Geschichten

Der Lange -II-

Den Knall hatte man in der Nachbarschaft zwar gehört und ein besonders aufmerksamer Nachbar hatte sogar die Funkstreife gerufen, doch konnte an diesem Tag die Ursache des Geräusches nicht geklärt werden. Man gab sich dann mit der Erklärung zufrieden, spielende Kinder hätten wohl irgendwas Knallendes gezündet.

So kam es, daß erst weitere vier Tage vergehen mussten bis „Hanky Pete“, unser „dorfeigener“ Western-Musiker stutzig wurde und Licht in die Sache bringen konnte.
Daß der Lange ein paar Tage nicht am Kiosk gewesen war, hatte bei seinen Freunden keine große Besorgnis ausgelöst; durch die immer wieder notwendig werdenden Krankenhausaufenthalte waren sie an mehrtägige Abwesenheiten ihres Kumpels gewöhnt.

Hanky Pete jedoch hat beim Langen in der nicht genutzten Garage seine Bühnenausrüstung gelagert und als er dort etwas holen wollte, fielen ihm mit bloßem Auge die nach mehreren Tausend zählenden Fliegen an der Innenseite vom Küchenfenster des Langen auf. „Das war komplett wie ein schwarzer Vorhang vor dem Fenster, da war mir klar, daß da was nicht stimmt und ich hab die Bullen gerufen.“

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Die Polizisten riefen dann die Feuerwehr, einer der Feuerwehrler hatte die Wohnungstüre rasch geöffnet, knipste noch die von innen vorgelegte Sperrkette durch und dann trat zunächst ein einzelner Polizist in die Wohnung ein, rief den Namen des Langen, rief ihn nochmals und dann war Stille und Sekunden später kam der Beamte raschen Schrittes wieder aus der Wohnung. „Scheiße, Mann ey, Scheiße!“

An Spurensicherung dachte offenbar niemand, als dann der Reihe nach beide Polizisten, eine zweite Streifenwagenbesatzung, die beiden Feuerwehrmänner und auch Hanky Pete, sowie eine Nachbarin von gegenüber die Wohnung des Langen betraten. Aber für eine Spurensicherung gab es wohl auch keinen Anlass, die Situation war klar, das Bild, daß sich den Polizisten bot, war eindeutig.
Wenigstens kam dann einer der Feuerwehrmänner auf die Idee, Hanky Pete und die Nachbarin rauszuschicken.

Gar kein Zweifel an der Todesursache und den Umständen bestand in dem Moment, als die Beamten im Wohnzimmer einen kurzen handgeschriebenen Abschiedsbrief fanden. Er soll nur wenige Zeilen lang sein und sein Inhalt soll kurz und knapp in etwa so gelautet haben, daß der Lange geschrieben haben soll, er wolle es gar nicht erst so weit kommen lassen, daß er die Schmerzen nicht mehr ertragen kann, die Chemotherapie habe ihm gereicht und er scheide lieber sofort aus dem Leben.

Trotzdem wurde der Leichnam sichergestellt, die Polizisten sagen immer „beschlagnahmt“ und wir mußten den schon ziemlich mitgenommenen Verstorbenen, dem die drückend heiße Witterung ordentlich zugesetzt hatte, in das Rechtsmedizinische Institut überführen.

So, wie geht es nun in einem solchen Fall weiter?
Die Polizei verständigt die Angehörigen, diese suchen sich einen Bestatter aus und wir als das Unternehmen, das im Auftrag der Polizei den Verstorbenen überführt hat, dürfen voller Hoffnung sein, diesen Auftrag dann auch zu bekommen.
Das hängt natürlich auch davon ab, wie der jeweilige Beamte das der Familie sagt.
Sagt er: „Der ist jetzt beim Institut Sowieso, sie können aber auch zu jedem anderen Bestatter gehen, normalerweise gehen alle immer zum städtischen Institut“, dann können wir sicher sein, daß uns der Auftrag flöten geht.
Sagt er hingegen: „Der ist jetzt beim Institut Sowieso, das arbeitet im Auftrag der Polizei, da sind sie gut aufgehoben“, dann kommen die Leute fast zu 100% zu uns.

In diesem Fall weiß ich nicht, was der Polizist zu den Angehörigen gesagt hat, jedenfalls hat er mit einem der Söhne gesprochen und der soll zu ihm gesagt haben: „Wissen Sie was, lecken Sie mich am Arsch!“

Der Beamte sagte hinterher zu mir, ich habe dann in meinen Bericht geschrieben, daß die verbalen Äußerungen des Sohnes keinen Zweifel daran gelassen haben, daß er am Fortgang der Sache kein Interesse hat.

