Geschichten

In der Psychiatrie – XX –

Eigner Herd, Goldes wert. So sagt es ein Sprichwort und meint, daß es allemal besser ist, etwas Eigenes zu haben, als fremder Leute Sachen, meist gegen Bezahlung, nutzen zu müssen.
Ich selbst habe mehr als leidvolle Erfahrungen mit Vermietern gemacht und bin sehr froh, daß meine Familie und ich im eigenen Domizil schalten und walten können, wie wir möchten.
Was bei Susanne dazu geführt hat, daß der Wunsch, ein eigenes Haus zu haben, in dem sie die Herrin sein kann, so überwältigend stark geworden ist, daß sie dafür buchstäblich über Leichen geht, weiß keiner. Aber daß es so ist, das weiß inzwischen jeder.

Im Café Magnussen, das in Wirklichkeit nur eine Bäckerei mit zwei Stehtischen und einem Tisch mit unbequemer Eckbank ist, treffen sich die Verschwörer.
Es sind dies Hardys Mutter, die Frau Steidler heißt, Frau Berg, Gudrun, die Allerliebste und ich. Frau Steidler hat Neuigkeiten.

„Also, jetzt waren die schon dreimal da und haben Blumen gebracht, ein besonders gutes Katzenfutter für meine Katze. Nicht diese großen Dosen, ich mag die kleinen Dinger für meine Muschi viel lieber. Die dicken Dinger sind einfach zu viel, das schafft meine Muschi nicht mehr, die ist ja auch schon alt. So’n kleines Ding, da wird einmal geleckt und einmal geschlabbert und das rutscht so runter. Das liebt meine Katze!1
Aber Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie die Süßholz geraspelt haben. Mutti hier und Mutti da! Und Susanne hat mich umarmt und dann mit Tränen in den Augen gefragt, ob sie mich auch Mama nennen darf…“

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„Hure!“, entfährt es Frau Berg und alle schauen die vornehme alte Dame erstaunt an. Doch Frau Berg stampft nur zur Bestätigung einmal mit ihrem Gehstock auf und wiederholt: „Hure!“

„… Na ja, auf jeden Fall hat es keine Woche gedauert, da war Susanne mit einem Vorschlag bei der Hand. Ich sei doch jetzt schon so alt und lange könnte ich das mit dem Haushalt doch auch nicht mehr und dann fing sie an zu weinen.
Unter Tränen hat sie mir dann erzählt, daß sie es nicht übers Herz bringe, einen so lieben und fürsorglichen Menschen wie mich eines Tages im Altersheim sehen zu müssen. Und noch bevor ich irgendwas sagen konnte, meine sie: ‚Ich verspreche Dir, liebe Mama, daß Du nie ins Heim mußt, ich werde meinen letzten Blutstropfen geben und mich immer um Dich kümmern.'“

Frau Steidler legt eine Kunstpause ein, trinkt ein Schluck Kaffee, nimmt eine Gabel vom Apfelkuchen und deutet kauend auf den Kuchen: „Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen könnte, wenn ich an dieses Schmierentheater von Susanne denke!“

Allgemeine Empörung macht sich breit und die Damen am Tisch diskutieren Susannes Verhalten. Ich habe nicht so viel Zeit, hüstele mal vorsichtig, dann rufe ich mal leise Hallo und schließlich bleibt mir nichts anderes übrig, als mit dem Knie den Tisch etwa drei Zentimeter anzuheben und dann herunterpoltern zu lassen. Alles scheppert und alle Damen sind ruhig.

