Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -24-

Symbolfoto

Was sollte jetzt noch schief gehen? Etwa 50 Leute waren da, die Künstler standen parat, Gastwirt Johnny hatte sich durch ein „Alles wird gut“ von mir wieder beruhigen lassen und ich war recht guter Dinge.

Während sich die Gäste ins Heilig-Geist-Stüberl einsortierten, fragte ich Johnny, warum das Stüberl so heiße.
„Ach, das ist noch von meinem Vater. Der hat das damals so genannt. Wenn da sonntags die Männer nach der Kirche ihren Frühschoppen gemacht haben, ist irgendwann immer der Heilige Geist über sie gekommen und sie haben dann in Zungen geredet. Jedenfalls hat man nichts mehr verstanden.“
Johnny lachte und war auch bereit, nun an der Veranstaltung teilzunehmen.

Erwartungsvolle Gesichter wandten sich mir zu, ich nickte höflich in die Runde und Heiner flüsterte mir ins Ohr: „Lizzy ist unpässlich. Wir machen nur ein ganz kleines Ding hier.“

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Keine Zeit, das auszudiskutieren. Ich raunte ihm zu: „Erst lesen wir mal abwechselnd ein paar Geschichten, dann kommt ihr dran, okay?“

Er schaute mich an, als hätte ich ihm gerade genüßlich an seine Ausgeweide gefasst. Nach kurzem Überlegen meinte er mit schmalen Lippen: „Na gut.“

Ich las ein, zwei Geschichten, freundlicher Applaus, Heiner las auch eine Geschichte, freundlicher Applaus, wieder las ich ein paar Geschichten, diesmal die etwas lustigeren und das kam besonders gut an, die Stimmung war sehr gut.
Nach einer Dreiviertelstunde dachte ich, daß es genug wäre und nickte Heiner und Lizzy zu.

Wie gesagt, die beiden hatten ja geprobt.
Aber eben nur den Aufstand.

„Film ab!“ rief Heiner und Lizzy legte den Lichtschalter um. Es wurde dunkel und über die Bühne flimmerte der Film „Es ist kalt“…

Für einen Moment wurde es auch allen kalt, diese Geschichte hat es eben in sich. Sie macht es einem nicht gerade warm ums Herz.

Nun, kein Problem, jetzt würden Lizzy und Heiner ja mit einem schwungvollen Ausschnitt aus ihrem Programm glänzen.

Aber sie glänzten nur durch die Abwesenheit von jeglicher Aktivität. Lizzy saß in ihrem Brautkleid rechts vom Beamer, Heiner saß links vom Beamer und beide genossen den Applaus für den Film.

Und dann…

…dann kam nix!

Ich schaute die beiden an und blickte nur in streikbereite Gesichter. Heiner guckte so nach dem Motto: „Wir machen nix, sieh zu, wie du klar kommst!“

Johnny schaute zu mir rüber und verdrehte so die Augen gen Himmel, daß ich Angst hatte, sie könnten herausfallen.
Meine Frau stieß mich an: „Los! Mach was!“

Also las ich noch ein paar Geschichten. Dann nahm ich meine Notkiste mit Büchern, die ich immer dabei habe, falls einer ein Buch kaufen möchte, wenn ich gelesen habe (davon lebt man als Autor ja schließlich) und verschenkte aus lauter Verlegenheit, aber durchaus gerne, an jeden Gast des Abends ein Buch. Ein paar Tassen hatte ich noch im Gepäck, die ich für die weiteste Anreise und solche Dinge überreichte.

Johnny war unterdessen des Saales flüchtig geworden und hatte sich draußen mit dem großen Hessen Andy Frosch wieder der Wodka-Flasche zugewandt, die ihm Trost und Beistand leistete. Das heißt, Trost leistete ihm die erste Flasche, Beistand die zweite.

Mit Lesen, Bücherverschenken, Signieren und Tassenverschenken hatte ich den Abend dann doch noch irgendwie gerettet, da ich aber nur in volltrunkenem Zustand tanzen und singen kann und der hessische Froschmann und Johnny mir keinen Wodka übrig gelassen hatten, beendete ich die Vorstellung und lud zum gemütlichen Beisammensein in der Gaststube ein.

Au, war das gemütlich!

An einem langen Tisch nahmen die meisten Gäste Platz, einige fuhren wieder nach Hause.
An dem einen Ende vom Tisch saßen Heiner und Lizzy, am anderen Ende Froschandy und Johnny Keller.
Irgendwo in der Mitte dazwischen saßen die Allerliebste und ich.

Es war wie bei Wimbledon!

Mein Kopf flog von links nach rechts, so warfen sich die Ecke Frosch/Keller und Miller/van-der-Grube leise bissige Bemerkungen zu.
Die Grube-Ecke war der Meinung, der Wirt sei ein Geizhals und die Kellerfroschecke meinte, der mit der Himmlerfrisur und die mit der Vogelnestfrisur seien Abstauber.