„Und?“ habe ich ihn mehr im Scherz gefragt: „Bekommt der jetzt ’ne Anzeige?“
Der Beamte grinste und meinte: „Pffft, sicher, wenn mich einer wissentlich beleidigt, lasse ich mir das nicht gefallen, aber wenn ich jeden anzeigen wollte, der Bulle oder Arschloch zu mir sagt, dann wäre die Hälfte der Bevölkerung dauernd vor Gericht. Vor allem Jugendliche und Betrunkene machen aus ihrem mangelnden Respekt doch keinen Hehl. Vor allem Jugendliche in der Gruppe kommen sich oft sehr stark vor und zeigen gerade durch ihre Verbalinjurien, wie wenig sie von uns halten. Nimmt man sie sich dann einzeln vor, scheißen die sich bald in die Hosen. So isses eben.“

„Ja und was wird jetzt aus dem Langen?“ frage ich den Beamten.

„Keine Ahnung, die Söhne jedenfalls haben sofort gesagt, daß sie das Erbe ablehnen…“

„…wobei die schon wissen, daß ihnen das nichts helfen wird“, füge ich ein und der Beamte nickt: „Schon wahr, aber die glauben, sie müssten die Bestattung nicht bezahlen und schalten auf stur.“

„Und jetzt?“

„Wenn der Mann freigegeben ist, übergeben wir das der Ortspolizeibehörde, in dem Fall also dem Friedhofs- und Ordnungsamt und die entscheiden dann, wie es weitergehen soll. Wahrscheinlich verbrennen und Urne anonym beisetzen.“

Ja, so ist das in solchen Fällen. Wenn die Angehörigen sich weigern, wird ihnen vom Friedhofsamt Druck gemacht und wenn die sich dann immer noch nicht rühren und keine Entscheidungen treffen, dann gibt es eine würdige, einfache, ortsübliche Bestattung auf Amtskosten. Allerdings darf sich da keiner in Sicherheit wiegen, das Amt holt sich das Geld schon wieder. Etwas bessere Karten hätten die Söhne nur, wenn sie beide komplett von den Sozialbehörden leben.

„Was ist denn eigentlich mit der Frau?“ erkundige ich mich beim Polizisten und der zuckt nur mit den Schultern: „Keine Ahnung. Der letzte Kenntnisstand ist, daß die vor sechs Jahren nach Spanien ausgewandert ist und dort einen Bratwurstimbiss betreibt. Aber nicht einmal die Söhne wissen, wo das in Spanien sein soll und die eine Schwiegertochter hat gesagt, das könne auch in Südfrankreich oder in Tunesien sein.“

„Liegt ja auch alles um die Ecke.“

„Eben.“

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 22. Juni 2012 | Peter Wilhelm 22. Juni 2012

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Ma Rode
13 Jahre zuvor

Soweit zum Thema treusorgende Großfamilie …

Tzosch
13 Jahre zuvor

Gib Bescheid an welchem Tag der Lange beerdigt wird, sofern das geht. Ich zünde eine Kerze an.

13 Jahre zuvor

Halt. Stop!!!
Bitte keine neuen Cliffhänger mehr. Ich bin dafür, erstmal die alten und vor allem nicht abgeschlossenen Geschichten zu beenden.

Magnetom
13 Jahre zuvor

@Mortican Welche sind das denn?

murry
13 Jahre zuvor

Hat eigentlich schon jemand die Filmrechte am Bestatterweblog? Da könnte man doch eigentlich eine Fernsehserie draus machen. Die Handlung in ein bayerisches Bergdorf verlegen und dann der „Bergbestatter“ draus machen. Oder „Der Bestatter von Tölz“. Oder „Rosenheim Undertaker“.

Big Al
13 Jahre zuvor

@ murry.
„Der Bergbestatter“. Bringt der denn Berge unter die Erde?
B. A.

Ma Rode
13 Jahre zuvor

Magnetom: der Goldfisch, in der Psychatrie (o.ä.), die Kuckucksuhr (oder war der schon fertig?), Birgitt … wen hab ich noch vergessen?

Anonym
13 Jahre zuvor

Und so lange, wie die brauchen um das zu klären liegt der dann bei euch im Institut? Ich versteh nicht, warum ihr den ohne Auftrag wiederkriegt, will die Rechtsmedizin den schnell wieder loswerden?

13 Jahre zuvor

Das Nüsselschwein hätte auch mal wieder einen Auftritt verdient…

13 Jahre zuvor

[quote]Hat eigentlich schon jemand die Filmrechte am Bestatterweblog?[/quote]

Ja, ich.

