Geschichten

Henning -1-

Henning

Henning ist vor 12 Wochen als Praktikant in unser Unternehmen gekommen. Er hatte schon drei Lehrstellen abgebrochen und absolviert derzeit ein Berufseinführungsjahr bei einem Sozialwerk. Im Rahmen dieser einjährigen Maßnahme hat er u.a. auch ein 3-monatiges Praktikum zu abzuleisten.

Vor acht Wochen tauchte sein Ausbildungsleiter vom Sozialwerk das erste Mal bei mir auf und versuchte mich in einem Gespräch dazu zu überreden, Henning eine feste Ausbildungsstelle zu geben. Da ich mein Kontingent an Auszubildenden aber voll habe, mußte ich diese Bitte ablehnen, denn unter dem Aspekt einer möglichen Übernahme hatte ich mir Henning noch nicht angeschaut. Als Praktikant wird er in allen Abteilungen mal eingesetzt, vorwiegend da, wo gerade besonders viel zu tun ist. Man schaut halt, daß der Praktikant was mitbekommt und ob er die Spielregeln einhält.

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Von einem Lehrling erwarte ich jedoch mehr und habe dann erst begonnen, Henning genauer zu beobachten. In einigen Gesprächen lernte ich ihn näher kennen. Seine Hauptinteressen liegen bei Konsolenspielen und der Suche nach satanischen Weisheiten. Er selbst bezeichnet sich als Magier und Satanist und er lese jeden Tag in der „satanischen Bibel“. Im Leben habe er es bisher nicht weit gebracht, deshalb suche er in dieser Idee nun Gleichgesinnte, Freunde und Anerkennung.

Das gefällt mir persönlich nicht, geht mich aber letztlich nichts an, wenn er ansonsten im Betrieb seine Aufgaben erfüllt. Und das tat er. Die Mitarbeiter bescheinigten Henning Fleiß, Ausdauer und einen großen Wissensdurst. Er sei immer pünktlich gekommen, Mehrarbeit und außergewöhnliche Belastungen habe er ohne Murren hingenommen.

Als dann der Mann vom Sozialwerk zwei Wochen später nochmals vorsprach, habe ich dann eingelenkt und Henning nachträglich noch einen Ausbildungsvertrag angeboten, den er mit großer Freude angenommen hat.

Doch dann ging es los…


Mit einer Schwierigkeit hat Henning ganz besonders zu kämpfen. Ich weiß nicht, ob das Teil einer Therapie ist, aber er bindet jedem „ganz im Vertrauen“ auf die Nase, daß er mal Drogen genommen hat, jetzt aber davon weg sei.

Das hat ihm, vor allem bei den älteren Mitarbeitern, nicht unbedingt einen guten Ruf eingebracht. Manche haben eben die Vorstellung, daß Drogen nur von Kriminellen genommen werden bzw. daß Leute, die etwas mit Drogen zu tun haben, durch und durch kriminell sind.
Hinzu kommt, daß Henning aus einem Viertel der übernächsten Stadt stammt, das keinen besonders guten Ruf hat.

Immerhin nahm er jeden Tag die rund 30 Kilometer Zugfahrt auf sich, war stets pünktlich und gefiel mir eigentlich von Tag zu Tag besser. Ich hatte das Gefühl, einen guten Griff getan zu haben, denn der junge Mann zeigte auch Einsatzbereitschaft und war schon ganz heiß drauf, bald auch als Beifahrer im Bereitschaftsdienst mal mitmachen zu können. Hierzu wolle er sich bald schon ein Auto kaufen, damit er im Bereitschaftsfall auch in den Betrieb kommen könne.

Dann kam Huber zu mir, der führende Mann aus der Werkstatt und druckste herum. Schließlich äußerte er den Verdacht, Henning habe einen „Ratschenkasten“ im Wert von 120 Euro mitgehen lassen.

Normalerweise hätte ich dem betreffenden Mitarbeiter gleich auf den Zahn gefühlt, aber mich störte, daß Herr Huber nebenbei äußerte, das sei ja wohl auch zu erwarten gewesen, „wo der schon herkommt!“.
Also beschloß ich, die Sache erst mal hinter den Kulissen zu untersuchen, denn mir schien es so, als ob man da zu vorschnell eine Verdächtigung ausgesprochen hatte.

Einen Tag wollte ich warten und dann mal mit anderen Mitarbeitern sprechen, ob die etwas gesehen haben oder weitere Hinweise geben können. Doch schon am nächsten Morgen überraschte mich Sandy mit der Mitteilung, sie könne ihr Diktiergerät nicht finden.

Ist es gemein, daß ich sofort Henning in Verdacht hatte?


Ich kann ja nicht tagelang herumeiern und mit dem Gefühl leben, daß einer meiner Mitarbeiter mich beklaut. Mit mir kann man ja viel machen und ich dulde so einiges, aber wenn einer meiner Leute mich bestiehlt, dann darf er gehen. Da bin ich mehr als konsequent und penibel. Mir ist es auch egal, ob der- oder diejenige jetzt einen PC-Drucker klaut oder 10 Blatt Schreibmaschinenpapier oder Briefumschläge, Büroklammern oder sonstwas. Das Zeug habe ich bezahlt und deshalb gehört es auch mir und das darf mir keiner so einfach wegnehmen.

Wenn einer was braucht, kann er mich fragen und ich kann mich nicht daran erinnern ohne wichtigen Grund schon mal Nein gesagt zu haben. Meine Frau meint sogar, ich sei zu großzügig. Aber gerade deswegen ärgert es mich ganz besonders, wenn was wegkommt.

Also bestelle ich Henning zu mir ins Büro und konfrontiere ihn damit, daß Sachen fehlen. Ich bilde mir ein, daß ich das schon merke, wenn er mich belügt.
Seine Entrüstung ist nicht gespielt, davon bin ich überzeugt. Ich sage ihm, daß ich nicht ihn verdächtige, sondern generell dem Verschwinden der Sachen nachgehe und mehrere Leute befragen werde. Das beruhigt ihn zwar, ich bin mir aber nicht sicher, ob er mir nicht insgeheim doch böse ist, weil ich ihn verdächtige bzw. befrage.

Er sei wirklich ein anständiger Kerl, beteuert er und das könne auch seine Mutter bestätigen, die übrigens in den nächsten Tagen irgendwann mal vorbeikommen wolle.

Nö, das kann sie nicht! „Also, wenn deine Mutter mit mir sprechen möchte, dann soll sie sich bitte einen Termin geben lassen, okay?“ Er nickt.

Später rufe ich Frau Büser aus dem Büro zu mir und weise an, sie möge doch bitte eine intensive Suche im ganzen Betrieb anleiern, damit sichergestellt ist, daß die verschwundenen Sachen nicht doch irgendwo herumgammeln.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#henning

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(©si)