So ganz wollte mir nicht in den Sinn, weshalb das so war.

Fakt: Heiner und Lizzy hatten vom Wirt einen erklecklichen Betrag in bar verlangt. Den hatten sie bekommen, dann eine Unpässlichkeit Lizzys vorgeschoben und keinen Auftritt abgeliefert.
Aber warum? Warum war Johnny ein Geizhals? Den Teil der Geschichte hatte ich noch nicht verstanden.
Nicht verstanden hatte ich auch, warum es beim Essen so hektisch zugegangen war.

Irgendwie war mir das alles zu hoch.

Irgendwie habe ich mich und die verbliebenen Gäste dann doch noch über den Abend gerettet, irgendwann hatte sich Johnny Keller ein Buch auf sein Gesicht und den Kopf in den Nacken gelegt und schnaubte unter dem Buch ein gleichmäßiges, leises Schnarchen.

Symbolfoto

Symbolfoto

Der hessische Froschmann hob so etwa in zehnminütigen Abständen eine leere Wodkaflasche hoch und rief: „Das ist das Ende der Welt!“

Nur der Schweizer Schildkrötenforscher kam gegen Mitternacht aus der Speiseecke hervor und hielt einen Glasbecher hin: „Gibt’s noch ein Dässerrt?“

Die Runde löste sich auf. Meine Frau und ich liefen zum Hotel, dicht gefolgt von Lizzy und Heiner.

Ja, ob wir denn noch ein Gläschen mit ihnen auf ihrem Zimmer nehmen würden, fragten die beiden.

Ich nicht!

Lizzy sagte das Zauberwort ‚Sekt‘ und schon war die Allerliebste Feuer und Flamme für einen gemeinsamen Absacker.

Trotzdem ohne mich!

Völlig aufgekratzt schimpften Lizzy und Heiner den ganzen Weg bis ins Hotel über Johnny, was das für ein Arsch sei, wie der sie behandelt hätte, was für ein Vollidiot der sei und dass das Ganze sicher noch ein Nachspiel haben werde.

Das würden wir am nächsten Tag klären, beschloß ich und ging dann aufs Zimmer.

Es muß gegen drei Uhr morgens gewesen sein, als sich das Nachfolgende innerhalb eines recht kurzen Zeitraums zutrug.

Die Allerliebste war vom Umtrunk im Himmler-Hiller-Miller-Hitler-Zimmer, also quasi dem Kehlsteinhaus, zu mir ins Zimmer gekommen und im Dunkeln über irgendwas, vermutlich ihre eigenen Füße gestolpert.
Dann war sie nach einem kurzen Aufenthalt im Bad neben mir ins Bett gesunken und -was ich auch gerne können würde- sofort in einen tiefen Schlaf gefallen.
Auch ich fand wieder Ruhe und schlief ein. Mein Kinn erschlaffte. Das ist jetzt nichts Besonderes, aber ich muß es erwähnen, denn der Umstand, daß mein Mund offen stand, spielt im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle.

Ganz oben im Gebälk des offenen Studioraumes hatte sich nämlich just in diesem Moment ein etwa 5 cm langer, grasgrüner Hüpfer in seinem Schlaf gestört gefühlt und hüpfte von seinem Balken.
Dabei muß der Hüpfer sich verhüpft haben, den er knallte mit einem chitinösen Geräusch gegen einen anderen Balken, prallte von dort ab und stürzte in die Tiefe.

Nun ist Tiefe ja etwas doch recht Relatives. Gäbe es den Erdmantel und den Erdkern nicht, wäre die Tiefe vielleicht irgendwo bei den Antipoden zu Ende.
In diesem speziellen Fall waren aber sowohl Erdkern, als auch Erdmantel existent, ja es stand sogar ein Bett im Wege und auf dem Bett auch noch ein mit offenem Mund schlafender Bestatterautor.

Dieses vermaledeite Drecksviech fiel mir also zur Hälfte direkt in meinen Mund, krallte sich mit seinen Beinen an meiner Lippe fest und zwickte mich irgendwie.
So geschunden wachte ich auf, erschrak, wähnte mich in den Fängen der Hydra und setzte einen gezielten Schlag auf das nur von der hereinleuchtenden Straßenlaterne beleuchtete Insekt in Gang.
Doch leider hüpfte der Hüpfer noch einmal und der weit ausholend gestartete Fausthieb landete links neben mir direkt auf der Allerliebsten!

Gute Nacht!

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 5. März 2014

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    18 Kommentare
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    10 Jahre zuvor

    Oh oh ooooh oh oh.