Robby
13 Jahre zuvor

@#8 anonym: Wo steht das denn? Ich lese nur, dass Tom den Langen in die Rechtsmedizin gebracht hat. Das er den wieder geholt hat und der jetzt in seinem Institut liegt, davon lese ich nichts.

13 Jahre zuvor

Wenn der Leichnam erstmal in der Rechtsmedizin liegt, kriegt man den nicht so einfach wieder.
Erst klären die dort per Autopsie, was Sache ist, dann melden die sich bei der Staatsanwaltschaft und der Bestatter braucht von denen eine Freigabe, sonst geht da gar nix.

Anonym
13 Jahre zuvor

@11:
Zitat:
Die Polizei verständigt die Angehörigen, diese suchen sich einen Bestatter aus und wir als das Unternehmen, das im Auftrag der Polizei den Verstorbenen überführt hat, dürfen voller Hoffnung sein, diesen Auftrag dann auch zu bekommen.
Das hängt natürlich auch davon ab, wie der jeweilige Beamte das der Familie sagt.
Sagt er: „Der ist jetzt beim Institut Sowieso, (…)

Ich blick daher nicht ganz, wie das läuft, ist er jetzt dort, oder hat „Institut Sowieso“ ein Vorrecht, oder warum muss der Polizist überhaupt sowas sagen?

Fraggel
13 Jahre zuvor

Da kann man nur beten dass es einem selbst erspart bleibt die Familie in Trümmern zu sehen… das eigen Fleisch und Blut. Traurig.

Exilsaarländer
13 Jahre zuvor

Ich kann die Lage der Mitglieder seiner Kioskfamilie nachvollziehen. Vor kurzem ist ein guter Bekannter von uns, ein ehemaliger Zirkkusmitarbeiter, der uns oft mit seinen Geschichten erfreut hat hochbetagt aber geistig fit verstorben ohne daß er Verwandte hatte. Er war hoch verschuldet und seine beiden lebenden Schwestern, welche im gleichen Alter sein dürften konnten für die Beerdigung nicht aufkommen. Wir wollten ihm trotzdem die letzte Ehre erweisen. Trotz mehrerer Anrufe bei der Kommune wußten wir zwar nach langer Zeit auf welchem Friedhof er beigesetzt wurde, die Grabstätte und das Datum der Bestattung kennen wir bis heute nicht.

Zitat: „Sind Sie ein direkter Verwandter?“
„Nein“
„Dann kann ich Ihnen eigentlich keine Auskkunft geben!“

Selbst das Altenheim in dem er zulezut gelebt hat weiß nicht wann und wo unser „Hanselmann“ begraben wurde. Schade!

murry
13 Jahre zuvor

@TOM
Touché!

Rene
13 Jahre zuvor

Zu dem Polizeibeamten und der Beleidigung fällt mir eine kleine Anekdote ein, die ein Staatsanwalt mal erzählt hat.
Die Staatsanwaltschaft bearbeitet ja auch die Anzeigen wegen Beleidigungen von Beamten. Dabei ist es dem StA aufgefallen, dass ein älterer Polizeibeamter noch nie eine Anzeige wegen Beleidigung geschrieben hat, seine jüngeren Kollegen aber sehr wohl. Auf die Frage, warum er keien Anzeige schreiben würde, sagte der Beamte nur: „Wer mich beleidigen darf, das entscheide noch immer ich und bislang war mich mit keinem so gut befreundet, so dass er es gedurft hätte.“

Ich fand das eine geniale Auffassung.

13 Jahre zuvor

Hmpf. Leute in Uniform sind aber auch hypersensibel. Bekannter ist verurteilt worden, weil er ein ACAB-tshirt anhatte. Da benehmen sich die Uniformierten wie ein 5jähriges Mädel, dem man die rosa Lieblingspuppe klaut. Schmollen und nach Papa rufen, dass er die bööösen anderen verhaut…

Knallschote
13 Jahre zuvor

@13
meldet sich keiner, der angehörigen, kriegt das institut sowieso vom ordnungsamt die anweisung den Verstorbenen innerhalb … zu bestatten. je wie es vor ort üblich ist urne oder erde.
und institut sowieso muß dann erst mal auf die bezahlung warten.
das ist dann immer viel schriftkram.
ich denke mal, um so was reißt sich keiner.

13 Jahre zuvor

Schlimmer sind die Leute vom Amt, die für Hartz4 Empfänger zuständig sind. Da kannste richtig lange aufs Geld warten, denn die haben und lassen sich richtig Zeit 🙁

13 Jahre zuvor

Oha, die Kinder also kein Interesse, großartig.
Nur haben sie nix davon, zahlen müssen sie eh.




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