: „Aber das war ja nur in der ersten Verwirrung.“

„Aha, die war also mit dem Ganzen überhaupt nicht einverstanden und hatte sich von Dir und Hardy abgewandt und wäre lieber mit Martin gegangen.“

„Was Du immer mit dem Hardy hast! Der ist doch nur…“

„Ach komm, erzähl mir doch nichts! Pass mal auf, mir ist das doch egal, ob Du Dich von Martin hast trennen wollen und Dich vielleicht einem anderen Mann zugewandt hast. So ist das eben manchmal im Leben, man kann gegen Gefühle nichts machen. Aber mir stößt sauer auf, daß Du nicht einfach einen Schlußstrich gezogen hast und die Sache anständig zu Ende gebracht hast, sondern daß da diese unglaubliche Geschichte um Martin herum aufgebaut wird und der jetzt als böser Bube dasteht…“

„Mach ich doch gar nicht, der hat mich wirklich gehauen…“

„Ja, an dem Abend vielleicht, aber doch nicht seit Jahren, erzähl‘ mir doch nichts!“

„Du glaubst mir nicht, oder?“

„Merkt man das?“

„Ja.“

„Soll auch so sein.“

Sie schnieft in ein Taschentuch und es ist genau das selbe Schniefen, wie es meine Tochter produziert, wenn sie sich bei einer Freveltat mehr über sich selbst als über die sie gleich ereilende Strafe ärgert.
Ich schiebe Susanne die Box mit den Papiertüchern hinüber, sie nimmt sich eins und putzt sich umständlich Tränchen weg, die Brillengläser sauber und auch noch das Näschen.

„Immer hat der mich ja auch nicht geschlagen, nur manchmal…“

„Weißt Du, Susanne, Du erzählst das jedes Mal ein bißchen anders, mal hat er Dich und Ronja ständig verprügelt, dann nur manchmal und die Ronja vielleicht gar nicht und mal erzählt man mir, Du wolltest jetzt mit Hardy zusammenleben und jetzt ist er auf einmal nur der Witwentröster, dann wieder sagst Du, daß Du Martin keine Träne nachweinst und bei der Trauerfeier und am Grab warst Du die heulende Witwe, was soll man Dir denn noch glauben? Ich habe ja auch gehört, daß es umgekehrt gewesen sein soll und Du Martin geschlagen haben sollst.“

Susanne reißt die Augen auf: „Woher w…“, sie stockt, beißt sich auf die Zunge, kneift die Lippen zusammen und fährt dann erst fort: „Wie kommst Du denn darauf?“

„Ich weiß es eben!“ sage ich und verschweige, daß ich es von Martins Mutter weiß. Susanne kommt aber gar nicht auf ihre Schwiegermutter und tippt auf Martin als Quelle: „Hat Dir Martin das erzählt?“

„Ich weiß es eben“, wiederhole ich und lehne mich zurück.

„Das war ja nur in der ersten Rage, quasi im Affekt, das zählt nicht.“

„Das zählt nicht?“

„Nein.“

„Doch!“

„Wieso?“

„Na, wo soll denn da der Unterschied sein, ob Du IHN schlägt oder er DICH verhaut? Das eine soll ganz schlimm sein und das andere ist entschuldbar? Oder was?“

Eben noch hatte ich den Eindruck, Susanne sei etwas kleinlauter geworden und wir bewegten uns langsam in die Richtung, daß man halbwegs vernünftig miteinander reden könnte und schon schwenkt das Gespräch schlagartig um. Sie sei das Opfer, nicht die Täterin und es sei eine Unverschämtheit, daß ich ihr nicht glaube und daß ich auch noch herumerzähle, Hardy sei ihr Freund.