    Wenn das jetzt keine erfundene Geschichte wäre, würde ja behaupten, daß es das jetzt war. Aber zum Glück ist ja alles nur erfunden. So hoffe ich wenigstens auf ein Happy End zwischen dir und einer Frau.

    vires
    Reply to  Paterfelis
    10 Jahre zuvor

    „und einer Frau“ 🙂

    Reply to  vires
    10 Jahre zuvor

    Ups. *shame*

    10 Jahre zuvor

    Meine Vermutung ist: die „anwaltliche Begleitung der Herausgabe“ aus dem ersten Post ist der Scheidungsanwalt 😀

    sakasiru
    10 Jahre zuvor

    „Symbolfoto“, ich lach mich weg! Gibt es das etwa in irgendwelchen Bilddatenbanken unter „Wirt Schonny schläft mit Buch auf dem Gesicht“? Nicht, dass du da jetzt Copyrightprobleme kriegst… 😉

    Frank
    10 Jahre zuvor

    Das kann man sich alles garnicht ausdenken, das Leben schreibt eindeutig die Skurrilsten Geschichten!

    Tolle Phantasie hast du Tom, kann garnicht die Fortsetzung erwarten 🙂

    melonja
    10 Jahre zuvor

    „Fausthieb…direkt auf der Allerliebsten“ Na, ob das wohl der „Dank“ für den Glockenschlag vom Abend war?

    Cliff McLane
    10 Jahre zuvor

    Gravitonen. An allem sind nur die sch*** Gravitonen schuld:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Graviton

    10 Jahre zuvor

    Mann, mal nur gut, dass das alles erfunden ist, sonst hättest du echt ein richtiges Problem….

    *kichert*

    simop
    Reply to  Tante Jay
    10 Jahre zuvor

    Aber hallo! 😀

    fbjhfx
    10 Jahre zuvor

    Zu der Copyrightsache: das ist bestimmt Toms Tochter, die zu Fasching als Wirt ging und sich eben das Buch ins Gesicht legen musste, damit Papi das Kostüm bezahlt…

    Und an Tom: falls du die doofen Einblendungen weggemacht hast: danke

    Falls wer anders: danke an den

    Falls niemand sich bekennen will: danke FSM für deine unendliche Nudeligkeit!

    Reply to  fbjhfx
    10 Jahre zuvor

    Ich weiss immer noch nicht, welche Einblendungen da gemeint waren. Aber wenn sie bei euch jetzt weg sind, dann umso besser. Derlei Hinweise taugen nur, wenn sie wirklich unter Angabe des verwendeten Gerätes (PC, Mac, Laptop, Handy, Smartphone, Tablett, iPad usw.) erfolgen, wenn der Browser und das Betriebssystem, sowie möglichst die Bildschirmauflösung genannt werden. Wir optimieren die Seiten so gut es geht für die Desktop- und die Mobilansicht. Bei der Vielzahl der auf dem Markt befindlichen Geräte ist es aber nicht ausgeschlossen, dass es welche gibt, die irgendeinen der hier angebotenen Inhalte nicht korrekt darstellen kann. Im Übrigen gilt zu berücksichtigen, daß das Bestatterweblog über einen internen und einen externen Cache läuft, auf mehreren Rechnern gespiegelt wird und durch ein Content-Delivery-Network unterstützt wird. Das bedeutet, daß sich z.B. im Browser-Cache des Benutzers noch andere Inhalte/Einstellungen befinden, als auf der Seite tatsächlich vorhanden sind. So ist z.B. zu erklären, daß manche Inhalte „nur auf der Arbeit“ auftauchen, daheim aber nicht. Empfehlenswerte Gegenmaßnahme: Nach größeren Umbauarbeiten an einer Seite, wie das jetzt nach einem halben Jahr beim… Weiterlesen »

    Held in Ausbildung
    10 Jahre zuvor

    *BÄMM* Und schö der Gattin eine verbraten! 🙂 Das gibt noch Ärger für Tom *lach*

    Xenaris
    10 Jahre zuvor

    Wahrscheinlich kommt es jetyt yu einer dramatischen Wendung, bei der offenbahrt wird, dass Herr Wilhelm diesen Blog vom fr[heren Betreiber, Undertaker TOM, [bernommen hat, nachdem dieser von seiner Frau ermordet wurde!

    Xenaris
    Reply to  Xenaris
    10 Jahre zuvor

    Meine Tastatur spinnt, musste ich gerade feststellen. Ich bitte, den vorangegangenen, sprachlichen Kauderwelsch zu entschuldigen!

    Alex
    Reply to  Xenaris
    10 Jahre zuvor

    Alt+shift 🙂

    Konni Scheller
    Reply to  Xenaris
    10 Jahre zuvor

    Shift happens.

    PMK74
    10 Jahre zuvor

    Das Symbolfoto scheint von Figur, Form und Frisur den Autor abzubilden, muss allerdings jüngeren Datums sein, da die Geschichte in der Zeitform „Früher [TM]“ geschrieben wurde und es die auf dem Cover genannte Band erst seit 2008 mit diesem Namen gibt. Die Kamera, mit welcher die Aufnahme gemacht wurde, steht mutmaßlich im Eigentum des Autors; Fotograf ist vermutlich ein Familienmitglied, so dass aufgrund des Verwandschaftsverhältnisses die Übertragung der Bildrechte in mündlicher Form erfolgte. 😉




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