„Und weiter? Wie ist es weitergegangen, Frau Steidler?“

„Tja, sie hat dabei meine Hände gestreichelt und dann hat sie so gelächelt. Aber ich bin ja auch nicht erst drei Tage auf der Welt. Mir hat schon so manch einer ein X für ein U vormachen wollen. Wissen Sie, wir kommen nicht aus der feinsten Gegend und wahrscheinlich auch nicht aus der feinsten Gesellschaft. Und in unserem Viertel da hat die Armut regiert, da gab es mehr Schmarotzer als in einem Tümpel voller Blutegel. Wer da nicht sofort erkennt, wenn ihn jemand übern Tisch ziehen will, der ist verloren. Ich habe früh gelernt, daß man den Leuten in die Augen gucken muß. Aber Susanne hat mir bei alledem nicht in die Augen geguckt, die hat an mir vorbei geschaut und in ihren Augen lag trotz des Lächelns nur Härte. Spiegelberg, ich kenne dir!2

Die Damen machen Uh und Ah und Frau Berg stampft wieder mit ihrem Stock auf, ohne jedoch etwas zu sagen, doch wir alle wissen, was sie hätte sagen wollen.
Frau Steidler fährt fort: „Und dann holte sie mir ein Gläschen Likör, gab Hardy einen Stupser und setzte sich ein paar Meter entfernt hin. Hardy ist brav wie ein Schuljunge aufgestanden und hat brav sein Sprüchlein aufgesagt. Er wolle auch sein Bestes geben. ‚Liebe Mutti, damit Du im Alter, und Du bist ja jetzt schon alt, nicht so alleine bist, haben wir uns überlegt, daß wir doch am Besten zusammenziehen. Wir alle, wir alle drei! Äh, vier! Ich, Du, die Susanne und die Ronja. Na, wie wär‘ das? Wär‘ das nicht schön, wenn Du jetzt ein (sic!) Enkel hät’s?‘
Boha, ich hätte schon wieder kotzen können. So einen Schwachmatenbrei hat der zuletzt gesabbelt, als ich ihn vor zehn Jahren vom Knast abgeholt habe. ‚Liebe Mama‘, wenn ich das schon hör‘! Hat der selbst als Kind nicht gesagt. Nach dem Knast, da hat er vor mir gekniet und mir versprochen, daß er jetzt immer arbeiten geht und ein anständiges Leben führt. Und was war? Nur als Tagelöhner und Leiharbeiter hat er sich verdingt und wenn er mal Geld hatte, verschwand das in den Schlitzen der Spielautomaten oder bei Pferdewetten. Ich liebe meinen Sohn, versteht mich nicht falsch … – … aber nach über dreißig Jahren muß auch eine Mutter eingestehen können, daß ihr Sohn ein Taugenichts ist. Ein Klugscheißer und Besserwisser, ein Großsprecher. Große Klappe und nix dahinter. So!“

Ich nicke. „Und, wie geht es jetzt weiter? Die wollen also bei Ihnen einziehen. Machen Sie da mit?“

„Ich bin doch nicht mit dem Klammeraffen gepudert! Ich bin doch nicht total bescheuert! – Aber, glaubt mal nicht, daß ich das nicht genauer wissen will. Bis jetzt habe ich ja nur den Eindruck, daß ich übern Tisch gezogen werden soll. Ich habe einfach gar nichts dazu gesagt, ich habe nur milde gelächelt und ein bißchen auf debile Alte gemacht. ‚Ach, Ihr seid zu gut zu mir‘, habe ich denen gesagt. Und sofort war Susanne wieder bei mir: ‚Ich habe da schon mal was Schriftliches vorbereitet, ich bringe das übermorgen mit und dann können wir das unter Dach und Fach bringen“. So, und morgen ist übermorgen und dann sehen wir weiter.“

„Aber Sie unterschreiben nichts!“, warne ich Frau Steidler. Doch sie winkt ab: „Ich kann zwar gut die Senile spielen, aber ich bin noch lange nicht verkalkt. Wenn ich das Schriftstück habe, dann wird mir eben schlecht und ich muß mich hinlegen. Migräne, Herz, Kreislauf, das Wetter … Und dann treffen wir uns und gucken uns das Papier zusammen an. Machen wir das so?“

Ich nicke zufrieden: „Ja, genau so machen wir das.“

1 Ich hatte beim Schreiben auch meinen Spaß.
2 „Ich kenne dich, Spiegelberg!“ Schiller, Die Räuber, meist zitiert als: Spiegelberg, ich kenne dich!
Der Verwender dieses Zitats will meist zum Ausdruck bringen, daß er die wahren Beweggründe seines Gegenübers durchschaut hat.

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