„Ist er doch auch“, beharre ich und sie stülpt trotzig die Unterlippe vor, ihre Nasenflügel beben und sie versucht es mit einem Frontalangriff: „Und? Selbst wenn es so wäre, ginge Dich das gar nichts an!“

„Nö, tut es ja auch nicht. Ob Du mit Hardy, dem Papst oder Dieter Bohlen zusammen bist, das ist mir doch egal…“

„Wie, das ist Dir egal? Was willst Du dann von mir?“

„Nix, vor Dir will ich gar nichts. Nur, daß Du Martin schlecht darstellst, das nehme ich Dir übel. Ich sage Dir nochmal, daß es für mich sonnenklar ist, daß Du Dich im Laufe der Zeit in Hardy verguckt hast und Dir nun alles ganz recht kam. Martin hat getrunken, wobei ich Dir nicht einmal glaube, daß er ständig betrunken war, und er hat seine Arbeit verloren, das Geld hat hinten und vorne nicht mehr gereicht und genau in diesem Moment, als Martin am schwächsten war, da hast Du ihn in den Arsch getreten, so war das und nicht anders.“

„Nee, so war das nicht!“

„Doch!“

Susanne spingt auf, spielt die Entrüstete, schnappt sich ihre Tasche und will gehen. Ich bin jedoch vor ihr an der Tür, drücke diese wieder ins Schloß und mit der anderen Hand Susanne zurück auf ihren Stuhl: „Setz‘ Dich auf Deinen mageren Arsch!“

„Wie bitte?“

„Ach komm, jetzt mach mal Schluß mit dem ganzen Gerede, mir kannst Du nichts vormachen und Deine Schau kannst Du Dir sparen!“

„Arsch?“

„Ja, komm, zieh Dich jetzt an diesem Wort hoch, mach‘ aus einer Fliege einen Elefanten, blas Dich doch ein bißchen auf!“

„Du bist ganz schön frech!“

„Ja und?“

Jetzt sitzt sie da, die Luft ist raus und sie wirkt wie das berühmte Häufchen Elend. Ich habe sie soweit!
Doch ich täusche mich, im selben Moment springt sie auf, funkelt mich mit blitzenden Augen an und das Vogelnest, das eine Frisur sein soll, wippt bedrohlich, während sie mich anfaucht: „So Freunde wie Dich habe ich gerade noch gebraucht! Da stehe ich jetzt als alleinerziehende Mutter einer Halbwüchsigen da und von Dir ernte ich nichts als Misstrauen und Spott.“

Und im selben Moment springt sie auf, hat sie die Tür aufgerissen und ist sie rauschend verschwunden, nicht ohne in der Halle vor dem großen Spiegel den Bruchteil einer Sekunde innezuhalten und mal eben mit der Linken ordnend, aber vergeblich, ins Vogelnest zu greifen.

Das Gespräch hat nicht viel Neues ergeben, umso mehr brodelt die Gerüchteküche im Stadtteil. Jeder weiß ja irgendwas und weil das in solchen Fällen immer so ist, frage und bohre ich stets nach und muß erstaunt feststellen, daß es nur zwei Quellen gibt. Einmal ist das Martins Mutter, die sich wohl bemüht, ihren Sohn als Opfer dastehen zu lassen und die andere Quelle ist, man kann es sich denken, Susanne.

Und was es da nicht alles an neuen Geschichten gibt! Martin habe einen Unfall gebaut und das alles Susanne verschwiegen. Daheim habe er nur gesagt, der andere sei Schuld gewesen und das zahle alles die Versicherung und jetzt habe man beim Ordnen der Unterlagen entdeckt, daß das genau andersherum gewesen sei und Martin heimlich seinen Schaden selbst bezahlt hatte. Das Geld fehle natürlich jetzt und Susanne wisse gar nicht, wie sie die nächsten Monate über die Runden kommen solle.
Es fehle ja angeblich noch viel mehr Geld und das habe Martin ja nachts im Internet beim Pokern verzockt.

Die Volksmeinung wogt hin und her, mal sieht es so aus, als blicke man voller Häme auf die „lustige Witwe“ und ihren Hardy, dann wieder schwenkt es herum und man ist mitleidsvoll, ob des schrecklichen Schicksals dieser armen Frau. Jahrelang geprügelt, dann einen Selbstmord des Mannes verkraften und nun noch die ganzen Schulden erben

Erben! Tja, mit dem Erben ist das so eine Sache. Normalerweise erbt ja Susanne alles, ob Martin wohl ein Testament gemacht hat?

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